08.11.2013: Das deutsche Kaiserreich 1871-1914

Von Cornelia Wilhelm @NiveauKlatsch
Gestern haben wir uns in der Vorlesung zum Kaiserreich mit einigen wichtigen Fakten zum Thema befasst... und das ein oder andere verwunderte Gesicht gab es auch. =) Lest selbst.
Mit der Reichsgründung im Jahre 1871 war das Reich noch lange nicht "fertig" oder "abgeschlossen". Es galt, die Gründungsphase, deren Grundstein in Versailles gelegt wurde, auch irgendwie nach innen abzuschließen. Das war jedoch nicht soooo einfach. 25 einzelne Staaten mussten irgendwie zusammen finden. Es gab kein einheitliches Rechtssystem, keine gemeinsame Währung usw. usw. .
Und was war mit einer Verfassung? Immerhin stellt eine eben solche doch eine Art Klammer des Rechtssystems dar und ist seit dem späten 18. Jahrhundert das Kennzeichen moderner Staaten... . 
Um eine Verfassung hatte sich Bismarck schon vor 1871 gekümmert. Der gelernte Jurist verhandelte schon im Vorfeld mit den Einzelstaaten eine Verfassung nach seinem Geschmack. Als Grundlage nahm er daher die Verfassung des Norddeutschen Bundes von 1867. Keine wirkliche Innovation also. In Bezug auf die Verfassung für den neu zu gründenden Staat änderte sich lediglich, dass den süddeutschen Staaten gewissen Sonderrechte eingeräumt wurden. Bayern wollte zum Beispiel seine Biersteuer selbstständig festlegen dürfen. 

Am 3.3. 1871 fand die erste Reichstagswahl statt. Diese war allgemein, direkt, geheim und gleich. Zu dieser Zeit bedeutete dies: Wahlrecht für Männer über 25. Dennoch handelte es sich bei dieser Wahl um eine relativ demokratische Variante, wenn man sich mal im Rest von Europa umsah. Demgegenüber stand auch beispielsweise das "3-Klassen-Wahlrecht", welches in Preußen von 1849 bis 1918 angewendet wurde. Hier hatten diejenigen mehr Stimmen, die die meisten Steuern zahlten. 

Bismarck erhoffte sich natürlich durch die Einführung des gleichen Wahlrechtes, dass vor allem die Stimmen der ländlichen Bevölkerung den konservativen Parteien zukommen würden und er damit den Liberalismus schwächen könnte. Das Ganze war aber eine Fehlannahme. Bismarck hatte nicht mit der wachsenden Arbeiterbevölkerung gerechnet, die sich auf die Seite der Sozialdemokraten schlug. 1871 waren gerade mal zwei Sozialdemokraten im Reichstag, 1912 schon 110.

Frauen durften übrigens zum ersten Mal im Jahre 1919 (verfassungsgebende Nationalversammlung) in Deutschland wählen. Es handelte sich hierbei um eine der Kernforderungen der Sozialdemokraten.

Damit war Deutschland aber auch vergleichsweise gut dran. In den USA durften Frauen erst 1920 (auf Bundesebene) wählen, in Großbritannien sogar erst 1928.
Militärangestellte und Soldaten hatten übrigens KEIN Wahlrecht im Deutschen Reich. In der Idealvorstellung sollte die Armee über den Parteien stehen und damit auch ohne parteipolitische Bindung sein. 

1871 lag die Wahlbeteiligung nur bei 51%. Immerhin war noch Krieg und viele Menschen wussten noch nicht um die Bedeutung der Wahlen. Derjenige, der seinen Wahlkreis gewinnen (entweder durch absolute Mehrheit oder im zweiten Wahlgang durch einfache Mehrheit) konnte, durfte zu dieser Zeit in den Reichstag einziehen. Insgesamt existierten im Jahre 1871 382 Wahlkreise, 1874 dann 397 Wahlkreise (durch die Abtretung Elsass-Lothringens).

Zu dieser Zeit galt (noch) das Mehrheitswahlrecht. Die Sozialdemokraten hingegen forderten das Verhältniswahlrecht, welches dafür sorgte, dass einzelne Parteien in der Weimarer Republik stark zersplitterten. 

Zwischen den Jahren 1871 und 1912 waren die Sozialdemokraten die stärkste Partei und wuchsen immer mehr. 

Demgegenüber stand das "ZENTRUM", der politische Katholizismus, der sich vor allem in Gegenden wie Bayern einer großen Beliebtheit erfreute. Andere Parteien hatten andere Schwerpunkte. (konservative Parteien waren in den ländlichen Regionen beliebt usw..)
Insgesamt kann von 5 Parteiengruppierungen (zwei konservative Parteien, 3 bzw 4 liberale Parteien) während der Zeit des Kaiserreiches gesprochen werden.

