Zehn Fragen zu zehn Büchern-gestellt bei Sätze und Schätze

Zehn Fragen zu Büchern, stellte vor einiger Zeit, Birgit in ihrem wunderbaren Blog Sätze und Schätze

Ich habe mir überlegt, jeder Frage einen eigenen Beitrag zu widmen.

  1. Das erste Buch, das du bewusst gelesen hast?

Lesen war mir verhasst.  Die Deutschlehrerin, eine linientreue Matrone, belächelte meine stammelnden Versuche. Ich muss in der 3. Klasse gewesen sein, als ich auf Grund einer Erkrankung meiner Mutter, zu ihrer Schwester kam. Mein Einzelkinddasein in einer Einfraufamilie  in Halle-Neustadt, wurde durch die Sangerhausenepisode abgelöst.

„Ja schau nur wie schmal sie ist“, sagte die Tante.  Und was für dunkle Augenringe. Ja kriegst du denn gar nicht den Mund auf, Kind? Wir werden dich schon aufpäppeln.“ Schüchtern, schweigend, verunsichert, bezog ich ein Bett im Zimmer meiner Cousine.

In Sangerhausen gab es alles was ich entbehrte: Einen Vater, Geschwister, Familienleben. Mein Vater hatte die Familie verlassen. Er war weg, aber im Keller lagen hunderte seiner Bücher, viele von Feuchtwanger.

Meine Mutter arbeitete, besuchte Parteilehrjahre. Sie war jung. Sie war „nur“ Gärtnerin gewesen.  Ihr hatte der Sozialismus eine Chance auf Weiterbildung gegeben. Studiert hatte sie jetzt, an der Humboldt Uni in Berlin. Sie die Tochter einer Flüchtlingsfamilie aus einfachen Verhältnissen, war nun eine studierte Sonderschullehrerin.

Sie las viel, bevorzugt Dostojewski , Scholochow und „Rebecca“. Ich las nie, weil die Buchstaben sich nicht zu Worten fügten. Weil sie herumsprangen wie wild gewordene Trolle.

Auch in der Sangerhausener Schule schrieb man Diktate. Zu meinem Leidwesen. Die erste Note-eine Vier. Die Tante war streng, ich unterschrieb lieber selbst. In großer krakeliger Schrift unterschrieb ich mit Vornamen. Die Deutschlehrerin war zugewandt und humorvoll. In Sangerhausen waren alle Dinge besser, sogar die Deutschlehrer.

Abends las mir die Cousine aus einem Buch vor.  Dieses Mal: Die Kinder im Tobteufelhaus, irgendeine moralisierende Geschichte über gute sozialistische Bauern, die ihr Arbeitskraft dem Staat schenkten und unangepassten, aufmüpfigen Kindern, die ins Tobteufelhaus kamen. Oh das war gruselig. Die Hexe schnappte sich jeden Tag ein Kind und dann!

Dann hörte Nelly auf zu lesen. “ Ich muss noch für die Hänsel und Gretel Oper üben.“ Sprach´s und tauschte das Buch gegen ein Notenblatt aus. Sie wollte zum Vorsingen.

„Bitte Nelly“, lies weiter. Kein Erbarmen. “ Nee, lies selbst.“ Also nahm ich das Buch wütend, zornig, befahl den Buchstaben sich zu fügen.

In meiner Erinnerung las ich bis spät in die Nacht. Die Tante kam rein um das Licht zu löschen, sah mich lesen und verließ das Zimmer wieder. Ich las!

In Halle -Neustadt zurück, zurück im Deutschunterricht, durfte ich schon am ersten Tag vorlesen.  Ich war aufgeregt, in Halle-Neustadt sprangen die Buchstaben, die Lehrerin schaute grimmig.  Ich holperte, stolperte und dann geschah das Wunder auch hier. Ich las, flüssig und betont. Ich sehe es noch wie heute vor mir, die Blicke die sich mir langsam und ungläubig zuwandten. Erlebnisse dieser Art brennen sich in das Bewusstsein ein. Selbstwirksamkeit. Das Lesen hatte ich für mich entdeckt, es war mir Familienersatz, Fluchtmöglichkeit, Ermutigung und Gesellschaft zugleich.



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