02.07.2013: Gregorius und der arme Heinrich (10)

Von Cornelia Wilhelm @NiveauKlatsch

Hallo und guten Abend ihr Lieben! Während die Mannschaft von Herrn Pocher in diesen Minuten gegen den BVB antritt, sitze ich parallel dazu am Rechner und lasse mir das o. g. Seminar nochmal durch den Kopf gehen. =)
Also los:
Nach seiner Enttäuschung reist Gregorius also aus dem Kloster ab, will berühmt werden und auf aventure gehen. Sein Ziel ist es, damit Ehre und Ansehen zu erreichen. Aber wie erreichte man zu dieser Zeit Ansehen? Besonders hilfreich war es immer, einen starken Gegner zu bezwingen oder eine Lehnsherrin aus einer gefährlichen Situation zu retten. Oder am besten beides gleichzeitig... oder so ähnlich. 

Gregorius befreit also eine bedrängte Lehnsherrin. Normalerweise wäre der weitere Verlauf der Geschichte klar. Er heiratet die Landesherrin, wird damit selbst zum Landesherren und alles ist gut. Die Heirat beschert Gregorius einen höheren Rang in der Gesellschaft und eine familiäre Anbindung. 

Nach besagter Hochzeit erweist sich Gregorius als ein hervorragender Herrscher. Er ist gerecht und schützt sein Land. Zudem ist er freigiebig und maßvoll und als oberster Richter (= der Posten, den er als Landesherr erfüllt) ist er zudem fair.

Die Landesherrin gibt ihrerseits dem Druck der Fürsten, die einen Erben erwarten, nach und sichert mit der Hochzeit den Machterhalt des Hauses.

Welche Folgen eine ungeklärte Nachfolge in Bezug auf den Thron haben kann, zeigt sich an dem Zwist, der im Mittelalter zwischen Welfen und Staufern entstand.

Heinrich VI (Staufer) starb im Jahre 1197 in Messina. Sein Sohn, Friedrich II ("das Staunen der Welt") wurde im Jahre 1194 geboren und war daher noch zu klein, um in seine Fußstapfen zu treten. Also bekam er einen Vormund, Papst Innozenz. Heinrichs jüngster Bruder war Phillip. Dieser stand in Bezug auf die Thronfrage in Bezug auf die Thronfolge in direkter Konkurrenz zu Otto von Braunschweig, der 1198 zum Gegenkönig gewählt wurde und dem Haus der Welfen angehörte. Die Tatsache, dass nun Welfen gegen Staufer standen und die Kurfürsten, die den König zu wählen hatten, sich nicht einig wurden, bildete die Grundlage für 10 bis 15 Jahre Bürgerkrieg.

Wie auch immer. In der Geschichte des Gregorius zeigte sich die Landesherrin jedenfalls einsichtig. Lustigerweise hätte damals das Alter ihres Gatten keine Rolle gespielt. Oder anders: Hätte sie sich für einen viiiiiel jüngeren Bewerber entschieden (wobei zwischen ihr und Gregorius schon ein enormer Altersunterschied herrschte), hätte niemand komisch geguckt. 

Wie auch immer. Die Landesherrin ist fest der Meinung, "ihr Ritter" sei von Gott geschickt worden und heiratet ihn.

Hier vielleicht noch ein kleiner Exkurs zu Ehen in einem klassischen Artusroman:

Ziel einer Ehe im Artusroman ist es, die nächste Generation ins Leben zu rufen. Diese besteht im IDealfall natürlich auch wieder aus ehrenhaften und tüchtigen Rittern.

Wäre die Geschichte des Gregorius hier aber schon zu Ende, wäre es ja langweilig. Logischerweise wird die Tafel, die Aufschluss über seine Herkunft gibt, entdeckt. Bzw. ... ER wird entdeckt, wie er jeden Abend weinend vor ihr sitzt und das Schicksal seiner Eltern betrauert. Der Glaube an ein Fegefeuer und die Möglichkeit, die armen Seelen aus diesem, beispielsweise mit Hilfe von Führbitten zu retten, war/ ist im Christentum weit verbreitet. Gregorius erweist sich also auch hier als ein "guter, christlicher Sohn".

Die Frau, die auf ihn und sein Weinen aufmerksam wird, ist übrigens eine Magd. Es handelt sich bei dieser Figur um einen klassischen literarischen Topos. Mägde sind in Erzählungen dieser Art so gut wie immer neugierig, einfältig und auch ein bißchen ... blöd. Die Herrin bildet daher den direkten Gegensatz. Sie ist besorgt, zieht keine voreiligen Schlüsse, sondern überlegt sich, wie die Tafel zu Gregorius gelangt sein kann. 

Wir müssen den Sachverhalt an dieser Stelle nicht unnötig in die Länge ziehen:

Die Landesherrin ist nicht nur die Ehefrau des Gregorius, sondern auch seine Mutter. (*ups*)
Zwischen dem ersten und dem zweiten Inzest bestehen allerdings große Unterschiede...:
  1. Im ersten Inzestfall war der Bruder der aktive Part. Es gabe eine Rollenverteilung.
  2. Im zweiten Inzestfall waren beide unwissend und daran daher aktiv beteiligt.
  3. Beim ersten Fall wird die Schuld dem Teufel zugeschrieben.
  4. Beim zweiten Fall ist die Rede davon, dass Gregorius durch Gott an den Hof der Landesherrin gekommen ist.
  5. Im Rahmen des ersten Inzestes stirbt der Bruder an "gebrochenem Herzen", die Schwester soll lebenslange Buße tun. Die beiden konsultieren einen Ratgeber.
  6. Im zweiten Inzestfall soll die Mutter zwar Buße tun, aber trotzdem weiter (eine nonnenhafte) Landesherrin bleiben.
Dem Bereich der Buße wurde im Mittelalter eine große Bedeutung zugesprochen. Eine besonders bekannte Büßerbewegung waren die sog. Flagellanten. Sie nutzten die Selbstkasteiung, um zu (scheinbar) besseren Menschen zu werden und feierten auf diese Art ihre Gottesdienste. Diese Art der Laienfrömmigkeit stellte sich offen gegen den Papst und die Kirche. Es handelte sich in gewisser Weise um einen Protest gegen den Einfluss der Kirche.