109. Gedicht

MOMBASA ISLAND, ZWEITER JULI, MEINE LIEBSTE
Yasmouni, arbeite hier seit gestern als
Entwicklungshelfer, brauche Ablenkung, bevor ich
Endlich wieder was mit einer Frau
Anfange, zuviel Freundschaft zuletzt immer und
Zuwenig Liebe, es ist immer das
Gleiche, bemühe ich mich um
Eine, geht sie am Rand von Sachsen
Schlittschuh laufen, beachte ich sie
Kaum, sind wir ein Paar, ich fahre
Medikamente und Tee nach Tansania und
Ins Landesinnere, da mein Zimmer direkt
Am Tiefseehafen von Kilindini Harbour
Liegt, kann ich keine Nacht schlafen, ständig
Muß ich mit anhören, wie Datteln, Trockenfische
Und Truhen verladen werden, dabei wollte ich
Doch nie nach Afrika, Rimbaud wollte dorthin, ich
Nie, überall Müll und Gemüse, Tücher, Schlangen
Und Ratten, Ratten und Schlangen, die
Garstige Trockenheit an den Wellen der Bleche, die
Barfrau im La Marina kommt aus Trondheim, auch nicht
Gerade um die Ecke, ihre Augen, ihre Haare, ihre
Schultern, theologische Vollkommenheitsbeweise
Zugunsten von Sehnsucht und Toblerone, ihre Art, nie
Mehr Fleisch anzurühren, macht aus mir einen glücklichen
Idioten, ich weiß schon gar nicht mehr, warum ich
Dir das alles schreibe, wenn du keinen Kontakt willst,
Im La Marina, mußt du dich aus allem raushalten und
Stundenlang Erdnüsse kauen, könntest du
Den Ring vom kleinen Finger an der rechten Hand
Bitte einen Finger weiter vorn tragen, davon wird dein
Innenleben heller, deine Seele
Bindungsfähiger, die letzte Nacht habe ich
An einem Container gelehnt, weil ich dachte, er
Macht nicht mehr lange, mit der Stirn und den Händen
An der versprengten Etüde eines Containers,
An den Rippen, an den Klippen eines
Sich nie mehr vom Festland loseisenden
Containers, das ist Afrika, wieviele Haare
Man in den Jahren verliert, erkennt man am
Ehesten nach Umzügen, Garantien der
Ausgekratztheit, die Flusen, die Wüste, der
Staub, dürres, regalloses, inwendiges Gras, mit einem
Hang zu gar keinem Gras, im Herzen des Landes, eine
Frau, die Gott geschickt hat, auf einem Fahrrad mit
Korb, einem Einkaufskorb, einem Einkaufskorb,
Halluzinationen, Erschütterungen, Stotterei, die
Mängel einer vergeblichen Vertrautheit, ihre
Hände nur mit einer Schachtel
Erdbeeren bekleidet, nur ihre Hände, der Rest
Spielt keine Rolle mehr, das ist Afrika, warum ich
Dir das alles schreibe, du bist vielleicht gut, ich brauche
Afrika, bevor ich endlich wieder was mit einer
Frau anfange, einer Frau, die mich selbst
In der Öffentlichkeit monströser Basare und Bibliotheken
In einer schwarzen Badestola in den Wahnsinn
Treibt, und das tust du, du
Glaubst doch wohl nicht wirklich, daß ich
Hierbleibe, nach all den Jahren der Idiotie, der
Leichtsinnigkeit, der Mitschuld und des
Verstandes.

Thomas Kunst, aus dem neuen Band „Legende vom Abholen“, Edition Rugerup / Nimrod Förlag AB



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