Warum Buddhisten keine Vegetarier sein müssen

Ein Leser fragte mich neulich, warum ich - bei meiner Empathie für Menschenaffen - so spitz auf buddhistische Vegetarier reagiere. Ich nehme das zum Anlass, meine Position ausführlicher als vor ein paar Jahren darzustellen.   Zunächst geht es mir nicht um gesundheitliche oder ökologische Aspekte, wie ich hier schon einmal schrieb. Auch ich senke meinen Cholesterinspiegel, wenn ich auf tierische Produkte verzichte, beanspruche weniger Anbaufläche und verursache weniger CO2-Ausstoß, sollten meine Nahrungsmittel überwiegend vegetarisch sein. Mir geht es allein um die unzureichende ethische Begründung von Buddhisten, und ich ergänze noch, die mangelnde Logik prominenter Philosophen wie Peter Singer. Ich will darstellen, warum gerade der Buddhismus sich eignet, die verzerrte Sicht aufs Leiden zu korrigieren.
1) Es gibt eine Regel, kein Leben zu nehmen. Im Ordenskodex für Mönche wird klar, dass menschliches Leben über tierischem steht. Ein weiterer Hinweis sind die Essensvorschriften für Mönche. Zehn Arten von Fleisch werden verboten, darunter Tiere, die kulturell bedingt in Süd(ost)asien schon lange einen besonderen Schutz genießen (wie Elefanten), oder solche, die man vermenschelt hat (wie Hunde). Diese Vorschriften zeigen, dass Vegetarismus für Buddhisten nicht angedacht ist, da Essensspenden von Rind, Schwein, Huhn oder Fisch (oder auch von Insekten) weiterhin verzehrt werden können. Für Laien gelten diese Einschränkungen sowieso nicht. 
Fazit 1: Die Regel zum Abstehen vom Töten wird nicht so ausgelegt, dass man die Nachfrage nach Fleisch verringert, indem man überhaupt keines mehr ist. Fleischgenuss wird im Palikanon als normal angesehen. Allerdings wird zwischen Tieren ein Unterschied gemacht, die üblicherweise fürs Essen Gezüchteten können weiterhin sogar von Mönchen vertilgt werden.
2) Oft wird auf Textstellen verwiesen, die den Metzger für sein schlechtes Karma bedauern. Wir neigen dazu, das auf unsere Zeit zu projizieren, aber früher schlachteten sehr viele Menschen ihr Vieh selbst. Im Grunde waren sie also alle Metzger, herausgehoben wird aber der Berufsstand, der besonders viel schlachtet. 
Fazit 2: Schlachten in Maßen ist kein besonderes Thema im Buddhismus, was wohl auch daran liegt, dass die Mönche sonst der Gefahr mancher Mangelernährung ausgesetzt gewesen wären, wenn gar kein gespendetes Fleisch mehr in ihren Topf gewandert wäre.
3) Wie Peter Singer argumentieren viele Buddhisten mit der Verpflichtung, Leiden von Tieren zu vermeiden. Übersehen wird dabei, dass jedes Wesen nur einmal stirbt und das Leiden des Sterbens nicht vermeidbar ist. Allerdings kann man Unterschiede in der Dauer des Leidens - von der Erkenntnis, sterben zu müssen, bis zum Tod - feststellen. Im Buddhismus wird nicht schlüssig gezeigt, dass ein Tier die Ursachen des Leidens aufheben könne, denn dazu würde ja auch Einsicht in die vier Wahrheiten gehören, das Beseitigen von Unwissenheit und das Praktizieren des achtfachen Pfades. 
Fazit 3: Es ist Tieren bei der logischen Anwendung des buddhistischen Heilsweges nicht möglich, ihr Leiden aufzuheben.
Welche Leiden hebt aber nun der Mensch auf? Es ist weder das Sterben an sich, das er mit dem Tier teilt, noch etwaige körperliche Schmerzen. Was er ändern kann, ist das "Leiden am Leiden", er kann sich mental z.B. so üben, dass er dem Tod - zumindest scheinbar - gelassen ins Auge sieht. Dies ist Tieren auch nicht per se möglich, da sie adrenalingesteuerte Fluchtreaktionen zeigen, wenn sie Gefahr wittern. Das Äquivalent zum coolen Zenmeister, der ein Gedicht schreibt und sich dann sozusagen selbst für immer schlafen legt, wäre ein Tier, das keine Zeit hat, lange zu leiden und diese natürlichen Reaktionen zu zeigen, die im Übrigen auch ein Mensch zeigen würde. (Über die Frage, ob es sich überhaupt lohnt, für das unabwendbare Sterben, das meist konkret nur einen sehr geringen Teil der Lebenszeit wirklich Kummer macht, ein jahrelanges Training auf sich zu nehmen, habe ich hier schon einmal gesprochen - ich glaube das nicht, lediglich eine Anwendung dieser Angstfreiheit  während der Lebensspanne vor dem Sterben (wie bei Samurai gelehrt) macht Sinn). 
