In der Zeit der deutschen Besatzung, die Czesław Miłosz intensiv schreibend und übersetzend hauptsächlich in Warschau verbrachte, änderte sich seine poetische Orientierung. Am Beginn seiner Laufbahn hatte er die französische Lyrik bewundert, ab den späten dreissiger Jahren interessierte er sich mehr und mehr für englischsprachige Dichter – William Blake, T. S. Eliot, W. H. Auden. Damit lässt sich auch eines der Paradoxa in Miłosz’ Werk erklären: Während in vielen Gedichten aus der Zwischenkriegszeit der Nebel apokalyptischer Erwartung waberte, registriert den Schrecken der grausamen und absolut realen Präsenz von SS und Gestapo in Warschau ein nüchterner, höchst intelligenter Dichter.
Anders als die kaum zehn Jahre jüngeren und sehr talentierten Warschauer Poeten (keiner von ihnen überlebte den Krieg) verzichtete Miłosz auf unmittelbare, gleichsam spasmisch verzerrte Bilder von Krieg, Tod, Horror und metaphysischer Hoffnung. Als bewusster Künstler, der die Bedeutung von Distanz und Reflexion kannte, schrieb er ironische, bittere Gedichte, gegründet auf Beobachtungen aus den Warschauer Strassen, und parallel dazu den ungewöhnlichen Zyklus «Die Welt. Eine naive Dichtung», der daran erinnerte, dass es eine gute, ideale Welt gibt. Er war zudem ehrlicher, scharfsichtiger Zeuge der Vernichtung der Juden; die beiden grossen Gedichte «Campo dei Fiori» und «Armer Christ sieht das Ghetto» sind ein bleibendes Zeugnis dessen, was Humanismus in der Lyrik im Moment der Katastrophe sein kann. / Adam Zagajewski, NZZ 25.6.