Pommern ist von fast allem (nur nicht der Ostsee) sehr weit weg. (Das gilt in Deutschland genau wie in Polen). Diese Woche aber hat der An- und Umwohner Greifswalds einen klaren Standortvorteil. Von Mittwoch bis Sonnabend findet eine internationale Fachtagung statt zum Thema:
Der Dichter und sein Schatten
Fallstudien zur modernen Einfluss-Dichtung
Die Tagung
möchte das Phänomen der Einfluss-Lust (und nicht nur der „Einfluss-Angst“, mit der sich die wirkungsmächtige Studie von Harald Bloom auseinandergesetzt hat) unter der Perspektive ihrer Produktivität neu bewerten. Die Grundannahme ist, dass die Auseinandersetzung mit anderen DichterInnen und ihrer Sprache für die Entstehung einer eigenen Poetik konstitutiv ist.
Dies gilt insbesondere für moderne Lyrik, in der im zwanzigsten Jahrhundert Formen wie Zitation und Montage, literarische ‚ready mades‘ und andere affirmative Formen von Intertextualität (bis zum Extremfall des Plagiats) ihre literarische Blüte erleben und aus dem Schatten des Trivialen treten.
Das Verhältnis von Originalität und Epigonentum wird komplexer als bisher zu beschreiben sein. Nietzsche beklagt 1879 in Der Wanderer und sein Schatten die „Originalitätswut“ der Modernen, die im Unterschied zu den antiken Autoren eine regelrechte Angst vor der Konvention an den Tag legen würden. Doch gerade nachdem sich die modernen Autoren seit der Romantik scheinbar oder wirklich von den „Ketten“ der Tradition befreit (ein Bedürfnis jeder literarischen Avantgarde) und die vollständige Freiheit und Ungebundenheit ihrer künstlerischen Schöpfung behauptet haben, können sie sich ohne jegliche Einfluss- und Konventionsangst ‚leisten‘, auch epigonal zu sein: Wo der Zwang der Konvention nicht mehr so stark ist, kann die dezidierte Aneignung fremder Vorbilder anfangen.
Wissenschaftler wie Wolfram Groddeck (Robert Walser), Hans-Jost Frey (Franz Josef Czernin), Dieter Burdorf (Thomas Kling liest Rudolf Borchardt) und viele andere tragen ihre Beobachtungen zum Thema vor. Vor allem aber treten auch Lyriker selbst auf.
Urs Allemann, Marcel Beyer, Steffen Popp, Bertram Reinecke und Monika Rinck sind in Lesung, Gespräch und Vortrag dabei. Eine solch geballte Ladung ist nicht nur in Greifswald kaum alltäglich und lohnt den Weg ins Krupp-Kolleg allemal.
Die Termine der Lyriker:
Mittwoch 18.30 Uhr — 20.00 Uhr
Marcel Beyer: Greifswaldvariationen (Eröffnungsvortrag)
Donnerstag 17.00 Uhr — 17.45 Uhr
Gespräch über Lyrik: Monika Rinck (Berlin) und Elisabetta Mengaldo (Greifswald)
Donnerstag 20.30 Uhr — 22.00 Uhr
Lesung: Urs Allemann, Marcel Beyer, Bertram Reinecke und Monika Rinck
Sonnabend 12.15 Uhr — 13.00 Uhr
Steffen Popp: Fragen an die Boxmaschine – “Einflussangst und Vatermord” in einer kollaborativen Poetik zeitgenössischer LyrikerInnen
Das Programm: