13.06.2013: Antisemitismus in Europa im 19. und 20. Jahrhundert (7)

Von Cornelia Wilhelm @NiveauKlatsch


Bevor ich hier für euch die Zusammenfassung der VL von heute veröffentliche, hier einmal wie immer:
Ich fasse hier eine Vorlesung zusammen, in der es um das sehr ernste Thema "Antisemitismus" geht. Hier werden Fakten und Daten zusammengetragen, die u. U. wichtig für unseren Test am Semesterende sind. Ich möchte jedoch NIEMANDEM mit dem Inhalt der Posts dieser VL zu nahe treten, beleidigen oder (um Gottes Willen) aufhetzen! Ich distanziere mich vehement von antisemitischen Ansätzen/ Denkweisen und gebe mir Mühe, dies in meinen Formulierungen DEUTLICH klar zu machen. So. In diesem Sinne: Los geht's!Nachdem seit der letzten VL ja bekanntlich zwei Wochen vergangen waren, haben wir die Ergebnisse der letzten Veranstaltung nochmal grob zusammengefasst.Als bekannte Vertreter des Antisemitismus wurden in diesem Zusammenhang...:- Boeckel (setzte sich zum Ziel, die Landbevölkerung vom Antisemitismus zu überzeugen; handelte im gesellschaftlichen Bereich, indem er die Juden aus dem Gemeinwesen ausschloss; integrierte den Antisemitismus in das Alltagsleben der Menschen; fordert den parteiübergreifenden Antisemitismus.)- Ahlwardt (war Populist; setzte das Gerücht mit den "Judenflinten" in die Welt; radikalisierte den Antisemitismus weiter.)- Walter Graf Pückler (wollte die "Judenfrage" mit Gewalt lösen bzw. rief hierzu auf.)- Theodor Fritsch (wirkte vor allem publizistisch; verfasste Schriften wie das "Handbuch der Judenfrage".)So. Und nun zum neuen Teil von heute.Ab 1840 kam es zu einer Wiederaufnahme der Ritualmordgerüchte. Diese behaupteten, die Juden würden zum Pesach ein christliches Kind schlachten und dessen Blut trinken. Als besonders bekannt gilt der sog. "Ritualmordfall" von Xanten. Dieser soll sich, laut den Gerüchten, im Jahre 1891 ereignet haben. Adolf Buschhoff wurde als Verdächtiger in diesem Zusammenhang verhaftet, dann jedoch frei gesprochen, da seine Schuld gerichtlich nicht bewiesen werden konnte. Die "Zeugen" (insg. 164) wiedersprachen sich immer wieder. Das Urteil führte zu vielen publizistischen Debatten, die der Justiz vorwarfen, "verjudet" zu sein. Es wurden jedoch durchaus auch Solidaritätsaktionen für Buschhoff ins Leben gerufen. Die Antisemiten bauten jedoch im Laufe der Jahre immer wieder auf dieser Ritualmordthese, die im 16. und 17. Jahrhundert beliebt war, dann eine "Pause" einlegte, immer wieder auf. An der Theorie, die Juden würden christliche Kinder "schächten" ist jedoch auch ersichtlich, dass der Antisemitismus nach 1870 zwar rassistisch erklärt wurde, jedoch auch die religiösen Aspekte nicht vollkommen verschwinden. Ein weiterer populärer "Fall" war der sog. "Ritualmord in Konitz" aus dem Jahre 1900. Hier wurde ein 18jähriger Junge "blutleer" aufgefunden. Diese Tatsache war für die Antisemiten Grund genug, die Schuld den Juden zuzuschieben und auf die Ritualmordthesen hinzuweisen. Selbstverständlich wurden auch im Falle von Konitz gerichtliche Untersuchungen angestellt bzw. aus dem Sachverhalt eine Presse-Sensation gemacht. Die Gesellschaft war (vielleicht noch mehr als in Xanten) komplett in den Fall involviert. Doch was war hier eigentlich ein "Ritual"? Der angebliche "Ritualmord" oder das "Ritual, die Juden zu verfolgen"?Der Fall von Konitz hatte starke Auswirkungen auf die jüdische Gemeinde. Viele Juden zogen weg, beispielsweise nach Berlin oder Breslau, da sie aus der Gesellschaft vollkommen ausgegrenzt wurden und in Konitz keine Zukunft mehr sahen. Doch wie sah es eigentlich mit der Gegenwehr aus? Gab es eine?Oh ja... .Hier einige Beispiele!
  • 1890 wurde der Verein zur Abwehr des Antisemitismus gegründet. Der Verein zeigte bis in die 20er Jahre hinein Wirkung. Eine ähnliche Organistaion existierte übrigens auch in Österreich. Vertreter waren hier vor allem prominente Christen, die das liberale Bildungs- und Besitzbürgertum ansprachen. Der Verein verfügte zudem über ein Publikationsorgan und hatte ca. 12.000 Mitglieder. Der Fokus lag klar auf der Aufklärung bzw. auf dem Appell an die Vernunft der Menschen. Problem war jedoch, dass, da der Verein linksliberal verankert war, er als "Judenschutztruppe" galt und damit ein klassischer konservativer Wähler eben Antisemit sein musste. Der Antisemitismus wurde damit immer mehr von der politischen Zugehörigkeit abhängig gemacht. Der Verein wurde im Jahre 1931 zwangsaufgelöst.
