1471 - und dann?

Von Rudravarman @Bhadresvaravarman
[caption id="attachment_828" align="aligncenter" width="300"] Cochinchinesen in Da Nang. Links eine Chamfrau, daneben sitzt ein Chammann, Quelle: http://www.viethoc.org/[/caption]

Im Jahre 1471 überrannte das Reich Dai Viet das in Zentralvietnam gelegene Königreich von Vijaya und nahm die Hauptstadt ein. Vijaya lag in der Gegend der modernen Stadt Quy Nhon in der heutigen vietnamesischen Provinz Binh Dinh. Um nach Quang Ngai und Quy Nhon zu gelangen, mussten die vietnamesischen Truppen das nördlich gelegene Amaravati durchqueren. Wann wurde Amaravati erobert? Wurde es im Zuge des Vijaya-Feldzuges eingenommen oder erheblich früher? In diesem Beitrag möchte ich allerdings weniger auf diese Frage eingehen, die ein großes Quellenstudium vietnamesischer wie auch Cham-Chroniken nötig macht, das ich bisher hier nicht vorlegen kann. Die Zeit ab 1200 ist in der Cham-Geschichte mehr als „dunkel“ (man denke an den legendären König Po Klaung Garai im 13. Jahrhundert).


Als sich im 11. Jahrhundert das Reich von Dai Viet gründet, verändert sich die politische Lage in Südostasien schlagartig. Das frühe Dai Viet mit Sitz in Thang Long war noch zu schwach und in seiner Politik auf Konsolidierung ausgelegt, um an Expansion zu denken. Im Norden lag das mächtige chinesische Reich, von dem man sich erst 938 unabhängig gemacht hatte. Die Chinesen der Sung-Dynastie versuchten alles, um die drei ehemaligen Kommandanturen wieder ins Reich einzugliedern, was ihnen aber misslang. Vietnam blieb unabhängig. Auch von Süden wurde Dai Viet angegriffen. Die Cham hatten bereits in der Chinesischen Besatzungszeit immer wieder die Grenzen angegriffen. Dies setzten sie fort. Die Vietnamesen schlugen zwar zurück, aber eine Expansionspolitik lässt sich erst in der Tran-Dynastie erkennen. 1306 heirate der Cham-König Jaya-Simhavarman III die vietnamesische Prinzessin Tran. Als Heiratsgabe wurde die Übergabe der zwei Cham-Provinzen Chau O und Chau Ly vereinbart. Sie lagen in der Gegend des modernen Hue. Der König verstarb nur ein Jahr später – die Provinzen waren verloren und die trauernde Tran kehrte nach Thang Long zurück. Die Cham suchten die Provinzen jedoch zurückzugewinnen. War dies die Ursache des Nam Tien – des vietnamesischen Zuges gen Süden? Diese Frage geht hier zu weit. Fest steht, in den folgenden 150 Jahren gewinnen die Vietnamesen immer mehr Raum in Zentralvietnam und verschieben die Grenze an den Hai Van. 1471 nehmen sie Vijaya ein und verschieben die Grenze schließlich an den Mong-Pass, im Süden Zentralvietnams gelegen. Ein Gebietsgewinn von fast 600 Kilometern.


Was passierte eigentlich mit der Cham-Bevölkerung? Wenn man heute durch Quang Nam und Quang Ngai fährt, sieht man wundervolle Cham-Relikte, aber eine Cham-Bevölkerung gibt es nicht mehr. Möglicherweise gibt es hier und da einige Nachfahren von Cham, aber eine offensichtliche, bewusste Chamkultur ist in Zentralvietnam ausgestorben. Verlässliche Quellen, was passiert ist, gibt es ebenfalls kaum. Einige Historiker berichten, dass es 1471 zu Massakern an den Cham gekommen sei. Kiernan bietet in seiner Geschichte des Genozids ein düsteres Bild und spricht von 60000 Toten. Die meisten gehen jedoch von einer Flucht gen Süden, nach Kauthara und Panduranga bzw. nach Westen nach Laos und Kambodscha aus. Auch dürften sich die Beziehungen zu den Bergstämmen intensiviert haben, was sich in der Wahl Po Romes als König widerspiegelt.


