“Wir sind nicht die andern”: Gedanken zu Hermann Burger

Im Februar diesen Jahres erschien bei Nagel & Kimche eine achtbändige Werkausgabe des Schweizer Schriftstellers, Germanisten und Kritikers Hermann Burger, herausgegeben von Simon Zumsteg. Die umfangreiche Edition ruft, rechtzeitig zu dessen fünfundzwanzigstem Todestag, einen beinahe der Vergessenheit anheim gefallenen Autoren wieder ins Gedächtnis. – Einige Gedanken zu Leben und Schaffen des Immer-Anderen:

diabelli

Der Protagonist der Erzählung “Der Puck” möchte mit seinen Freunden Eishockey spielen, der Vater aber verwehrt ihm die dafür nötige Ausrüstung. Sie seien eben nicht die andern, sagt er. Wer nicht “die andern” ist, der ist eben der Andere, der Aussenseiter, der Einzelgänger. Dieser ist der klassische Burger-Typus. Einer “aus dem Geschlecht der Geschlagenen und der Gezeichneten, der Gejagten und der Getriebenen und also der ewigen, der vielleicht unheilbaren Monomanen”, wie Burgers Freund und Förderer Marcel Reich-Ranicki über den Autor selbst einmal schrieb.

“Immer hiess es: wir sind nicht die andern. Und zu spüren, dass wir nicht die andern waren, bekam ich es, einzig und allein ich.”1

Ausgestossene sind sie, seine Protagonisten, Vereinsamte und Patienten, gar “Omnipatienten”. Patienten, wie auch Burger selbst einer war: jahrelang litt er an Depressionen, am 28. Februar 1989 nahm er sich im Alter von sechsundvierzig Jahren  mit einer Überdosis Schlafmittel das Leben.  Zwei Tage zuvor hatte er in einem Interview gesagt:  “Der Tod ist nah, näher als auch schon.” Seine Helden – Wolfram Schöllkopf (“Die künstliche Mutter”, 1982), Peter Stirner (“Schilten”, 1976) – kranken an allem, an der Sexualität, der Familie, dem Schreiben und auch an der Heimat resp. der Schweizerischen Heimattümelei. Krankheit entsteht aus Kränkung, im Falle von Schöllkopf etwa dem Entzug des universitären Lehrauftrags – doch aus dem Schock, aus der Erniedrigung geht letztlich auch die Kunst hervor. In “Die künstliche Mutter” wird Hesses “Der Steppenwolf” zitiert: Die Schizophrenie sei der Anfang aller Kunst, heisst es da.  Burgers Kunst war das Schreiben, ein wortreiches, opulentes, virtuoses Schreiben, “Schreiben als Existenzform” lautete der Titel einer seiner Reden. Schreiben und Rauchen waren die beiden zentralen Lebensinhalte des Autors, er schreibe quasi nach dem Aroma des Stumpens, sagte er im oben bereits zitierten letzten Interview vom 26.2.1989. “Schreibend-Sein ist eine Stilform, der Realität zu begegnen”, sagte er in der bereits erwähnten Rede – und schrieb diese Lebensform auch gleich seinen Romanfiguren mit ein, etwa dem Peter Stirner aus “Schilten”: der “eigentlich nur das  [ist], was er da schreibt”, wie Philipp Theisohn in einer Besprechung mit Recht feststellte.

Hermann Burger: der sprachgewaltige writer’s writer, wie Nagel&Kimche-Verleger Dirk Vaihinger ihn nennt, einer der grossen Aussenseiter der Schweizer Literatur, vergleichbar etwa mit  Albin Zollinger, beinahe verloren im “Schaumbad des Kulturgeflüsters”, ein grossmütiger Geist, der das politische und kulturelle Leben seiner Zeit durchleuchtet und stets hinterfragt hat. “Im Gespräch zu sein stelle ich mir etwa so vor, dass man in einer Badewanne voller Schaum und ohne Wasser sitzt”, schrieb Burger einmal. Gewünscht hätte er sich, anstatt des Gesprächs, in dem alle auf einmal reden, einen Dialog nicht über, sondern aufgrund eines Werks. Es ist zu hoffen, dass die neue Werkausgabe viele Dialoge “zwischen Leser und Autor”, wie Burger sich das wünschte, aber auch zwischen Leser und Leser, entstehen mögen.


1. Hermann Burger. Der Puck. Erzählungen. Mit einem Nachwort von Adolf Muschg. Stuttgart: Reclam 1989.


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