wer hat dich, du schöner wald…

Im Wald, da sind die Räuber. Da stehen Hexenhäuschen, leben gesetzlose Rächer der Enterbten, Elfen, Trolle, Gespenster und vor allem wilde Tiere. Für den amerikanischen Philosophen Pogue Harrison ist der Wald “die Gegenwelt von Kultur”. Dabei bemüht sich der Mensch seit Jahrtausenden, das Dickicht zu kultivieren.

Und es gibt die Baumverehrung: Maibäume, Richtbäume, Baumhoroskope und Waldvorkommen in zahlreichen Theaterklassikern spiegeln ein bisschen von der jahrtausende alten Verbundenheit zwischen Wald und Mensch.

wald Dabei wuchsen in den Wäldern der Urzeit, also vor etwa 300 Millionen Jahren, laut Peter Gürth ausschließlich Schachtelhalme. Mit seinem Buch “Wer hat dich, du schöner Wald. 5000 Jahre Mensch und Wald in Baden-Württemberg” veröffentlichte der Autor im Silberburg-Verlag eine umfassende “Wald-Geschichte”, die weitaus weniger romantisch geprägt ist, als wir es aus Märchen kennen ist. Zahlreiche Eiszeiten beeinflussten nämlich die Entwicklung des Waldes über lange Zeit: in eisfreien Zeiten rückten die Bäume vor, in kälteren Episoden begruben massige Gletscher die Vegetation unter dicken Eisschichten.

Schriftliche Aufzeichnungen über den Wald gabs zwar erst von römischen Schriftstellern – Tacitus fand die germanischen Wälder “schrecklich” und die Sümpfe “abscheulich” – doch Makrofossilien mit luftdicht “verpackten” Blättern, Pollen, Früchten und Samen lassen allerlei Rückschlüsse zu, wie der Wald vor Zeiten aussah.

Nicht nur Temperaturen beeinflussen den Waldwuchs, auch die Fortpflanzungsweise verschiedener Bäume hat entscheidenden Einfluss auf die Zusammensetzung der Wälder. So werden die Samen von Aspe, Weide, Birke, Erle, Kiefer und Fichte vom Wind verweht und können recht schnell wandern und keimen, während Wildkirsche, Vogelbeere oder Holunder Vögel und Säugetiere zur Verbreitung ihrer Samen brauchen.

Irgendwann in neuerer Zeit trat dann der Mensch auf den Plan und wurde im Lauf der Zeit sesshaft – die Zeit der Rodungen begann. Von Anfang an war der Wald die Lebensgrundlage des Menschen, jetzt brauchten die Siedlungen, Äcker und Weiden der Jungsteinzeit Platz. Aus dem geschlagenen Holz entstanden Häuser und Hütten, Ställe, Zäune, Werkzeuge, Waffen, Boote, Wagen, Webstühle und Instrumente. Bis ins hohe Mittelalter war Holz der wichtigste Roh- und Werkstoff des Menschen. Den Kelten wurde zudem eine regelrechte “Wald-Mystik” zugeschrieben. Und seit Asterix und Obelix wissen wir, dass die Eiche den Druiden heilig war.

In der Mythologie der Germanen trägt die Weltesche Yggdrasil sogar die ganze Erde und verbindet sie mit dem Himmel und Unterwelt. Aus der Esche “stammt” der Mann und aus der Ulme der Mann. Wenn die Weltesche verdorrt, ist das Ende nahe. So glaubten die Germanen.

Dann stellte der Bergbau neue Anforderungen an den Wald. Es brauchte Holz, um Stein zu sprengen, um Schächte auszubauen, Salz zu sieden und Erz zu schmelzen. Vermutlich wurde auch schon Holzkohle verwendet.

Vorher tobten noch die Römer durch die Wälder, schlugen Holz für Lager, Grenzwälle und Handwerk. Außerdem rodeten sie für Straßen, wie die Römerstraße von Augsburg nach Straßburg, die streckenweise durchs Kinzigtal im Schwarzwald führt.

Anschließend übernahmen die Alamannen das Land, bauten neue Siedlungen, Höfe und Befestigungen. Funde zeigen, dass ihre Schreiner und Drechsler geschickt mit dem Werkstoff Holz umgehen konnten. Zwischen 1100 und 1300 erreichten die Rodungen schließlich ihren Höhepunkt, Kathedralen, große Kirchen, Glasereien, Köhler und nicht zuletzt der Brennholzbedarf dezimierten den Baumbestand.

Trotzdem gab es noch zahlreiche unberührte Wälder, die in Königsforste übergingen und damit vor Eingriffen geschützt sein sollten. Restriktive Nutzungsrechte und königliches Jagdrecht machten alledings nicht nur zahlreiche Bauern in der Not zu Wilderern, es lockten außerdem hohe Erträge durch den Holzverkauf. Erst in neuerer Zeit setzte sich nachhaltige Waldwirtschaft tatsächlich durch.

Als “Waldweide” für Schweine, Schafe und Ziegen litt der Wald noch lange Zeit empfindlich, Waldfeldbau erschöpfte den Waldhumus vollständig. Außerdem war Holz der wichtigste Energieträger: in Villingen musste ein Haushalt beispielsweise acht Monate im Jahr heizen und verbrauchte 50 Raummeter Holz dafür. Kalkbrenner, Bäcker, Metzger Ziegeleien, Schmiede, Töpfer, Gerber, Brauer und Glasmacher – sie alle brauchten Holz zum Feuern oder für ihre Produktion.