Peter Singer ist Anhänger des (Präferenz-)Utilitarismus, der eine Handlung als richtig ansieht, wenn sie ebenso viel oder mehr Glück für die Beteiligten bringt als etwaige Alternativen. Ja, Singer spricht wirklich von "Glück". Das ist im Grunde schon ein Fehler, denn das Glück von Menschen bemisst sich subjektiv, und wenn die meisten Menschen auf einer Glückskala einen Absturz erleben, weil sie kein Fleisch mehr auf dem Tisch haben, hat Singer sich damit selbst ins Knie geschossen. Für die Tiere wiederum existiert wohl gar keine "Glücks"kategorie. Für Tiere existieren Hunger oder Nicht-Hunger, Krankheit oder Nicht-Krankheit als wesentliche Kriterien ihres Wohlbefindens. Der Tod ist keine Kategorie, der sie - wie uns Menschen - darauf brächte, sich mal jahrelang in die Berge zurückzuziehen, um sich darauf vorzubereiten. Mein Eindruck ist, dass Singer - im Gegensatz zu mir - nie länger auf einem Bauernhof und mit (Schlacht)Tieren gelebt hat. Er will Handlungen nach den "Folgen" (Konsequentialismus) beurteilen, nicht nach den Motiven (siehe auch den kürzlichen Beitrag zum effektiven Altruismus hier in diesem Blog). Moralisch richtig würde also, was die besten Konsequenzen für alle hat.
Wenn man Singer weiterdenkt, bedeutet dies, dass kaum noch Kühe und Schweine und Hühner zur Welt kämen, weil sie niemand nur zum Spaß versorgen wird. Singer stellt damit Nicht-Leben über das Leben, es ist moralisch richtiger, etwas nicht ins Leben zu lassen, wenn es später gegessen wird. Diese Idee ist für mich absurd und noch so eine Kopfgeburt, da die ganze Natur und auch das Tierleben auf dem Prinzip "Fressen und Gefressenwerden" beruht. Unsere Tierhaltung zwecks Nahrungsversorgung ist lediglich eine Fortsetzung dieses Prinzips, an dessen Ende wir als Menschen das Glück haben, selbst kaum von jemandem gefressen zu werden. 
Gehen wir mehr in die Tiefe. Singer meint, es ginge um Interessenabwägung, jedes Tier habe als elementarstes Interesse, Schmerz zu vermeiden. Hier stimme ich ihm zu, weswegen Tierhaltung entsprechend zu gestalten ist. Im Hinblick auf das Töten (oder: Sterben) bedeutet es lediglich, dass es möglichst schmerzfrei sein sollte. Wir Verbraucher müssten das mit höheren Preisen bezahlen. Sehr wahrscheinlich würde das den Fleischkonsum verringern. Im gleichen Sinn kann ich Singers Kritik an manchen Tierversuchen nachvollziehen.
Fazit 4: Leiden von Tieren ist nur im Hinblick auf Schmerzen und Angst zu verringern. Darum muss man aber nicht für Vegetarismus, sondern für eine andere Art der Tierhaltung plädieren, die vor allem mehr Auslauf und Platz für die Tiere berücksichtigt. 
Ich bin noch mit einer solchen Tierhaltung groß geworden. Singer rät deshalb dazu, kein Fleisch zu kaufen, wenn man nicht wüsste, von welchem Betrieb es käme, also keines aus irgendeiner Massentierhaltung. Hier macht Singer jedoch einen weiteren Fehler der Projektion, da anzunehmen ist, dass ein eingepferchtes Huhn, das von Anfang an unter solchen Bedingungen groß wurde, gar kein anderes Leben kennt. Leiden an einer Situation, sofern es nicht an puren Schmerzen ist, setzt aber diesen Vergleich voraus. Ein riesiger Stall voller Kühe, die an Melkmaschinen angeschlossen sind, ist ebenfalls kein Grund für Boykott, wenn man sich solche Betriebe mal selbst anschaut und nicht nur die verfetteten Hühner mit kaputten Beinen vor Augen hat. Massentierhaltung ist also auch vertretbar, wenn sie auf Schmerzvermeidung achtet, sie ist nicht an sich verwerflich. Ich glaube, da hat Singer eine eher romantische Vorstellung vom Landleben. Um die Massentierhaltung an sich zu verringern, ist es wohl am besten, man mindert die Überpopulation der Menschheit mit ihren Bedürfnissen. Ein weiterer Weg könnte der Verzehr von Insekten statt Säugetieren sein, da ihre Züchtung und Haltung offenbar klimafreundlicher ausfällt.


wallpaper-1019588
altraverse stellt Shojo-Titel für Herbst 2024 vor
wallpaper-1019588
Ninja to Koroshiya no Futarigurashi: Manga erhält eine Anime-Adaption
wallpaper-1019588
[Manga] H.P. Lovecrafts Der leuchtende Trapezoeder
wallpaper-1019588
Gemüsebeet in Mai: Diese 10 Gemüse kannst du jetzt pflanzen