# 116 - Lasst uns reden

Ein Vater im Gespräch mit seinen erwachsenen Kindern 

# 116 - Lasst uns redenDer Kulturwissenschaftler und Kulturmanager Martin Roth hat sich mit seinen 20 bzw. 28 Jahre alten Töchtern Clara und Mascha sowie seinem 27 Jahre alten Sohn Roman zusammengesetzt und geredet: über die Welt, Europa, Deutschland und die Familie. In diese Kapitel ist das aus dieser Diskussion entstandene Buch Widerrede! aufgeteilt, das am 28. August 2017, gut drei Wochen nach Roths Tod, erschienen ist.

Was gibt es da zu reden?

Eine Menge. Es geht darum, herauszufinden, wo man in diesen Zeiten, in denen nicht nur eine Krise die andere abzulösen scheint, sondern sich mehrere Unruheherde parallel abspielen, selbst steht. Es geht auch um den Mut, sich deutlich zu positionieren, anstatt sich mit bestenfalls lauwarmen Meinungsäußerungen aus der Affäre zu ziehen. Es geht darum, dem (Rechts-)Populismus etwas entgegenzusetzen und sich politisch einzubringen.
In seinem Vorwort hat Martin Roth deutlich formuliert, was ihn umtreibt: Er sah sich als Europäer, der damit, dass Großmäuler wie Nigel Farage und Boris Johnson nicht nur ihr Land gespalten, sondern es in den Brexit getrieben haben, um kurz nach der Wahl einen Rückzieher zu machen und ihre markigen Slogans zu relativieren, nicht zurecht kam. Vieles von dem, was die Briten dazu bewogen hatte, für einen Austritt aus der EU zu stimmen, erwies sich als glatte Lüge. Eine große Zahl derer, die sich an der Abstimmung nicht beteiligt hatten, weil sie sich nicht vorstellen konnten, dass es eine Mehrheit für den Austritt geben würde, hat das später bereut.
Roth sah in mehreren europäischen Staaten, dass belegbare Fakten und Ansichten von Experten nichts mehr zählen, sondern Halbwahrheiten oder gar Lügen den politischen Ton immer mehr bestimmen. Das, was nach dem 2. Weltkrieg an Freiheit, Solidarität und Toleranz aufgebaut worden ist, wollte er nicht durch Nationalisten zerstört sehen. Roth hatte die Sorge, dass sich das, was sich während der 1920er und 1930er Jahre in Deutschland abgespielt hat, wiederholen könnte: Auch damals wurde zu vielen Dingen, die von den meisten Menschen nicht gutgeheißen wurden, geschwiegen, frei nach dem Motto "So schlimm wird es schon nicht werden". 
Er wünschte sich eine offene und freie Kommunikation, ein freies Leben ohne Grenzen und ein hochwertiges Bildungssystem. Und ein weiteres Phänomen behagte ihm nicht: Er sah immer mehr Menschen, die für ihre wie auch immer gearteten Probleme Europa oder ganz pauschal dem Staat die Schuld geben.

Die Diskussionen

An dieser Stelle sollen die Diskussionsverläufe nicht vorweggenommen werden, daher nur so viel: Die grundsätzliche Haltung der vier Roths zu Freiheit, Demokratie, Europa und der Notwendigkeit des politischen Handelns ist sehr ähnlich. Die Art, damit umzugehen, ist aber unterschiedlich. Kein Wunder: Die Sozialisation Roths hat mit der seiner Kinder praktisch keine Gemeinsamkeiten. Er selbst kam aus einfachen Verhältnissen, seine Kinder wurden geboren, als sich ihr Vater beruflich und höchstwahrscheinlich auch wirtschaftlich längst etabliert hatte. Die soziale Herkunft gehört jedoch zu den prägendsten Dingen im Leben eines Menschen; sie ist etwas, was sich kaum abschütteln lässt.

Widerrede! ist ein Buch, das aufrütteln soll und seinen Lesern vermitteln will: Wir leben in einer kritischen Zeit. Um unsere Probleme in den Griff zu kriegen, genügt es nicht, vom heimischen Sofa aus auf "die Politik" oder "die Politiker" zu schimpfen, sondern wir sind aufgefordert, selbst etwas zu tun. Im Gegensatz zu seinen Kindern legte Martin Roth die Messlatte hierfür nicht sehr hoch an: Er fand soziales Engagement völlig ausreichend, während seine Kinder das in der Wirkung als zu gering einstuften.

Lesen?

Widerrede! gibt zahlreiche Denkanstöße und zeigt seinen Lesern die Sicht eines Weltbürgers auf die heutige politische Landschaft in Deutschland und Europa. Zitat: "Mir war es wichtig, etwas über Generationen hinweg zu debattieren und zu publizieren". Das ist ihm gelungen.
Widerrede! ist erschienen bei Verlag und Buchhandlung der Evangelischen Gesellschaft Stuttgart GmbH und kostet 9,95 Euro. 
Ich bedanke mich bei der Agentur Literaturtest, die mir das Buch zur Verfügung gestellt hat. 
  

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