Festzuhalten bleibt aber, dass die Friedenspreisjury es nicht einmal in diesem Jahr geschafft hat, einen Autor auszuzeichnen, der nicht in den großen Sprachen der jüdisch-christlichen Tradition schreibt. Dabei gibt es mittlerweile etliche Arabisch schreibende Autoren, die ebenso gut oder schlecht auf dem deutschen Buchmarkt vertreten sind wie Sansal und literarisch locker in derselben Liga spielen: der Ägypter Alaa al-Aswani, die Palästinenserin Sahar Khalifa, der Libanese Elias Khoury, der Libyer Ibrahim al-Koni, der Syrer Adonis.
Aber einen von diesen Autoren zu wählen, war der Jury offenbar zu riskant: Wen holt man sich da eigentlich in die Paulskirche, wenn man Adonis, Al-Koni, Khalifa, Khoury, Al-Aswany auszeichnet? Wurde Adonis und Al-Koni nicht gerade noch vorgeworfen, sie stützten irgendwie die repressiven Regime in ihrer Heimat, ja, sie seien mit denen sogar verbandelt? Wie die beiden sich wirklich zur Revolution positionierten, hat dann leider niemanden mehr interessiert, nachdem ein aus der Hüfte geschossener Denunziationsjournalismus den Verdacht erst einmal ausgesprochen hatte. Sahar Khalifa? Zu brisant, da eine vehemente Israelkritikerin. Dass Khalifa auch eine fulminante Kritikerin des Islamismus und palästinensisch-arabischen Machismo ist, interessiert dann schon gar nicht mehr. Für Elias Khoury und Alaa al-Aswani gilt dasselbe. So sehr sie die Zustände in ihrer Heimat kritisieren: Wenn sie erst einmal anfangen, auszuteilen, dann kriegt auch der Westen, dann kriegen auch wir unser Fett ab.
Was uns Boualem Sansal am 16. Oktober in der Paulskirche sagen wird, wissen wir noch nicht. Aber in seinem bisherigen Werk deutet wenig darauf hin, dass er uns unangenehme Fragen stellen wird. / Stefan Weidner, Süddeutsche 14.6.