Preiwuß’ Gedicht ist der Versuch einer Selbstvergewisserung in einem Moment, da das Ich angesichts eines nahe rückenden Todes verloren zu gehen droht. Wie an Geländern und Wänden tastet es sich an bestimmten, Assoziationen provozierenden Begriffen entlang und in zwölf Kapiteln durch eine durcheinandergewirbelte Welt: Die Schädeldecke ist die äußere Begrenzung, die literarische Tradition innere Quelle für zahlreiche Referenzen. Die Liebe ist in diesen Gedichten das Nicht-Benannte, aber immer wieder umkreiste; das eigene Ich Echoraum und Spielfläche zugleich. Immer nah am Körper, der die Sprache erst hervorbringt, bewegen sich diese Texte. Verschattet erscheinen sie von jenen größeren Fragen, die selbst in den verspielten Passagen stets berührt werden. Die Dämonen sitzen hier nicht nur zwischen den Zeilen.
Preiwuß scheut sich dabei nicht vor einem existenziellen Ton, wie man ihn in der zeitgenössischen Lyrik so lange nicht gehört hat. Es klingen darin Stimmen vergangener Zeiten an, ob Paul Celan oder gar Rilke; aber auch zeitgenössische Dichterinnen wie Friederike Roth scheinen ihre Spuren in rede hinterlassen zu haben. Und doch spürt man die Unbedingtheit dieses lyrischen Ich, sich selbst zur Sprache zu bringen, einen eigenen Sound entstehen zu lassen: “sprache atemluft / sprach pure atemluft / sprach von atmen von purer atemluft”. Eine Notwendigkeit ist hier zu spüren. Sie macht dieses genau komponierte, eine Balance zwischen Leichtigkeit und Ernst suchende Langgedicht zu einem besonderen und Kerstin Preiwuß zu einer eigenständigen, ausdrucksstarken Stimme unter den Lyrikern ihrer Generation. / Ulrich Rüdenauer, Die Zeit
Kerstin Preiwuß: rede
Suhrkamp, Berlin 2012; 87 S., 8 €