Parallel dazu stieg die Wahlbeteiligung immer mehr an. 1912 wählten bereits fast 90% der Wahlberehctigten. Man spricht hier von einer "Fundamentalpolitisierung". Dieses hervorgerufene Interesse an Politik ist vor allem auch der Expansion der Presselandschaft zu verdanken.

In Bezug auf die Verfassung von 1871 scheiterte die ZENTRUMspartei mit einem Änderungsantrag. Sie machten sich für die Einführung eines Grundrechtekatalogs stark. Dieser wurde jedoch von den Liberalen abgelehnt, da er die christlichen Kirchen bevorzugt hätte. 

Heute bildet der Grundrechtekatalog den Artikel 1- 19 im Deutschen Grundgesetz und steht damit an der Spitze.

Doch wer hatte eigentlich wem im Kaiserreich was zu sagen?

Der preußische König konnte sich immerhin schonmal sicher sein, irgendwann Kaiser des Deutschen Reiches zu werden. Er hatte damit den Reichskanzler, also den Vorsitzenden der Staatssekretäre, unter sich, den er berufen und entlassen konnte. Außerdem war er Oberbefehlshaber über die Streitkräfte. Der Kanzler benötigte für seine Gesetzgebung die Mehrheit im Reichstag. Dieser hatte nur in finanziellen Fragen ein Mitbestimmungsrecht. Der Kaiser konnte den Reichstag auflösen und einberufen. Der Bundesrat verfügte nichtmal über ein eigenes Geäude und spielte im politschen Leben weniger eine Rolle. Er wurde von den Regierungen der Bundesstaaten bestimmt.

Die Reichsverfassung von 1871 wurde am 16. April mit großer Mehrheit verabschiedet. Am 28.10.1918 erfuhr sie die erste wesentliche Änderung. Von nun an brauchte der Reichskanzler die Mehrheit im Parlament. Es handelte sich hierbei um eine Forderung der demokratischen Kräfte, die jedoch so nie umgesetzt werden konnte.

Dennoch fehlten dem Deutschen Reich typische Zeichen eines Staates.

Warum?
Frankreich hatte eine Nationalhymne. Die "Marsaillaise" übernahm diese Funktion in Frankreich von 1795 bis 1804 (abgeschafft durch Napoleon), von 1870 bis 1940 und dann wieder ab 1946 bis heute.
Das Deutsche Reich hatte keine offizielle Nationalhyme!
Fallersleben schrieb bereits im Jahre 1841 "Das Lied der Deutschen". Dieses kam für Bismarck aber nicht in Frage, da Fallersleben ein "Linker" war. Zudem schrieb er das Jahr auf Helgoland, was damals zum britischen Territorium gehörte. Ach ja: Und "Einigkeit und Recht und Freiheit" war in Bismarcks Augen auch suboptimal. Erinnerte an Revolution... und war daher "Bäh!". Fallersleben lehnte sowieso die deutsche Staatsgründung ab, da es sich bei ihr nicht um den demokratischen Staat handelte, den er sich so sehr gewünscht hatte. Julius Campe, ein Verleger aus Hamburg, brachte "das Lied der Deutschen" dennoch nach Deutschland, da er in seiner Stadt nicht der strengen Zensur der Preußen unterlag. Er war es übrigens auch, der Heine förderte. 
Das Lied wurde erst in der Weimarer Republik (durch Ebert) zur Nationalhymne. "Ersatzfunktion" bis dahin hatte "Heil dir im Siegerkranz" mit der Musikkomposition eines britischen Komponisten.

In Bezug auf die Nationalfahne zeigte man sich sehr flexibel. Schwarz-rot-gold ging nicht. Zu demokratisch! Man tauschte also das Gold durch Weiß. Erst 1922 kam wieder schwarz-rot-gold zum Vorschein (durch die Sozialdemokraten), 1933 wurden die Farben wieder abgeschafft, seit 1949 haben wir sie wieder.

Dass die Wahl auf "weiß" fiel, war Zufall. Mehr oder weniger zumindest. Schwarz und weiß waren ohnehin die preußischen Farben, weiß und rot fand man in vielen Stadtwappen.
Erst mit der Proklamation Wilhelms II. zum Kaiser schaffte man sich ein Wappen an.
Ach ja: Einen Nationalfeiertag gab es auch nicht. Nein, auch nicht der Sedan-Tag am 02.09., an dem man 1870 die französische Armee geschlagen hatte.