Afghanistan ist auch das Land der Poeten. Selbst Menschen, die sonst mit Waffen sprechen, schreiben Gedichte. Sie fassen das Elend der jüngeren Geschichte in Verse – auf Persisch, Paschtu, Usbekisch, Tadschikisch, Turkmenisch oder Belutschisch. Ein Besuch. Von Tim Neshitov, Süddeutsche Zeitung 20.7.:
Mehrdad sagt, die afghanische Dichtung müsse sich von alten Formen lösen, Dichter müssten nach neuen Wegen suchen, wie seinerzeit Partaw Naderi. Als es dunkel wird, entdeckt Mehrdad ausgerechnet diesen Partaw Naderi im Keller des Schriftstellerhauses. Der Meister sitzt im Schneidersitz in einem grün beleuchteten Raum neben der Bibliothek und spricht etwas müde zu einer Handvoll Zuhörer über die Besonderheiten altpersischer Dichtung. ‘Wollen Sie etwas mit uns trinken?’ Er verspricht, sich am nächsten Tag interviewen zu lassen.
Unter den Sowjets verbrachte Naderi drei Jahre im berüchtigten Pul-e-Charkhi-Gefängnis, im Bürgerkrieg blieb er im zerbombten Kabul. Er sah, wie eine der islamistischen Milizen Hunderte Bücher aus den Beständen des Schriftstellerverbandes verbrannte. Im Juni 1994 schrieb er ein kurzes Gedicht mit dem Titel ‘Verwüstung’: ‘In die Linien deiner Hände / haben sie das Schicksal der Sonne hineingeschrieben / Steh auf / erhebe deine Hand – / die lange Nacht erstickt mich.’ (…)
Ein englischer Verlag hat kürzlich eine Sammlung von Taliban-Poesie herausgegeben. Die Autoren sind keine PEN-Mitglieder, sie veröffentlichen ihre Gedichte auf der Internetseite der Taliban.
‘Die süßen Augenblicke des süßen Lebens gehen sehr schnell vorbei’, schreibt ein Abdul Hai Mutma’in. Er schildert eine Menschenmenge, die den Sonnenuntergang genießt. ‘Die Sonne ist wie ein Geist in der bunten Mischung des späten Nachmittags. / Wenn die Sonne geht, bleiben die Menschen nicht mehr beieinander. / Dieser gelbe Nachmittag ist ein Beispiel des süßen Lebens. / Wenn der Geist geht, bleibt alles zurück.’