Von den drei Betrügern: Moses, Jesus, Mohammed

fruehe_deutsche_Religionskritik_JestrabekSelbst sehr enga­gier­ten Freidenkern, Freigeistern und Humanisten dürf­ten wohl die Namen Matthias Knutzen, Johann Joachim Müller und Samuel Reimarus kaum oder gar nichts sagen. Dabei neh­men diese drei Männer einen her­aus­ra­gen­den Platz in der frü­hen deut­schen Aufklärung und Religionskritik ein. Sie und ihre maß­geb­li­chen Werke der Vergessenheit ent­ris­sen zu haben, ist das Verdienst des rüh­ri­gen Freigeistes und Publizisten Heiner Jestrabek. Zum bes­se­ren Verständnis der rund 300 Jahre alten Schriften leis­tet Jestrabeks Einleitung unter der Über­schrift „Frühe deut­sche Religionskritik“ einen wich­ti­gen Beitrag.

Er geht zunächst auf die beson­de­ren deut­schen Verhältnisse nach dem Augsburger Religionsfrieden vom 25. September 1555 und dem 30jährigen Krieg (1618 – 1648) Krieg ein. Die deut­schen Lande waren sei­ner­zeit von größ­ter ter­ri­to­ria­ler Zersplitterung gekenn­zeich­net. Mehrere Hundert welt­li­che und geist­li­che feu­dale Landesherrn übten die reale poli­ti­sche Macht im Reiche aus. An einen Nationalstaat und eine Nationalökonomie war noch nicht zu den­ken. Ganz im Gegensatz zu England, Frankreich und den Niederlanden, wo die euro­päi­sche Frühaufklärung ihren Anfang nahm. Im deut­schen Reich kam noch eines erschwe­rend für den gesell­schaft­li­chen und öko­no­mi­schen Fortschritt hinzu: Hier galt der Rechtsgrundsatz, daß sich der reli­giöse Glaube der Untertanen nach der Religion des jewei­li­gen Landesherrn zu rich­ten habe. Diese Zwangsreligion diente als Herrschaftslegitimation („Von Gottes Gnaden“). In den evan­ge­li­schen Territorien war der Landesfürst zugleich als „sum­mus epi­sco­pus“ Oberhaupt der jewei­li­gen Landeskirche (selbst wenn er, wie in Sachsen, per­sön­lich katho­li­scher Konfession war).

Da sich unter die­sen Umständen das Bürgertum als dem wich­tigs­ten Träger eman­zi­pa­to­ri­scher Ideen nur schwer ent­wi­ckeln konnte, konn­ten sich auf­klä­re­ri­sche Ideen nur lang­sam und punk­tu­ell durch­set­zen. Es blieb also noch ein lan­ger Weg bis zum Wirken von Gottfried Wilhelm Leibniz (1646 – 1716), Immanuel Kant (1724 – 1804),  Gotthold Ephraim Lessing (1729 – 1781 ), Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770 – 1831), Ludwig Feuerbach (1804 – 1872) oder Karl Marx (1818 – 1883).

Bezugnehmend auf Marx („Für Deutschland ist die Kritik der Religion im wesent­li­chen been­digt, und die Kritik der Religion ist die Voraussetzung aller Kritik.“) schreibt Jestrabek ernüch­ternd: „Freilich blieb auch die­ses Postulat nur eine theo­re­ti­sche Feststellung. Die prak­ti­sche Umsetzung die­ser Erkenntnis harrt bis heute der Realisierung.“ (S. 22) Und er fügt hinzu, daß „unser auf­ge­klär­tes 21. Jahrhundert ver­ständ­nis­los auf die Länder des Islam“ schaue. Dabei sei doch dies real: „Noch immer harrt ins­be­son­dere Deutschland einer durch­ge­hend lai­zis­ti­schen Gesetzgebung und einer kon­se­quen­ten Trennung von Kirche und Staat bzw. Kirche und Schule/Ausbildung/Beruf.“ (S. 24)

Bevor Jestrabek  sich dann den drei wich­ti­ges­ten Persönlichkeiten der deut­schen Frühaufklärung zuwen­det, por­trä­tiert er kurz einige andere Wegbereiter: Friedrich Wilhelm Stosch, Gabriel Wagner, Theodor Ludwig Lau, Urban Gottfried Bucher, Samuel Pufendorf, Gottfried Wilhelm Leibniz, Christian Thomasius, Gottfried Arnold, Christian Wolff, Georg Schade, Christian Reuter. Und er ver­weist auch auf deren wich­tigste Publikationen.

