War STEFAN ZWEIG das Intrigenopfer Hofmannsthals?


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(Stefan Zweig-Denkmal auf dem Salzburger Kapuzinerberg)
Der Europäer auf dem Kapuzinerberg
Von Günter Verdin
"Darum hat die Kunst unserer Zeit in Hugo in Hugo von Hofmannstahl nicht nur ihren sprachmächtigsten Dichter verloren, sondern auch ihren obersten und reinsten Richter. (…) Denn dies war der letzte, der äußerst Sinn seiner Sendung auf Erden: noch einmal das Maß nach oben zu richten - eine Zeit, die (…) nur auf Gleitendem ruht, neuerdings auf das Dauernde und Unvergängliche zurückzuverweisen. Hugo von Hofmannsthal hat gefordert und durch sein Werk bewiesen, dass auch heute eine hohe, eine adelige, eine dem Absoluten dienende Kunst möglich ist, und dass wir dies erlebten an seinem Dasein - darin liegt große Verpflichtung.“
Spricht so ein „Intimfeind“ über den Gegner, welchen er glücklich überlebt hat? Oder ahnte der Dichter Zweig 1929, als der die Trauerrede für Hofmannstahl am Wiener Burgtheater hielt, wirklich nichts von der Abneigung des von ihm Gewürdigten ihm gegenüber, obwohl sich die Familie des Verblichenen die Rede durch Zweig verbeten hatte und die Witwe dem Festakt deswegen fernblieb. Welche Rolle hatte Hofmannstahl, hatten Reinhardt und auch Strauss im Intrigenspiel, welches Stefan Zweig, den „Österreicher vom Kapuzinerberg Salzburg“ (Egon Erwin Kisch, 1942), von der Mitwirkung an den Salzburger Festspielen fernhalten sollte? Oder hat gar Stefan Zweig selbst die Salzburger Festspiele boykottiert?
Nicht nur Berta Zuckerkandl, „die Hofrätin“, welche mit Friderike und Stefan Zweig befreundet war, und durch ihren berühmten „Salon“  großen Einfluss auf das künstlerische Schaffen ihrer Zeit hatte, wunderte sich: „Als Zweig unmittelbar nach Kriegsende in Salzburg das kleine Schloss auf dem Kapuzinerberg erwarb, hätte man seine Mitwirkung an den Salzburger Festspielen für selbstverständlich gehalten. Beinahe gleichzeitig waren Max Reinhardt auf Schloss Leopoldskron und Hermann Bahr auf Birgelstein ansässig geworden. Doch nur mit Bahr trat Zweig in nähere Verbindung. Reinhardts und Hofmannstahls Werk wandte er den Rücken. Wenn im August der Festspielrummel begann, verschwand Zweig beinahe demonstrativ aus Salzburg. Er überließ es seiner Frau Friderike, die zahlreichen Gäste, die auf den Kapuzinerberg pilgerten, zu empfangen.“ Berta Zuckerkandl schrieb das 1970, und es empfiehlt sich, mit solchen Zeugenaussagen aus der Erinnerung vorsichtig umzugehen.
Dass Zweig den Festpieltrubel floh, ist durch Briefstellen aus der Korrespondenz mit seiner ersten Frau Friderike belegt. Sie sendet am 22. Juni 1923 an den „lieben Stefan“ nach Westerland auf Sylt folgenden Hilferuf: „(…) endlich flüchte ich mich in die Ruhe des Briefschreibens. Es freut mich, wenn Du Ruhe hast, aber wenn Du nicht hier bist, glauben die Menschen, unser Haus sei völlig zu ihrer Benutzung, wenn nur irgendein Vorwand besteht heraufzukommen.“ Und Zweig antwortet: „(…) Du wirst mir zugeben, dass ich Dich mit Recht immer gewarnt habe, so viele Menschen ins Haus zu ziehen. Ich weiß sehr wohl, warum ich im Cafehaus empfange - die Leute haben oft kein Maß und vergessen, dass sie nicht die einzigen sind.“
„Empfangen“ hat Stefan Zweig übrigens vorwiegend im „Cafe Bazar“. Die Senior Chefin, Frau Tomaselli, die als Tänzerin des Gertrud-Bodenwieser-Ensembles auch zu einer Privatvorstellung im Paschinger Schlößl der Zweigs zu Gast war, erinnert sich heute noch an die Besuche des Dichters. Der Zweig Tisch war die Nummer 7 an der dem Wintergarten benachbarten Seite des Cafehaus-Saales. (Abnmerkung: das alte , erinnerungsschwere Mobiliar wurde im Zuge der Renovierung durch die neuen Besitzer, die Familie Brandstätter, nicht gerade feinfühlig, entsorgt.) Zweig habe sich hier unter anderem mit Zuckmayer, auch mit Hofmannsthal getroffen, sei aber immer nur kurz dagewesen. Von Spannungen zwischen Zweig und Hofmannsthal wäre freilich nichts zu merken gewesen. Die Behauptung von Berta Zuckerkandl, Zweig habe Reinhardts und Hofmannsthals Werk „den Rücken“ zugewandt lässt sich ebensowenig begründen wie die von Helene Thimig („Wie Max Reinhardt lebte“), dass der Schriftsteller „ein Intimfeind des Rheinhardtschen Hausdichters Hugo von Hofmannsthal“ war, und „die Antipathie, die er für Hofmannsthal empfand, auch auf Reinhardt“ übertrug.
