Diskussionsbeitrag von Simone Kornappel
ein instrumentarium, um einen text für sich selbst als misslungen oder gelungen zu begreifen, ist der kopf. und einen kopf hat jeder leser, jede leserin allemal. die unlust am kauf oder die unlust am lesen eines gedichtbandes, einer anthologie oder einer zeitschrift an der mangelnden fähigkeit der leserInnen festzumachen, die texte zu verstehen, sie qualitativ abschätzen zu können, gesetzt den fall, letzteres täte unabdingbar not, attestiert sicher, dass man es regelhaft mit menschen zu tun hat, denen entweder das denken schwer- oder mindestens missfällt, was ich gelinde gesagt für unverschämt halte oder setzt eben voraus, dass leserInnen ausschließlich oder vornehmlich an schnell bzw. leicht zugänglichen texten gelegen ist, texten mit westerntür oder panikschloss, die man genau so flugs betreten wie man sie wieder verlassen kann, alles ohne jede harm. ich weiß nicht, woher, wann letztlich postuliert wurde, leserInnen hätten mental schwierigkeiten, eine gewisse bringschuld einzulösen. ganz naiv aus blöde gesprochen: als autorIn und sicher auch als verlegerIn geht man doch eher von mündigen, dem kognitiven anvertrauten leserInnen aus, will meinen, auch von solchen, denen bewusst ist, dass ein gedicht in seiner drängung nichts ist, das man binnen fünf minuten nach wasseraufguss abkonsumiert. wenn das schreiben eines gedichtes durchdringung ist, so fordert auch sein gelesenwerden eine solche ein. besagte unlust hingegen mit der behäbigkeit der texte zu erklären, an ihrem vermeintlich klausulierten innern festzumachen, hierbei die intention unterstellend, der autor, die autorin chiffriere um des chriffierens willen, geht m.e. ebenso fehl. gedichte sind ein anderes sprechen und auch ihr verstehen verhält sich demnach anders. ähnlich einer anverwandten sprache, in der ich anknüpfungspunkte finde, sie aber nicht, noch nicht in gänze fassen kann, ist es ein stetes, ja, langsames vortasten. zwischen leserInnen und gedicht kann man da gerne eine semipermeabele membran anlegen; was und wieviel da diffundiert, hängt mit beiden seiten zusammen. aber mit dem ausgesetztsein passiert etwas, zwangsläufig. wer solche prozesse in kauf nehmen mag, besucht die sogenannten wasserglaslesungen, nimmt einen lyrikband zur hand, kauft ihn womöglich, klaut ihn vielleicht sogar vom messestand. aber dieser jemand wird zumeist ein anderer sein, als jemand, der poetryslams besucht: es sind unterschiedliche formen des unterhaltens und unterhaltenwerdenwollens, unterschiedliche geschwindigkeiten, mitunter auch der unterschied zwischen mittelbar und unmittelbar.
die drift weg vom gedicht darüber hinaus an einem überschwang an originalität festzumachen, halte ich nicht für förderlich, für falsch sogar. originalität ist kein jargon im engeren ekelsinne, sie muss nicht bedeuten, die sprache aus dem experimentellen gedanken heraus in die so oft monierten, angeblichen codes, das unleserliche zu überführen und dabei den inhalt zu verlieren. und auch die abgrenzung zwischen konventionell und experimentell, einem bestenfalls eingängigen, dabei gefühlt altbackenen und einem “stets bemüht” und demnach neu, behagt mir wenig; die genannten zuschreibungen weniger noch.
den vorwurf einer absichtlichen enigmatisierung aus der experimentellen intention heraus sehe ich schlicht so nicht gegeben, geschweige denn sehe ich einen trend zum code. mitunter lese ich dafür dann wieder zu wenig, bin zu touristisch in einer literatur als wissenschaft oder nährmedium anwesend – ohne illustrabele beispiele fällt es mir daher schwer, das ad hoc nachzuvollziehen.
auch wenn sich innerhalb des artikels abzeichnet, dass das missen von inhalten zu beklagen wäre, inhalte eingefordert werden, so ist die absprache von originalität, dem orginären sicherlich kein probates mittel, um zum gedicht zu finden und finden zu lassen. das originäre, die originalität der sprache ist neben seiner thematik bestand des gedichtes. und originalität in diesem falle bedeutet auch nicht, dass ich den stimmgeber vor den text stelle – sie bedeutet mehr die eigenständigkeit des textes, gegenwärtlichkeit als dimensionsgefüge, bei der die stimme dessen, der anhebt, zu sprechen, die neue, eigene stimme, diese sprache eben einen von mehreren parametern einer gegenwärtlichkeit darstellt. kurzum: so hölderlin heute noch lebte, wünschte ich mir, er hieße anders, schriebe anders. und dabei weiß ich wohl darum, dass es herrn brocan nicht um konserven, nicht um konservierung ging, die auch stillstand hieße. ich beiße nur just an dieser originalität an, da sie für mich nicht kausal den mangel an inhalt bedingt. nein, anders: ein gedicht, das inhalt hat, eine thematik, diese aber ohne originaltät schlichtweg listet, ohne orginäres moment der sprache, der bilder zu leisten versucht, bleibt reine sachlichkeit, ein schrebergarten. und letztlich wird damit etwas eingefordert, dass das gedicht m.e. nicht sein kann und will: ein schonraum.
dieser bedeutete, dass trotz der anwesenheit von inhalt der inhalt kaum lebendig würde. das blanke arrangieren ohne originalität generierte phantome, es bedeutete stimm- und divergenzverlust. die freiheit, die die originalität in form und sprache austreibt sorgsam beschnitten richtung einfriedung. gelegentlich vielleicht noch muzak beim flanieren nicht ausgeschlossen.
mehr inhalt, weniger bis kaum originalität scheint mir demnach nicht der honiganstrich zu sein, mit dem die gedichte wieder erfolgreich und seltenschön am rezipienten kleben.
dass verschiedene autoren bei zeiten unter tische fallen, mag sicher stimmen. und hier wird ein jeder jemanden nennen können, an dessen texten ihr oder ihm gelegen ist, der eine breitgefächerte betrachtung nach eigenem dafürhalten verdiente. warum sich also nicht anschicken, diesen missstand auszuhebeln, indem e.g. gedichte von jan kuhlbrodt oder claudia gabler oder klaus f. schneider oderoder in der nächsten NZZ vorgestellt, die stillen unter den zeitschriften genannt und beäugt werden – und die funde an noch unbekannten stimmen, die man dabei zu finden gefahr läuft.