Es gibt aber auch noch eine weitere Möglichkeit: die der Amalgamisierung. Es ist offensichtlich, dass Zentralvietnam sofort von den Vietnamesen in deren Verwaltungsgliederung integriert wurde. Der Bürgerkrieg im Norden, zwischen den Trinh und Nguyen, machte dies erforderlich. Die Nguyen haben sofort das Gebiet um Quang Nam besetzt. Hue wurde fortan ihr zentraler Regierungssitz. Hoi An wurde zum Haupthafen Zentralvietnams. Als die Portugiesen im 16. Jahrhundert nach Vietnam kamen, war Hoi An bereits ein vietnamesischer Hafen. Konnten sich die Nguyen jedoch leisten, das Gebiet zwischen Hai Van und Qang Ngai zu entvölkern? Die Aufsiedlung mit vietnamesischen Bauern aus dem Norden dauerte mit Sicherheit mehrere Jahrzehnte.


Es gibt einige Quellen, die durchaus nahe legen, dass die Cham nicht vollständig verschwunden sind. So weisen Spuren im Dai Viet Su Ky für verschiedene Jahre bis ins 16. Jahrhundert auf die Präsenz von Cham neben den Kinh hin. Auch eine Erwähnung im Dieu Duc Duong Quang Hien Doan Tuc Xich Y scheint auf eine Champräsenz in Zentralvietnam hinzuweisen. Für das Jahr 1446, also noch vor der Eroberung Vijayas, wird für Tra Ban (in der Nähe Quy Nhons gelegen) eine Bevölkerung von 33500 Personen angegeben. Möglicherweise haben die Vietnamesen zu diesem Zeitpunkt Amaravati aber noch nicht eingenommen. Für 1471 sagt das Dai Viet Su Ky „người Chiêm đă bỏ Chiêm Động, Cỏ Lũy mà đi khi di dân ta đén“. Die offizielle vietnamesische Annalistik geht also von einer Entvölkerung Zentralvietnams aus, bei dem die Cham gen Süden und Westen flohen. Aber mindestens bis ins 19. Jahrhundert wird Zentralvietnam noch als „ke cham“ bezeichnet. Der italienische Jesuit Christoforo Borri kam 1618 nach Zentralvietnam und spricht davon, dass die Region als „Cacciam“ bezeichnet wird. Auch der englische Reisende John Barrow, der 1792 und 1793 in Indochina einen kurzen Aufenthalt hatte, begegnet noch dieser Bezeichnung. Er beschreibt eindeutig Cham in Quang Nam und gibt auch Bilder eines befreundeten Künstlers und Naturforschers wieder (William Alexander), auf denen ebenfalls Chamfrauen und mindestens ein Chammann zu sehen sind. Das Bild zeigt wohl Da Nang, im Hintergrund sind Hai Van und Son Tra zu sehen. Also gab es noch um 1800 Menschen in Da Nang und Quang Nam, die sich ihrer Abstammung bewusst waren. Diese Traditionen sind heute verloren. Die französische Kolonialzeit, aber wohl vermehrt die Kriege des 20. Jahrhunderts, haben sich stärker auf die Traditionen der Region ausgewirkt, als die Zeit zwischen 1450 bis 1900 davor.


Dies alles ist nur eine kurze Zusammenstellung verschiedener Fakten, die sich in den Quellen finden. Es ist sicher auch kein Beleg dafür, dass die cham noch bis in die Gegenwart in Quang Nam existent gewesen sind. Aber es sind Hinweise dafür, dass seit dem 15. Jahrhundert mindestens zwei verschiedene Bevölkerungen in Quang Nam und südlich davon nebeneinander existierten. Die meisten Cham dürften tatsächlich geflohen sein. Ob bei der Einnahme Chau Sas, Tra Bans und anderer Chamstädte Massaker aufgetreten sind, kann ich hier weder belegen noch widerlegen. Es herrschte Krieg und es dürfte auch zu Übergriffen gekommen sein. Aber die Vietnamesen haben sicher nicht die gesamte Cham-Bevölkerung ausgerottet, wie es in manchen Geschichtswerken zu lesen ist. Die Besetzung Zentralvietnams stellt sich hier vielmehr als Prozess dar, der zu einer Durchmischung von lokaler Bevölkerung mit Neuankömmlingen aus dem Norden letztlich zu der typischen „Trung Bo“-Kultur wird.


 

Literatur


Ben Kiernan, Blood and Soil: A World History of Genocide and Extermination from Sparta to Darfur (Melbourne 2008), p. 111.
Hồ Trung Tú, Có 500 năm như thế (Hà Nội 2010).

 Vietnamesische Quellen


Đại Việt Sử kỷ toàn thư (online unter https://sites.google.com/a/hawaii.edu/viet-texts/)
Ô Châu Cận lục (Hà Nội 1997)

 Chinesische Quellen


明實錄 Ming Shi Lu (online unter http://epress.nus.edu.sg/msl/)

Quelle des Bildes


http://www.viethoc.org/