Die russische Lyrik der Moderne ist dem deutschen Leser in zahlreichen Einzelausgaben und Anthologien vorgestellt worden. Wir konnten Ossip Mandelstam und Anna Achmatowa lesen, Alexander Block und Sergej Jessenin, Marina Zwetajewa und Daniil Charms. Von den Futuristen wurden Wladimir Majakowski und Welemir Chlebnikow in Werkausgaben präsentiert. Lücken gibt es immer (haben wir auch in unserem Erinnern an deutsche Lyrik nicht zu knapp). Eine solche Lücke ist das Werk des Futuristen Alexej Krutschonych (1886-1968). Auch in den einschlägigen Anthologien ist er knapp oder gar nicht vertreten. Dabei war er Mitverfasser der futuristischen Manifeste und zusammen mit Chlebnikow der Erfinder der Sa-um-Sprache, er schuf das erste Gedicht in dieser Dichtart.
Während der diesjährigen Buchmesse in Leipzig präsentierte der Verlag Reinecke & Voß unter dem Titel „Vergessene Großmeister der Moderne“ am 19.3. Neuerscheinungen von Aloysius Bertrand („Gaspard de la nuit“) und Alexej Krutschonych („Phonetik des Theaters“). L&Poe präsentiert hier und in den nächsten Tagen zunächst die Lesung Scherstjanois.
Ich beginne mit dem ersten und einem weiteren Sa-um-Gedicht Krutschonychs, die Valeri Scherstjanoi einleitend las.
Krutschonych verfasste 1912 das Sa-um-Gedicht Dyr bul stschyl:
Zaum Transliteration
Дыр бул щыл
убещур
скум
вы со бу
р л эз
Dyr bul shchyl
ubeshchur
skum
vy so bu
r l ez
(aus der englischen Wikipedia – dort und in der russischen Version gibt es mehr Links als in der deutschen)
In dem für uns mißverständlich Phonetik des Theaters betitelten Buch sieht Krutschonych den Dichter als Akteur einer theatralischen Inszenierung. Die sa-umnische Sprache erlaube dabei „die Worte entsprechend einer bestimmten phonetischen oder einer anderen Aufgabe zu zerbröckeln. Das Wort wird biegsam, schmelzbar, schmiedbar und dehnbar.“.
Die neue Sprache wird „zu einer emotionalen Begleitung“ der Stummfilmkunst und „strebt danach, international zu sein, wie das Film-Theater“.
Literatur:
Alexei Jelissejewitsch Krutschonych „Phonetik des Theaters“
Übersetzt, eingeleitet und kommentiert von Valeri Scherstjanoi.
1. Auflage
ISBN 978-3-9813470-5-0
Paperback: 19×12
10 Euro
Valeri Scherstjanoi: Mein Futurismus, 160 S.,
Matthes & Seitz Berlin, Mai 2011,
ISBN 978-3882216189
Valeri Scherstjanoi: lauter scherben: texte zeichnungen chronik
Books on Demand
EUR 18,80
Hier gibt es Bücher russischer Futuristen als Pdf
Vgl. hier
Scherstjanoi in L&Poe