10. Oktober 2010, Diebes Albtraum, 17.39 Uhr

Von Guidorohm

Lesungen erinnern mich an die Schule, an dieses Vortreten und Präsentieren.
Hatte also gar keine Lust auf die Lesung in Frankfurt. Wir fuhren trotzdem. Ich stand zu gewohnter Zeit auf. Die Nacht tränkte noch die Welt in Abwesenheit. Alles ersoff im Schwarz und wusste nichts davon. (Nur die Trinker kennen die Gefahren, schlafen nicht, und saufen sich davon.)
Ich hinterließ rasch ein Tagesprogramm in der Pathologie, eine Speisekarte, von der ich hoffte, die darauf aufgeführten Gerichte würden mich satt machen und vor allem auch schmecken. Trank meinen Nachtkaffee, rauchte meine Zigarette und dann ging es schon los, wir packten den Koffer, die Müdigkeit und die Ängste und fuhren nach Frankfurt.
Unterwegs überkam mich der Kaffee, er ließ mich wippen, da musste es einen Sound geben, den nur ich hören konnte. Also ran ans Messegelände. Wagen geparkt. Schon sprang ich zwischen den Büschen hindurch ins nächste Dickicht. Lag an meinem unbändigen Forschergeist, meiner Liebe zur heimischen Flora und Fauna, aber auch an einer übervollen Blase, die es auf keinen Fall zum Buchmesseeingang schaffen würde. Mein Gesicht durchlebte die Emotionen eines ganzen Lebens. Kehrte zurück, die Seraphe hatte mich natürlich vermisst, ich zeigte in Richtung der Büsche, stammelte, wollte unbedingt mal wissen, was sich dahinten so befindet.
Wir trabten los, wurden eingeholt, holten ein. Ließen zwei alte Leute hinter uns. Da fand ein Wettkampf statt, von dem wir nichts wussten.
Menschen über Menschen vor dem Eingang. Wir stellten uns an, schoben mit an, irgendwann würde der ausgeübte Druck doch Wirkung zeigen müssen. Punkt 9.00 Uhr hatten wir unser Ziel erreicht, der menschliche Rammbock platze in die Flure und erzeugte sogleich Messegeschehen.
Mein Handy klingelte. Alban rief an. „Pack es nicht. Bin noch unterwegs. Sehen uns später.“
Also wohin? Halle 3, dann Halle 4. Suhrkamp bringt „Zettels Traum“.
„Könnten wir das Buch in deine Tasche packen?“
Seraphe sah mich erstaunt an. „Du willst es klauen.“
„Klar. Bekommt eh keiner mit.“
Leider passte „Diebes Albtraum“ dann doch nicht in Seraphes Handtasche.
Raus. Eine Zigarette. Rein. Geschiebe, Gedränge, Gekeuche. Kamen an einer Lesung vorüber. „ … dann spreizte sie ihre Oberschenkel …“ Ein erotischer Roman. Gelesen von einer Autorin mit Kinderbuchstimme. Gewagt, dachte wir und zogen kichernd in den nächsten Gang.
Die Stunden strichen uns um die Füße, zogen schließlich davon.
„Wir sollten in die Stadt. Etwas essen …“
Also rief ich noch einmal bei Alban an.
„Steh hier gleich um die Ecke“, sagte er.
Hin.
„Da ist er ja.“
Ein kurzes Gespräch. Alban wird meinen nächsten Roman lektorieren.
„Muss jetzt wieder rein“, sagt er.
„Müssen jetzt wieder raus“, sagen wir.
War aber gar nicht so einfach. Wir irrten da umher, Seraphe nannte mich Odysseus, wir kamen an einer Sirene im Interview vorüber, klatschten keinen Beifall, suchten immer noch nach dem Ausgang.
„Wir werden hier verhungern.“
„Nö. Hier gibt es eine Menge Wild. Wir kämen durch.“
Wir paddelten uns durch das Menschenmeer. Schoben Gesichter zur Seite. Wurden endlich ans rettende Ufer gespült.

(Fortsetzung folgt)