11. Oktober 2010, Tod, Teufel und Pisse, 6.04 Uhr

Von Guidorohm

Kaffee, Zigarette.
Schrieb gerade September statt Oktober, ich bin also noch müde, oder aber die Zeit hat mich wieder einmal abgehängt, ich versuche sie zwar zu packen, bekomme sie aber einfach nicht in die Hände; die Hände fühlen sich übrigens wie Fremdkörper an, starr, durchgefroren, keine Ahnung warum, vielleicht weil ich gerade auf dem Balkon eine Zigarette rauchte, noch vom Schlaf beeindruckt in die Nacht hinaus starrte, ohne recht zu bemerken wie eisig es geworden war.

Zunächst ein Schluck Kaffee.

Ich wollte ja noch von Frankfurt erzählen, von meiner Lesung bei den OPEN BOOKS, wo war ich nur, ich glaube, ach ja, die Seraphe und ich verließen die Buchmesse, turnten hin zum Auto, da kamen wir auf die glorreiche Idee, den Wagen stehen zu lassen, um mit dem Bus oder der Straßenbahn in die Stadt rein zu fahren, gute Idee, denn wir wollten ja später eh noch mal auf die Messe. Gesagt, getan, wir strichen um das Gelände, sprachen Leute an, hammsemaneneuro, nö, das sagten wir nicht, bekamen aber einen Hinweis auf die Straßenbahn. Hin und rein. Da saßen wir dann. Zwei Stationen weiter stürmte ein Trupp Kontrolleure den Wagen. Wir zogen die Eintrittskarten, die auch Ticket für diese Fahrt waren. Hinter uns saß ein junges Paar.
„Automat kaputt“, erklärte er.
Scheiße dachte ich, die werden ihn bei der nächsten Station aus dem Abteil schleifen und die Lügen aus ihm raus prügeln. Ich sollte mit meinen Fantasien vorsichtiger sein. Da geschah nichts. Der Kontrolleur war freundlich, sehr freundlich, nett, ich dachte, der holt jeden Moment seine Hand aus der Tasche und streichelt den Schwarzfahrer über die Wange. Ja, von der Sorte sollten sie mehr einstellen. Er schwatzte mit dem Paar. Es war ein Verhör der angenehmen Art. Weiter so, du großes dunkles Finanzhaibecken!
Hauptbahnhof. Raus. Sprachen einen in Uniform an. Der verwies uns auf die Straßenbahn mit der Nummer 11. Da war sie, umdrehen, hin, rein. Noch ein paar wenige Stationen, schon waren wir am Ziel.
„Uhrenvergleich!“
„Wir haben noch etwa eine Stunde bis zur Lesung“, sagte Seraphe.
Also bummelten wir so rum. Die Sonne knallte. Die Tische vor den Restaurants waren meist besetzt. Gegenüber lagen einzelne Gaststätten, die vom Aussatz befallen schienen.
„Warum sitzt da niemand?“
„Vermutlich gab es da einige Todesfälle. Es muss Gründe geben.“
„Sollen wir es wagen?“
Wir wagten es nicht, setzten uns vor eine Kneipe, einem schäbigen Ungetüm, denn da hatte man etwas zum Gucken, da saßen Betrunkene am Nachbartisch, wir horchten auf, Schwaben, der Teil einer Gruppe Schwaben, denn andere Teile dieser Großgruppe kamen vorbei, immer und immer wieder, da war tatsächlich ein ganzes Bundesland unterwegs.
Wir bestellten Bockwürstchen und Kartoffelsalat.
„Bin gleich wieder da“, sagte ich.
Stieg in die Toilette runter, da fällt mir ein, ich habe da ein Zitat bei Hubert Fichte gefunden, das muss ich unbedingt noch in die Pathologie stellen, erinnern Sie mich doch bitte daran, ich stieg also in die Toilette runter, hinab ins Pissoir, in den Orkus, Gotterbarmesichmeinerarmenseele, da stank es wie nach Tod, Teufel und Pisse. Nur nichts anfassen, dachte ich, berühre nichts, du wirst ansonsten deine Hand verlieren. Ich hinterbrachte meinen Urin, wusch mir die Hände und stieg wieder nach oben.
Da saßen wir dann. Versonnen kauten wir auf dem Essen, tranken wir einen Schluck von unserer Cola. Wir saßen einfach nur da und beobachteten die vorbei eilenden Leutchen.

(Fortsetzung folgt)