Wieder einer der fehlen wird

Mit 86 Jahren kann man schon mal sterben. Insofern überrascht der Tod Dieter Hildebrandts nicht besonders. Da muss man realistisch sein. Keiner lebt ewig und nicht alle haben eine Garantie auf einen vollen Hunderter. Und trotzdem ...
Wieder einer der fehlen wird

Die besten Tage des Kabarettisten Hildebrandt habe ich nicht erlebt. Dazu bin ich zu jung. Was ich rückblickend oder als sein Spätwerk sah, war voller kabarettistischer Grandezza. Ein Clown war der Mann, der seinem Publikum unvollendete Sätze in den Geist legte, ganz sicher nicht. Er sagte mal, dass er keine Witze mache, sondern Pointen. Und das sei eine ernste Angelegenheit. Das merkte man ihm an. Er witzelte und frotzelte sich nicht durch die Kabarettszene, sondern hatte ein Anliegen: Der Macht auf die Finger und auf das Maul schauen. Es ins Groteske ziehen, Denkanreize liefern und den Ernst der Lage komödiantisch kenntlich machen. "Politik muss man nicht achten, man muss auf sie achten", hat er mal gesagt. Das tat er auf seine ganz spezielle Weise.



Hildebrandt trat gerne als Naivling auf, der viele Fragen stellte und sich die Antworten selbst gab. Manchmal auch, ohne den Antwortsatz zu beenden. Mit dem Ansatz solcher Antworten ließ er seine Zuhörer zurück. Kabarett war für ihn keine Lektion, die er den Leuten erteilen wollte, sondern ein Denkanstoß.


"Politik ist nur der Spielraum, den die Wirtschaft ihr lässt", hat er mal festgestellt. In den letzten Jahren hat er würdige Nachfolger gefunden. Man denke nur an Schramm. Auch eine grandiose Gestalt des politischen Kabaretts. Aber Sätze auf diese oben genannte Weise so sehr auf das Wesentliche zu reduzieren, das konnte wahrscheinlich nur Dieter Hildebrandt. Manchmal habe ich ohnehin den Eindruck, dass es im deutschen oder deutschsprachigen Kabarett keine Äußerung mehr gibt, die es nicht schon vorher als Zitat von Hildebrandt gab.


In den letzten Tagen und Wochen geisterte immer wieder ein treffliches Zitat über die Sozialdemokratie durch meinen Kopf: "Die SPD hat sich noch in jede Hose gemacht, die man ihr hingehalten hat." Es stammt natürlich auch von Hildebrandt und es passt aktuell ganz ausgezeichnet. Dieser Satz bringt die Koalitionsverhandlungen der Sozialdemokraten mit der Union auf den Punkt. Und damit wären wir beim Punkt: 86 Jahre ... erfülltes Leben ... schon alt - der übliche Quatsch, den man so sagt. Wir hätten diesen Dieter Hildebrandt noch nötig gehabt. Dringend sogar. Die Zeiten, die da kommen, wären eine schöne Spielwiese für ihn gewesen.


Wieder einer der fehlen wird. Ich denke da an Kreisler, an Degenhardt, an Semprún und Saramago. Ausgerechnet jetzt, da ihr kritischer Verstand im Verbund mit ihrer künstlerischen Kraft so notwendig gebraucht würde. Irgendwie habe ich den Eindruck, dass wir in unserer neoliberalen Zukunft mehr und mehr auf uns selbst gestellt sein werden. Ganz alleine ohne eine künstlerische Inspiration. Sie sterben uns alle weg.


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