1: 0 für Hakoah

Schnell, spritzig, witzig, tiefgründig, bunt, schwarz, frech. Das Volkstheater öffnete den Rasen für seine zweite Premiere in dieser Saison: Hakoah Wien. Ein Stück von Yael Ronen, einer österreich-israelischen Autorin und Regisseurin, die darin einen Teil ihrer Familiengeschichte aufarbeitet.

Das am Theater häufig verwendete dramaturgische Stilmittel des Spiels im Spiel wird auch hier eingesetzt, allerdings auf eine herzerfrischend neue Art und Weise. Die Schauspieler (Michael Ronen, Knut Berger, Sebastian Klein und Julius Feldmeier) sowie Birgit Stöger, einzige Frau des Ensembles, werden vor dem Hintergrund eines aufgeklappten Fussballrasens wie Spielerinnen und Spieler in einem Stadion angekündigt. Dabei erfährt man woher sie kommen, wo sie schon gespielt haben und es wird auch die Frage in den Raum geworfen, ob dieses Spiel heute in Wien, „in der Hauptstadt“, denn auch bestehen könne. Seine Österreich-Premiere erlebte das Stück 2012 in Graz, viel umjubelt.

Michael Ronen, Bruder der Autorin, mimt mit Verve und in jeder Sekunde überzeugend einen jungen israelischen Soldaten. Dieser wird, da er Deutsch spricht und ein Unterhaltungstalent hat, nach Wien geschickt, um hier nach der 2. Intifada Stimmung für sein Land zu machen. Ronen verleiht der Figur des Michael Fröhlich scharfe, glaubwürdige Konturen. Dafür spricht er abwechselnd in Deutsch und Hebräisch. Bei der Vorstellung seiner Person und seines Berufes macht er rasch klar, dass das Soldatenleben den Charakter eines Menschen völlig verändert.  „Plötzlich hast du dich verloren“ – mit diesen Worten erklärt er jenes psychologische Phänomen, das Menschen in unerträglichen Ausnahmesituationen befällt. Dankbar nimmt er die Auslandsreise an, denn das Leben in Israel ist ihm unerträglich geworden.

In einem Monolog malt er dem Wiener Publikum zu Beginn ein Horrorszenario an die Wand. Eine Explosion in einer Wiener Straßenbahn, ein Überfall auf der Ringstraße, ein Selbstmordattentäter im Riesenrad. Die werten Damen und Herren mögen sich das vorstellen, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie es in Israel zugeht. Aber er spart auch nicht mit Kritik an der eigenen Armee und bekommt dafür Zwischenapplaus.

Bei seinem Aufenthalt in Wien macht er Bekanntschaft mit einer jungen Frau, die auf der Suche nach ihrer Vergangenheit ist. Durch alte Fotos, die ihre Großmutter hinterlassen hat und ihre Nachforschungen bei Michael Fröhlich, wird ihr im Laufe der Geschichte klar, dass sie jüdische Wurzeln hat. Ein Schicksal, das sie mit gar nicht wenigen Europäerinnen und Europäern teilt und das jetzt erst nach und nach auch vielen bewusst wird. Birgit Stöger zieht als Michaela Aftergut viele Register. Dabei schlüpft sie als unkonventionelle Therapeutin, als missachtete Ehefrau, als verzweifelnd Suchende und schließlich auch als kurz Verliebte in unterschiedliche emotionale Zustände. Wunderbar jene Szene, in der sie beginnt, jüdische Gebote zu befolgen und dabei ihren Ehemann Oliver völlig vor den Kopf stößt. Das Wasser, dass er ihr nicht reichen kann, vielmehr aufgrund eines Reinheitsgebotes nicht reichen darf, wird zur Lachnummer. Es ist nur eine von vielen Stellen, in denen die Autorin ihre eigene Religion persifliert. Ein Umstand, der bislang jüdischen Schriftstellerinnen und Schriftstellern vorbehalten ist, wollte man nicht sofort in ein antisemitisches Eck geschoben werden.

