Und wieder einmal war es Wilhelm Müller, der ewig Unterschätzte, der eine genuin moderne Problematik auf den Punkt gebracht und deutlich gemacht hat: noch zu Lebzeiten Goethes: der stach im Divan, mit füchsisch ziselierten Gedichten wie Phänomen, durch schiere Spracharbeit schon Quellen an, die in das einflossen, was wir Moderne nennen. Müller machte geradeaus inhaltlich und motivisch dem Vorgängigen den Garaus. Ob wir es einmal noch erkennen? Müllers Dichtung wurde kein Schicksal für uns, da sie sich in das Lied zurückgezogen hatte und mit den Zyklen Schuberts den schönsten Kokon erhielt, um ungestört und unerkannt zu überwintern. Müllers fintenreiche politische Dichtung, seine unvertonten Lieder schlummern gänzlich ungelesen; seit 1994 schlummern sie zumindest in einer verlässlichen und vollständigen Ausgabe. Wie genau und präzise er den Bildvorrat der ausgehenden Romantik ein Stückchen drehte, um eine ganz andere Erfahrung zum Ausdruck zu bringen, ist jedes Mal wieder die Entpuppung eines großartigen, aber düsteren Falters, wenn man sich etwas Zeit nimmt, um zuzusehen. / Tobias Roth, fixpoetry