Matthias Knutzen (1646 – nach 1674) ist, so Jestrabek, „der erste deut­sche Religionskritiker und nament­lich bekannte Atheist in der euro­päi­schen Geistesgeschichte der Neuzeit. Ein in sei­ner Zeit immer­hin todes­wür­di­ges Delikt.“ (S. 45) Beleuchtet wird der schwere Lebensweg die­ses Mannes ebenso wie seine wich­tigs­ten Schaffensorte (Königsberg, Jena). Knutzen befaßte sich u. a. mit den Lehren Spinozas (1632 – 1677) und mit denen von Kazimierz Łysz­czyń­ski (1634 – 1689). Der Todestag des letz­te­ren wird im heu­ti­gen Polen übri­gens als „Tag des pol­ni­schen Atheismus“ began­gen. Der Adlige Łysz­czyń­ski schrieb, daß der ein­zige Sinn des Glaubens darin bestünde, daß dadurch die Armen unter­drückt wer­den könn­ten. Für sol­che Worte ver­ur­teilte ein Kirchengericht (!) den muti­gen Mann zum Tode und ließ ihn unbarm­her­zig hin­rich­ten. Doch zurück zu Knutzen. Dieser tauchte im September 1674 in Jena auf und begann hier mit der Verbreitung von eige­nen Flugschriften, von denen drei erhal­ten geblie­ben sind. Darin ist u. a. die Rede von einer Gemeinschaft von Freidenkern, die er „Gewissene“ nennt. Und er ent­kräf­tet darin die Autorität der soge­nann­ten Heiligen Schrift Bibel durch die Aufdeckung deut­li­cher Widersprüche in deren Texten.

Im Anschluß wen­det sich Jestrabek dem ver­mut­li­chen Autoren der Schrift „Von den drei Betrügern“ zu: Johann Joachim Müller (1661 – 1733): „Wenn von den drei Begründern der mosai­schen, christ­li­chen und isla­mi­schen Religion (Moses, Jesus, Mohammed) als von den ‘drei Betrügern’ gespro­chen wird, wan­ken alle ihre Glaubensgründe.“ (S. 60)

Müller greift mit sei­ner Schrift auf sehr alte Vorlagen zurück, deren erste um 900 im Reiche der Bagdader Kalifen nach­weis­bar sind. Einher mit der Legende von den drei Betrügern sei auch mit der Ringparabel die Toleranzforderung gegan­gen. Dieses Motiv habe dann Lessing in sei­nem Drama „Nathan der Weise“ ver­ar­bei­tet, wie auch die Lehren aus dem Fragmentestreit (s.u.).

Der dritte vor­ge­stellte Frühaufklärer ist Hermann Samuel Reimarus (1694 – 1768). Es war Lessing, der die von Reimarus hin­ter­las­se­nen Fragmente ver­öf­fent­lichte und damit „die wohl größte theo­lo­gi­sche  Kontroverse im Deutschland des 18. Jahrhunderts“ aus­löste. Jestrabek hebt her­vor: „Der Fragmentestreit brachte (…) auch grö­ßere Teile der bis dahin unge­trübt blind­gläu­bi­gen Untertanen dazu, die Widersprüche in der Bibel zu erken­nen und diese ‘gött­lich inspi­rier­ten’ Schriften erst­mals als Menschenwerk anzu­se­hen.“ (S. 68) Reimarus’ Bibelkritik hat, so Jestrabek, erheb­li­che Impulse für die historisch-kritische Aufarbeitung der Schriften des Alten und Neuen Testaments gege­ben.

Im fünf­ten Fragment, das die Ursache des sei­ner­zei­ti­gen Skandals war, stellte Reimarus die zen­trale Aussage der Evangelien, die angeb­li­che Auferstehung von Jesus, in Frage. Reimarus stellte hierin die sich erheb­lich wider­spre­chen­den Aussagen bzw. Nichtaussagen der vier Evangelisten gegen­über.

Im Textteil fol­gen dann Knutzens erhal­tene latein­sprach­li­che Flugschriften in deut­scher Über­set­zung, Müllers sehr argu­men­tive Schrift über die drei Betrüger und zwei der Reimarus-Fragmente.

Aus dem Auferstehungsfragment soll etwas aus­führ­li­cher zitiert wer­den. Zur neu­tes­ta­ment­li­chen Geschichte greift er u.a. zehn unheit­li­che Aussagen der vier Evangelisten her­aus. Zur ers­ten schreibt Reimarus: „Bei Johannes gehet Maria Magdalena allein zum Grab, beim Matthäus die Maria Magdalena und die andere Maria, beim Markus die Maria Magdalena, Maria Jacobi und Salome, beim Lukas die Maria Magdalena, Johanna und Maria Jacobi und andere mit ihnen.“ (S. 161/162) Reimarus macht fer­ner zehn Widersprüche aus und refe­riert diese aus­führ­lich.

Heiner Jestrabek gebührt gro­ßes Lob für seine kom­plexe Aufarbeitung eines fast ver­ges­se­nen Teiles der frü­hen Aufklärung im deut­schen Sprachraum. Und wie der auf­merk­same Leser spürt, die drei beson­ders vor­ge­stell­ten Persönlichkeiten haben ihre Spuren im Geistesleben hin­ter­las­sen, auch wenn das den wenigs­ten unter uns wohl kaum bewusst war/ist.

Siegfried R. Krebs

Heiner Jestrabek: Frühe deutsche Religionskritik. 186 S. m. Abb. Klappenbroschur. Edition Spinoza im Verlag Freiheitsbaum. Reutlingen und Heidenheim 2013. 14 Euro. ISBN 978-3-922589-55-1

[Erstveröffentlichung: Freigeist Weimar und hpd]


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