Die große, umfassende Anthologie schwedischer Lyrik, die Enzensberger und Nelly Sachs planten, ist an einem vernichtenden Gutachten gescheitert, das Peter Rühmkorf 1961 in seiner bewährten, aus dem „Lyrikschlachthof“ der Zeitschrift „Konkret“ bekannten Leslie-Meier-Manier (Leslie Meier war Rühmkorfs Pseudonym) verfasst hat. Damit hatte Rühmkorf schon die deutsche Nachkriegslyrik verurteilt. Nelly Sachs, so schreibt er, übertrage in „verhunztes Deutsch“. Es ist aber zu vermuten, dass der Rowohlt-Lektor Rühmkorf damals den auf Hölderlin und Celan fußenden Grundton der Übertragungen nicht verstehen mochte. Man muss das wohl so hinnehmen, obwohl es wenig Grund dafür gibt, mit den Übertragungen auch gleich die versammelte schwedische Lyrik für verzichtbar zu halten. Unentschuldbar aber ist der nachträgliche Kommentar Rühmkorfs in seinem Erinnerungsband „Die Jahre die ihr kennt“ (1999). Dort spricht er von dem „Fall Nelly Sachs“ und erklärt die Wiedergabe seines Gutachtens von 1961 als „Beitrag zur Entmythologisierung hohler literarischer Gesinnungswerte“. Das ist der schnarrende und mit Verlaub antisemitische Ton der „Gruppe 47″, den auch Celan bei seiner Lesung in der Gruppe zu hören bekam. Wer, wie ich, dem Zauber Peter Rühmkorfs erlegen war, steht hier erneut vor einem Skandal und mag eigentlich nicht noch einmal verzeihen. In seinem Brief an Enzensberger hat Peter Rühmkorf übrigens zugegeben, dass er mit schwedischer Lyrik wenig vertraut sei.
Es tut gut, dass uns der Herausgeber Fioretos jetzt die Möglichkeit gibt, uns selbst ein Urteil über die verhinderte Anthologie zu bilden. / Herbert Wiesner, Die Welt
Nelly Sachs
Werke. Kommentierte Ausgabe in vier Bänden
Band IV: Prosa und Übertragungen
Das Werk einer der bedeutendste deutschsprachigen Dichterinnen mit vielen bislang unpublizierten Texten und erstmals kommentiert
EUR 54,00 [D]
Erschienen: 11.10.2010
Leinen, 674 Seiten
ISBN: 978-3-518-42190-1