Welcher innere Zustand bringt ein Gedicht hervor?
Ich kann nicht ohne eine gewisse Erregung anfangen, ohne ein Versprechen, dass irgendetwas geschieht. Hin und wieder beginne ich ein Gedicht zu früh, manchmal halte ich eine Idee, ein Bild oder die initiierende Energie zu lang zurück und verpasse den richtigen Moment des Anfangs. Für einen alten Lyriker wie mich ist es am besten, auf Teufel komm raus loszulegen, sich einfach mit Begeisterung oder Vertrauen kopfüber in die Sache hineinzustürzen – Risiken einzugehen, immer wieder bereit zu sein, Änderungen vorzunehmen, ein wenig herumzuspielen. Einen Großteil der Zeit ist man natürlich sehr ernst und mürrisch gegen sich selbst.
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„Die Strichelspur von Vaters Eschenstock/ Auf dem Strand von Sandymount/ Ist gleichfalls etwas, was die Flut nicht tilgt.“ Für „Der Strand“, das kürzeste der Gedichte, die Sie für die unlängst in Deutschland erschienene Anthologie „Die Amsel von Glanmore“ ausgewählt haben, scheinen Sie nur mal eben vor die Tür getreten zu sein.
Das Gedicht ist auf ganz eigene Weise hermetisch und spielt auf den „Ulysses“ an, wo Stephen Dedalus über den Strand von Sandymount spaziert. Seine Spuren werden von der Flut nicht getilgt, weil sie für immer in Joyces Roman bewahrt sind. Hier in Dublin ist man sich der Präsenz von James Joyce auf Schritt und Tritt bewusst, und ich hätte nicht über den Strand vor meiner Haustür schreiben können, ohne mich dabei vor Joyce zu verbeugen.
/ FAZ-Gespräch mit Seamus Heaney