10. April, Reise durch die Weltliteratur (in vier Schritten), 6.00 Uhr

Kaffee, Zigarette.
Es ist eine Menge los um diese Uhrzeit, da platzt die Welt bereits aus allen Nähten. Es purzelt in den Tag hinein, was nicht länger das Kleid der Nacht tragen möchte. Rachen und Schnäbel krächzen, Autos brummen, unzufrieden darüber, schon so früh auf die Straßen gejagt zu werden.
Ich laufe durch die Wohnung, leise, mit nackten Fußsohlen, um niemanden zu wecken. An den Büchern entlang. Das sind nur einige Meter, die durch unzählige Welten führen. “Entschuldigung”, murmele ich, als ich plötzlich bei Leopold Bloom im Klo stehe. Der sieht mich erstaunt an, denn das Stück, das er hier gibt, wird zwar seit Jahren aufgeführt, hatte bisher aber noch nie einen hessischen Schriftsteller mit wirrem Blick zu bieten. Also rasch raus da und einen Schritt weiter, der mich an der horizontalen Position eines Hans Castorp vorübereilen lässt, der etwas tut, worüber ich hier nicht schreiben will, weil man das im deutschen Roman jener Tage und vor allem auch im Weltverständnis dieses Autors nicht tut. “Habe nichts gesehen”, murmele ich und springe und lande mitten auf einer Landstraße, auf der, Sie können es sich denken, zwei Typen rumlungern, die seit Jahren auf … Sie werden weiter warten, denn dafür sind Sie schließlich erfunden worden. Mit manchen Gestalten muss man Mitleid bekommen. “Haben Sie ihn gesehen?” Ich schüttele nur den Kopf, öffne eine Tür und bin … “Humbert? Wie können Sie …?”, schreie ich und halte mir die Hand vor die Augen.
Unbeschadet durch die Weltliteratur zu flanieren, ja, das muss man erst einmal hinbekommen. Man tritt in all diese privaten Situationen, die man sonst doch nur als Voyeur genießt. Zum Glück gelange ich im nächsten Anlauf an meinen Schreibtisch, der mich mit mir und meiner Welt konfrontiert, die, ich öffne die Worddatei, aus … Schon wieder eine dieser verirrten Kugeln. Jetzt schnell. Speichern. Schließen. Krimiautoren haben es auch nicht leicht.
Vielleicht sollte ich mich auf Liebesromane konzentrieren, seichte Stücke, die in einer schönen Landschaft spielen, mit Menschen, die sich die ganze Zeit über anlächeln und in irgendwelchen Gebüschen verschwinden, um Kinder zu zeugen, die dann dem Alkohol zusprechen, weil sie nie einen Vater hatten, an den sie das Wort richten konnten, wollte der doch nur vor Gebüschen, nicht aber vor Wiegen stehen.
Die Literatur ist kein Spiel, sie ist echt und sie ist gefährlich.



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