Michael erlebt in Wien eine Leichtigkeit des Lebens, die für ihn bis dahin völlig unbekannt war und landet schließlich durch einen Zufall in der Wohnung eines Hooligans. Dass darin einst Michaels Großvater wohnte, wie sich herausstellt, davon will Ulf der Fußballfan nichts wissen. Yael Ronen spielt hier auf die Problematik an, dass allein in Wien mehr als 10.000 Wohnungen arisiert und die wenigsten davon an ihre rechtmäßigen Besitzer zurückgegeben wurden. Sebastian Klein ist als Ulf aber auch als Kommentator zu erleben.  Großartig, wie er die Eheszene zwischen Michaela und Oliver kommentiert. „Unschöne Szenen, ein schlechter Spielzug“, Sätze wie diese aus dem Fussballerjargon illustrieren treffsicher die Nicht-mehr- oder Gerade-noch-Beziehung der beiden.

Auf höchst kunstvolle Art und Weise gelingt es Yael Ronen die Personen in ganz unterschiedlichen Charakterzügen aufzuzeigen. Schwarz-Weiß kommt dabei nicht vor. Jeder und jede von ihnen dürfen in unterschiedlichen Farben schillern und ihre guten und weniger guten Seiten zur Schau stellen. Unter die Haut geht jene Szene, in der Oliver von seinem Idol Robert Enke erzählt, jenem deutschen Tormann, der Selbstmord beging. Im scharfen Scheinwerferlicht an der Bühnenkante ganz nah am Publikum sitzend, zeigt dieser bis zu diesem Zeitpunkt so raue Kerl seinen weichen Kern.

Eine Abfolge von Pointen liefern sich Michael und sein Großvater, gespielt von Julius Feldmeier. Letzterer hilft ihm als Geist bei einer Annäherungsszene an Michaela, die sich letztlich dann jedoch als Eigentor erweist. Feldmeier verkörpert auch die Rolle von Sascha, einem transsexuell auftretenden jungen Mann, der sich selbstbewusst die Therapeuten nach eigenen Kriterien aussucht. Durch seine Aktionen erklärt sich schließlich auch Olivers Abkehr von seiner Frau. Feldmeier brilliert in dieser Rolle, die diametral dem Großvater entgegensteht, den er ebenfalls zu interpretieren hat. Sinnfällig wird der verstorbene Mann bei seinem Erscheinen in braunes Licht getaucht, hilft seinem Enkel seine Vergangenheit zu verstehen und darf mit seiner damaligen Geliebten auch einmal nobel das Tanzbein zum Tango schwingen. Einst war er Spieler bei Hakoah, einer legendären Fussballmannschaft, die ausschließlich aus jüdischen Mitgliedern bestand und während der Nazizeit aufgelöst wurde.

Sein Gang ins Exil wird im Programmheft mit dem tatsächlichen Fortgang von Michael Ronen aus dem heutigen Israel verglichen. Die Entscheidung, in einem neuen, fremden Kulturkreis ein neues, ein besseres Leben zu beginnen, wird dabei von Yaels und Michaels Vater Ilan Ronen, dem künstlerischen Leiter des Israelischen Nationaltheaters Habima in Tel Aviv, scharf kritisiert. Darf ein junger Israeli sein Land verlassen ohne die Ideale seiner Vorfahren, die dieses Land gegründet haben, zu verraten?

So leicht und locker, so spritzig und witzig der Abend über den Rasen, pardon über die Bühne kommt, so tiefsinnig sind die einzelnen Geschichten, die dahinterstehen. Yael Ronens Stück trifft mit ihrer Interpretation des jüdischen Zeitgeistes ins Schwarze. Der Humor, den sie auch in problematischen Stellen einsetzt, ist ein typisch jüdischer. Lachen und Weinen, beste Unterhaltung und tiefste Betroffenheit liegen so nah beeinander, dass einem dabei schwindlig werden kann.

Bei diesem Spiel gibt es keine Nachspielzeit. Nach genau 90 Minuten ist Schluss. Noch einmal kommen alle atemlos in kurzen Interviews zu Wort bevor sich das Stadion leert. Langanhaltender, heftiger Applaus für eine tolle, moderne Inszenierung, die richtig Lust auf das Kommende im Volkstheater macht.


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