Erste Urkunden wiesen darauf hin, dass der Mensch im 13. Jahrhundert den Wald bereits bewusst formte. Obwohl die Wälder im Mittelalter intensiv genutzt wurden, setzte erst 200 Jahre später die massive Ausbeutung und die Ausrottung wilder Tiere ein. Anfang des 18. Jahrhunderts gab es in der Nähe von Dörfern und Städten kaum mehr geschlossene Waldflächen.

Ganze Wälder gingen in der Blütezeit der Floßholzhandels auf der Enz, Kinzig, Murg, Nagold, auf Neckar und Rhein auf Reisen. Bis nach Holland schwammen die Stämme, als meterlange Flöße. Zwischen 1750 und 1770 wurden in der Waldhut Enzklösterle rund 1500 Hektar Wald abgeholzt. Auch die höfische Jagd hinterließ ihre Spuren: Braunbären waren auf der Alb und im Schwarzwald bereits im 16. Jahrhundert ausgerottet.

1845 tauchte der letzte zugewanderte Wolf auf, der 1847 im Stromberg erlegt wurde. Es war die Zeit, in der Wälder kartiert wurden und sich Forstleute ernsthaft Gedanken darüber machten, wie der Wald verjüngt werden kann. Im Müllheimer Eichwald werden wertvolle Eichen übrigens noch genau so nachgezogen, wie vor dreihundert Jahren.

Anfang des 19. Jahrhunderts klagten Förster über ausgeplünderte Wälder, über weite Kahlflächen und Ödländer. Waldsterben war also schon lange vor dem sauren Regen ein ernsthaftes Thema und die Furcht vor Holzmangel war groß. Doch dann verlor das Holz seine wichtige Rolle als Energieträger an die Steinkohle, zahlreich neue Forstgesetze wurden erlassen und der Förster entwickelte sich zu einem eigenständigen Berufsstand, der zudem besser ausgebildet wurde als bisher. 1818 wurde an der Uni Tübingen der erste forstliche Lehrstuhl eingerichtet, in Baden gab es private Meisterschulen. Der Wiederaufbau der baden-württembergischen Wälder begann.

Während der Industrialisierung nahm der Holzbedarf noch einmal deutlich zu, doch die Zeit der Konsolidierung hatte begonnen. Alexandre Moreau des Jonnès schrieb 1825 zum ersten Mal über die Auswirkungen der Entwaldung auf Wasserhaushalt und Klima und erregte damit Aufsehen. Dichter wie Friedrich Gottfried Kloppstock widmeten dem Hain leidenschaftliche Oden und für Romantiker wie Eichendorff, die Gebrüder Grimm, Caspar David Friedrich oder Carl Maria von Weber wandelte sich der Wald von der Hintergrundkulisse zum eigentlichen Gegenstand ihrer Werke.

1850 bis 1920 galt als Blütezeit der Forstkultur. Nach dem Zweiten Weltkrieg war nochmal ein Wiederaufbau nötig, doch näherte man sich mit deutlich dem naturnahen und naturgemäßen Waldbau, den wir heute kennen: mit großer Vielfalt an Baumarten, Pflege der Bestände, Natur- und Artenschutz.

“Der Naturnahe Waldbau verspricht optimale Erfüllung der Natur-, Schutz- und Erholungsfunktion”, schreibt Peter Gürth. Zwei Drittel des Baden-Württembergischen Waldes sind Mischbestände mit mehr als drei Baumarten. Bis zur angestrebten naturnäheren Zusammensetzung der Wälder sei es vielerorts trotzdem noch ein weiter Weg, vor allem der Umbau labiler Nadelbaum-Reinbestände, wie sie im Schwarzwald weit verbreitet waren, sei die dringendste Aufgabe der Zukunft.

“Der Wald in unserem Land ist heute so leistungsfähig wie nie zuvor…Der Wald gibt vielen Menschen direkt oder über seine Produkte Arbeit und Verdienst. Für die Eigentümer wirft der Wald in der Regel durchaus einen finanziellen Überschuss ab. Der Wald bestimmt das Bild unserer Landschaft und schützt Wasser, Boden, Klima und Luft. In ihm leben seltene Pflanzen und wilde Tiere. Im Wald können wir nach Herzenslust spazieren gehen, wandern Sport treiben, und zwar auf gepflegten und gekennzeichneten Wegen, Trails und Loipen.

Wir Deutschen lieben den Wald seit der Romantik heiß und innig. Im Wald spielen die Märchen, von ihm berichtet unsere Dichtung, von ihm künden Musik und Malerei. Den Urwald kannten die Künstler allerdings zu keiner Zeit”, so Peter Gürth.

Auf jeden Fall gehe ich nach diesem Buch noch lieber in den Wald, schätze die würzige Luft und höre mit Entzücken, wenn der Specht an die Rinde klopft. Für alle, die vor Ort ins Thema Wald eintauchen möchten, empfiehlt Peter Gürth am Ende einige Flösser- und Waldmuseen sowie Waldlehrpfade.

Peter Gürth “Wer hat dich, du schöner Wald. 5000 Jahre Mensch und Wald in Baden-Württemberg”, 240 Seiten mit 110 Abbildungen, gebunden, 24 Euro 90, Silberburg-Verlag



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