Giorgio Orelli, der grosse Tessiner Lyriker, der heute seinen neunzigsten Geburtstag feiert, erkannte früh, dass das «Gefühl der Zeit» («sentimento del tempo»), wie Ungaretti es definierte, für sein Leben und sein Schreiben von zentraler Bedeutung sei. Schon in einem Jugendgedicht, «Prima dell’anno nuovo» (1952), beschrieb er sich selbst als «weder jung noch alt». Später, in «Sinopie» (1977), lässt er drei alte Männer zu Wort kommen, die er oft auf der Bahnhofstrasse in Bellinzona trifft, und fügt dann hinzu, er hätte gerne noch weitererzählt, von andern, die schon alle zu Rötelskizzen (sinopie) «mit jahrhundertealten Rissen» geworden sind. / Pietro De Marchi, NZZ