  • 1892 wurde das Comité zur Abwehr antisemitischer Angriffe gegründet. Dieses existierte aber nicht lang.
  • 1893 wurde die Vereinigung Badischer Israeliten ins Leben gerufen. Dieser existierte aber nicht lang.
  • 1896 wurde der Kartell-Convent der Verbindungen deutscher Studenten jüdischen Glaubens gegründet. Die Gründer orientierten sich stark an den noch heute bekannten "Burschenschaften" und übernahmen Kriterien wie Nationalismus und Wehrhaftigkeit.
Trotzdem: Im Kampf gegen den Antisemitismus waren die Juden weitestgehend auf sich allein gestellt. Dieser (also der Antisemitismus) gliederte sich im zwei Sparten auf:
  1. Der "Radau-Antisemitismus", auch genannt der "falsche Antisemitismus".
  2. Der "gerechtfertigte Antisemitismus, der sich damals gegen das gesellschaftliche Vordrängen der Juden richtete.
1893 wurde schließlich der Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens gegründet. Wahrscheinlich handelte es sich hierbei um das wichtigste Organ zur Gegenwehr. Hier wurde die Auffassung vertreten, die Juden würden sich ausschließlich eben durch die Konfession von anderen Deutschen unterscheiden. Der Centralverein wollte jedoch ausdrücklich KEIN "Schutzjudentum", sondern einfach nur eine Gleichstellung mit allen anderen. Gleichzeitig solle an der "Arbeit zur Selbsterziehung" gearbeitet werden. Im Prinzip handelte es sich bei der Organisation um eine Art Rechtsschutzverein, die auch viele Juristen als Gründungsmitglieder hatte, die beispielsweise die Presse beobachteten oder Reden anhörten.In Deutschland entstand der parteipolitische Antisemitismus in den 1890er Jahren. Dieser zerfiel jedoch im Jahre 1900 schnell wieder (mit der Bilanz, wenig erfolgreich gewesen zu sein.). Die Emanzipation der Juden wurde nicht zurüch genommen und auch viele weitere Ziele wurden nicht erreicht. ABER der Antisemitismus verbreitete sich in der Gesellschaft... war quasi schon zu einer Selbstverständlichkeit geworden. Seit 1880 gab es in den preußischen Armeen beispielsweise keine jüdischen Offiziere (wurden gewählt) mehr.Verbände wie der "Altdeutsche Verband" förderten den Antisemitismus immer weiter und wirkten bis tief in das Bürgertum hinein. Der moderne Antisemitismus entstand in Deutschland bzw. Österreich, jedoch handelt es sich bei der Judenfeinschaft um eine europäische Sache.Lucien-Wolf beschreibt Deutschland, Österreich, Russland, Rumänien und Frankreich als die wichtigsten Länder in Bezug auf den Antisemitismus. Vor allem in Russland und Rumänien sei (in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg) mit äußerster Brutalität vorgegangen worden. Über Frankreich breitete sich der Antisemitismus dann über ganz Europa aus. Besonders deutlich wird dies am sog. "Ritualmordfall" von Tizar-Ezlar, welcher europaweit diskutiert wurde. Der Kongress der Antisemiten, der im Jahre 1892 in Dresden abgehalten wurde, hatte jedoch nicht die erwünschten europaweiten Auswirkungen. Eigentlich handelte es sich dabei um eine deutsch-österreichisch-ungarische Veranstaltung.Mit Hilfe der Freikorps, die oft zu einem hohen Maße antisemitisch eingesetllt waren, verbreitete sich die Bewegung immer weiter.Karl von Vogelsang (1818- 1890)Karl von Vogelsang konvertierte vom Protestantismus zum Katholizismus und stellte sich gegen die sozialistische Arbeiterbewegung. Er setzte die Juden, von denen "das Land überschwemmt" sei, mit dem Liberalismus gleich und lebte seit 1864 in Österreich. Von der "Judenhetze" distanzierte er sich jedoch öffentlich. Er forderte die Gesellschaft auf, sich auf das Christentum zu besinnen und die Juden in irgendeiner Weise zu integrieren. Vogelsang war auch politisch tätig. Im Laufe der Jahre wurde seine Sprache immer aggressiver.Karl Lueger (1844- 1910)Karl Lueger gründete die christlich-soziale Partei in Österreich und machte mit ihr Karriere. Auch er war stark von Vogelsang beeinflusst, studierte Jura und war ebenfalls politisch tätig. Seit 1887 war er bekennender Antisemit und seit 1895 der Bürgermeister von Wien. Eigentlich hätte Kaiser Franz Joseph diese Wahl bestätigen müssen... er ließ sich mit dieser Bestätigung jedoch ca. zwei Jahre Zeit, da Österreich eine Vielvölkermonarchie sei, die es sich nicht leisten könne, einen Antisemiten als Bürgermeister einzusetzen. Der Kaiser fürchtete einen Zerfall des Reiches. Lueger wurde jedoch immer wieder gewählt. Die Bürger bestanden auf ihr Wahlrecht und setzten dieses letzten Endes gegen den Kaiser durch.