Alle zitieren sie Gedichte.
Der heutige Ehrenvorsitzende der Front National Jean-Marie Le Pen will beweisen, schreibt Le Monde, daß er noch in Form ist und seine Lust an der Provokation nicht eingebüßt hat. Am 18.2. zitierte er in einer Rede über Ehre in der Politik im Zuge des Wahlkampfs zur Präsidentenwahl ein Gedicht des Kollaborateurs und Antisemiten Robert Brasillach. Von ihm stammt der Satz: “Man muß sich von den Juden im ganzen trennen und die Kinder nicht auslassen.”
Im Gespräch mit Journalisten sagte Monsieur Le Pen: “Ich habe ja auch mehrmals den Martiniquaner Aimé Césaire zitiert.”
Auch Putin liebt die Dichtung. Ulrich Heyden schreibt in Telepolis:
Auf einer martialischen Wahlkampfveranstaltung beschwor Putin den Sieg bei den Präsidentschaftswahlen am 4. März
Von der Wortwahl hätte man denken können, in Russland tobten Bürgerkrieg und ausländische Intervention. Doch es war nur ein Wahlkampfauftritt von Wladimir Putin. Auf einer Großveranstaltung im Moskauer Sport-Stadion Luschniki zitierte Putin gestern vor etwa 100.000 Menschen den russischen Schriftsteller Michail Lermontow, der in einem Gedicht [hier englisch] beschreibt, wie die russischen Soldaten 1812 vor der Schlacht von Borodino den Eid auf das Vaterland leisteten und “davon träumten, für die Heimat zu sterben”. Damals ging es gegen die Armee Napoleons. Heute geht es gegen diejenigen, so Putin, die sich “in unsere Angelegenheiten einmischen”.
Und auch unser Gauck, den ich mit keinem dieser beiden vergleichen will, zitiert in Bayern vor seinen erschreckten Zuhörern ein Gedicht auf Stalin, das er in den 50er Jahren auswendiglernen mußte und immer noch kann. (Hat er ihnen auch gesagt, daß der Autor aus Bayern stammte?). Hier zwei der Strophen eines Gedichts von Johannes R. Becher:
Dort wirst du, Stalin, stehn, in voller Blüte
Der Apfelbäume an dem Bodensee,
Und durch den Schwarzwald wandert seine Güte,
Und winkt zu sich heran ein scheues Reh.
Mit Marx und Engels geht er durch Stralsund,
Bei Rostock überprüft er die Traktoren,
Und über einen dunklen Wiesengrund
Blickt in die Weite er, wie traumverloren.