108. Neue Lyrik 1961

Von Lnpoe

Goethe schrieb eine Rezension der Sammlung „Des Knaben Wunderhorn“, in der er zu den über 200 Gedichten des Bandes „das unterhaltende Geschäft [übernahm], sie alle der Reihe nach, so wie es uns der Augenblick eingibt, zu charakterisieren“. Da heißt es „Lieblich konfus und deshalb Phantasie erregend“ oder „Katholisches Kirchentodeslied. Verdiente, protestantisch zu sein.“ oder auch mal kurz „Glücklicher Einfall“.

In der sehr preiswerten Neuausgabe der Killy-Anthologie „Epochen der deutschen Lyrik“, die jetzt „Deutsche Lyrik von den Anfängen bis zur Gegenwart“ heißt und in 10 Bänden auf über 4000 Seiten chronologisch geordnet eine gar nicht kanonische Sammlung für weniger als 20 Euro erhält (!), gibt es einen nicht von Killy stammenden Nachtragsband der Lyrik von 1961 bis 2000. Gestern abend beschloß ich, diesen mir bisher neuen Band auf diese Weise zu erkunden. Ein unterhaltendes und ja vielleicht auch (für mich) lehrreiches Geschäft.

Da ich aber heute vom Geburtstag der Dichterin Dagmar Nick lese und sie zufällig 1961 dabei ist, rücke ich hier als Vorgeschmack den ersten Jahrgang eines offensichtlich lustvollen Rundumschlags ein, der eine Zeit in Anspruch nehmen wird.


1961

Ingeborg Bachmann: Ihr Worte – Sprachskepsis mit recht hohem Ton

Manfred Bieler: Wostok – Der Herzschlag der Kommunisten befiehlt der Sonne

Günter Eich: Wildwechsel – Empfiehlt den Dichtern, von Sprachsorgen, Kosmonauten und Jägern zu schweigen

Karl Mickel: Dresdner Häuser – Frühe, sehr kurze Fassung einer großen Ode, mit der man sich, hätte man sie gelesen, eventuell Tellkamps „Turm“ hätte sparen können

Dagmar Nick: Erinnerungsland – Eine konzise Aufforderung zum Minenlegen und Brunnenvergiften

Nelly Sachs: Im Lande Israel – Sie will nicht Kampfgesänge singen, sondern Blut und Tränen stillen und Erinnerungen bergen

Walter Killy: Deutsche Lyrik von den Anfängen bis zur Gegenwart. 10 Bände. dtv, München 2011, 4064 Seiten, 19,90 Euro.