104. Auf einer Grenze

Von Lnpoe

Der neu gegründete freiraum-Verlag aus Greifswald legt mit tEXt bILd den ersten Band einer auf drei Bände angelegten Ausgabe mit Texten von Angelika Janz vor. Und dieser erste Band enthält Visuelle Arbeiten, Essays zur Arbeitsweise und ein sehr instruktives Vorwort von Michael Gratz, in dem er anhand der Gebilde von Janz einen Begriff des Experiments und des Fragments jenseits akademischer und eben auch antiakademischer Hochnäsigkeit entwickelt. Einen Begriff also, der sich der Janzschen Arbeiten annimmt, ohne auf eine gewisse Verbeugung zu verzichten. Die Literaturtheorie findet hier zu einer dienenden Rolle zurück ohne unterwürfig zu sein. Sie bleibt selbstbewusst.

Aber sie, Janz, und mit ihr die Theorie, arbeitet eben auch auf einer Grenze, denn die ausgewählten visuellen Arbeiten bewegen sich in einem Zwischenreich aus Zeichen und Sinn. „Immer,“ so Janz, „bewahrte der fremdgedruckte Text, der Textkern, etwas für die eigene Sprache Schützendes auf.“

(…)

Man könnte Janz Verfahren als eine ästhetische Prothetik beschreiben. Sie nimmt vorgefundenen Text zur Grundlage und setzt ihm mit der Schere zu, zerlegt und verstümmelt ihn. Nun aber wird er repariert oder besser ergänzt. Aber eben nicht im Sinne einer herkömmlichen Prothetik, die versucht auf mehr oder weniger einfallsreiche Art einen ursprünglichen Zustand, oder eine dem Unfall vorausgegangene Funktionalität wieder herzustellen, sondern in dem ein neuer Sinnraum geschaffen wird. Dieser rührt zwar von der Vorlage her, weil diese aber eben nicht rekonstruiert wird, entspinnt er sich in Freiheit.

Das Ergebnis sind Textgebilde die auf beiden Ebenen wirken, der visuellen und der semantischen. Ein verblüffendes Ergebnis, das das Bildhafte des Textes, und zwar über das konkrete Gebide hinaus, in den Blick und ins Bewusstsein treten lässt. / Jan Kuhlbrodt, lyrikkritik.de (unter Rezensionen)