In seinen Erinnerungen „Die Welt von Gestern“ bejubelt Stefan Zweig die Salzburger Festspiele: „Mit einemmal wurden die Salzburger Festspiele eine Weltattraktion, gleichsam die neuzeitlichen olympischen Spiele der Kunst, bei denen alle Nationen wetteiferten, ihre besten Leistungen zur Schau zu stellen. (…) Salzburg war und blieb in diesem Jahrzehnt der künstlerische Pilgerort Europas.“ Es fällt schwer zu glauben, dass diese Zeilen von einem Mann stammen sollen, dessen „Verstimmung“ sich „im Grunde gegen alles, was die Festspiele bejahte, (…)“ richtete, wie Friderike Zweig in ihrem „Wie ich ihn erlebte“ schreibt.
Zweig hat jedenfalls die Festspiele nicht boykottiert, er besuchte immer wieder Proben und Aufführungen seiner Freunde Strauss und Toscanini, er besuchte Reinhardt bei den Proben zur legendären „Faust“ Aufführung in der Felsenreitschule, und er schrieb für den ersten Festspielalmanach im Jahre 1925 seinen Essay „Die Stadt als Rahmen“.
Reinhardts Regietätigkeit wurde von Stefan Zweig zeitlebens bewundert. Anlässlich einer Vorstellung der „Großen Pantomime zur Musik von Engelbert Humperdinck“, "Mirakel“, notiert Zweig am 18. September 1912 im Tagebuch: „(…) Reinhardt hat sich da selber übertroffen. Diese Massen, die in farbiger Flut anströmen, die Kühnheit der Verwandlungen (…) ist unvergänglicher Fund. Ich wollte, Gelegenheit böte sich, ihm meine Bewunderung zu sagen.“
Auch Zweigs „ursprüngliche Bewunderung für Hofmannsthal hatte nie nachgelassen (…)“, wie sein Biograph Donald A. Prater („Das Leben eines Ungeduldigen“, Hanser, 1981) schreibt.
Zweifellos war Zweig schon als Gymnasiast sowohl von Hofmannsthal wie auch von Rainer Maria Rilke schwärmerisch begeistert. Dennoch finden sich in den Tagebüchern Zweigs auch kritische Anmerkungen zu Hofmannsthal, etwa dessen mangelnden „Heroismus“ betreffend, weil Hofmannsthal sich nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges vom Dienst an der Front „wegen Nervosität“ befreien ließ.(7.8.1914) Nach einem Gespräch mit dem Schriftsteller Ernst Hardt notiert Zweig am 15. Jänner 1915: „Sein Hass gegen Hofmannsthal ist gut fundiert.“ Und am 24. November 1917 schreibt Zweig „Rolland hat recht zu fragen: Wieso schreiben alle eure Autoren nichts über den Krieg? (…) Ich finde tatsächlich bei Schnitzler, Rilke, Hofmannsthal keine Spur der Zeit. Und ist das nicht Tod, an einer solchen Zeit vorbei zu leben?" Ob freilich Stefan Zweig nach dem Tod Hofmannsthals durch Richard Strauss (Prater) oder durch Max Reinhardt (Friderike Zweig) erfahren hat, dass der Dichter des „Jedermann“ von Anfang an seine Mitwirkung an den Festspielen hintertrieben habe, darüber gehen die Aussagen auseinander.
Das „Zweig“ Verbot scheint von Reinhardt so strikte jedenfalls nicht beachtet worden zu sein, denn Friderike berichtet in ihren Briefen zweimal von Einladungen zu Reinhardts Festen auf Schloss Leopoldskron (Brief aus Salzburg nach Hamburg, August 1930).
Reinhardt, welcher Zweig nach dem Tod Hofmannsthals aufforderte, sein Werk und seine Mithilfe dem dramatischen Programm der Salzburger Festspiele zur Verfügung zu stellen, wie Friderike Zweig berichtet , holte sich vom durch „diese einseitige Rivalität“ Hofmannstahls „bestürzten“ Dichter eine Abfuhr. Als Textdichter für Strauss trat der Gekränkte dennoch in die Fußstapfen Hofmannstahls: Er schrieb das Libretto zur Oper „Die schweigsame Frau“.
Noch einmal allerdings triumphiert Hofmannsthal über Zweig: 1992, dem 50. Todesjahr Zweigs, stand nicht „Die schweigsame Frau“ auf dem Spielplan der Salzburger Festspiele ,sondern „Die Frau ohne Schatten“.
(Dieser Artikel von Günter Verdin erschien 25. Juli 1992 in der Festspielausgabe einer Salzburger Zeitung, deren Namen von Verdin nicht mehr erwähnt werden mag).
LEKTÜREEMPFEHLUNG: Stefan Zweig -sein Leben in Bildern
http://pickz.de/link.php?q=stefan+asch&url=http%3A%2F%2Fwww.elke-rehder.de%2Fstefan-zweig%2Fbiografie-stefan-zweig.htm

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