Nachdem die spanische Linke Miguel Hernández (30. 10. 1910 – 28. 3. 1942) jahrzehntelang als ihren Helden verehrt hat, ist er zu einem Dichter aller Spanier geworden. Die spanische Regierung anerkennt ihn heute als Opfer der Franco-Diktatur. Doch das von der Franco-Justiz gegen ihn verhängte Urteil besteht weiter.
… Doch trotz der Begeisterung war das Publikum ideologisch gespalten. Politisch links orientierte Spanier feierten den Dichter als ihren Märtyrer; die meisten Rechten hingegen scheuten ihn wie der Teufel das Weihwasser. Schliesslich war Hernández nicht nur Kommunist, sondern auch ein Abtrünniger.*
In einem berühmten Gedicht beschreibt Hernández seine ideologische Kehrtwendung poetisch: «Lächelt mir zu / wie bin ich zufrieden, mich befreit zu haben / von der Schlange der zahllosen Kirchenkuppeln / Schlange mit Messgewändern beschuppt und Kelchen; ihr Schwanz träufte mir Galle in den Mund, ihre Henkerringe / knechteten, machten unglücklich das knorrige Blut meines / Herzens. / Gequält komme ich aus der Hölle irrer Weihrauchbecken / aus jener albernen Herrlichkeit: lächelt mir zu.» Mit derart antiklerikalen Versen konnten sich viele konservative Spanier auch nach dem Übergang von der Franco-Diktatur zur Demokratie nur mühsam abfinden.
Doch mittlerweile ist eine neue Generation herangewachsen. Anlässlich des hundertsten Geburtstages von Miguel Hernández erlebt Spanien eine wahre Flut öffentlicher Veranstaltungen zu Ehren des Dichters, und zwar quer durch die politische Landschaft. In Hernández’ traditionell rechts-konservativ regierter Heimatstadt Orihuela setzt die Stadtverwaltung neuerdings auf das Produkt «Miguel Hernández», um den Tourismus in Schwung zu bringen. «Fünf Millionen Euro hat die Stadtverwaltung für das Hernández-Jahr bereitgestellt», erläutert Pepa Ferrando, Chefin des lokalen Kulturamtes. / Martina Sabra, NZZ 29.10.
Ausserhalb Spaniens erinnern zahlreiche spanische Kulturinstitute in aller Welt an den Dichter. Das Cervantes-Institut in Brüssel zeigt derzeit eine Ausstellung mit Werken spanischer Gegenwartskünstler, die sich visuell mit Hernández auseinandersetzen. – Die im Text zitierten Gedichte stammen aus: Miguel Hernández – Gedichte/Poemas. Aus dem Spanischen von Erich Arendt und Katja Hayek-Arendt. Kiepenheuer und Witsch, Köln 1965.
*) Und wir in Deutschland scheinen die Scheu vor dem Weihwasser-Entweiher zu teilen. Während für viele Dichter seiner Zeit inzwischen Einzelausgaben oder Werkausgaben vorliegen (nicht in jedem Falle genug, das stimmt auch), gibt es von Hernández nur die Übersetzung von Erich und Katja Arendt, die 1965 bei Kiepenheuer & Witsch und 1972 in überarbeiteter Fassung beim Ostberliner Verlag Volk und Welt erschien.