Volkswirtschaft und Ritalin

Das Leben wird immer anstrengender und komplexer, Anforderungen prasseln schon auf die Jüngsten ein, damit sie später den Herausforderungen gewachsen sind, die das Leben mit sich bringt. Das beginnt schon mit dem vorgeburtlichen Yogakurs und der Frühförderung im Kindergarten, dann kommt die Schule mit ihrem Terrorprogramm des für notwendig gehaltenen Staatsbürgerwissens, nebenbei müssen die Kinder auch noch jede Menge Medienkompetenz lernen, weil sie den Dschungel im Internet, in dem die Freizeit zunehmend statt findet, sonst möglicherweise gar nicht überleben. Nicht zu vergessen, dass sie auch noch die Beziehungs- und sonstigen Probleme zeitgemäßer Eltern aushalten müssen, denen immer mehr Einsatz und Flexibilität beim Gelderwerb abverlangt wird, während sie sich gleichzeitig auch noch vorbildlich um die Familie kümmern sollen.

Kein Wunder, dass so ein Alltag nur noch unter dem Einsatz von Drogen auszuhalten ist, und zwar nicht nur bei den Eltern, sondern auch bei den Kindern. Ich meine jetzt nicht die Komasäufer, die es zwar auch früher schon gegeben hat, die jetzt aber immer jünger werden, sondern diejenigen, die mit legal verschriebenen Medikamenten ruhig gestellt werden. Wie die Techniker Krankenkasse festgestellt hat, bekommen Kinder immer häufiger Psychopharmaka. Meistens werden Medikamenten gegen Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörung (ADHS) eingesetzt. Auch Mediziner kritisieren, dass zu schnell zum Rezeptblock gegriffen werde. Sie schlagen „sanftere“ Methoden wie Psycho- oder Verhaltenstherapien vor. Aber therapiert werden muss auf jeden Fall – da sind sich alle einig. Denn irgendwie muss man mit dieser Welt ja klar kommen. Auf die einfache und naheliegende Idee, sie vielleicht ein bisschen kinder- und damit insgesamt menschenfreundlicher einzurichten, kommt erstaunlicherweise keiner.

ich weiß es doch auch nicht

ich weiß es doch auch nicht

Das mit dem Mangel an wirklich guten Ideen zur Lösung der aktuellen Probleme der Menschheit ist allerdings ein typisches Symptom unserer Zeit. Kürzlich las ich im Handelsblatt ein Interview mit dem US-Finanzexperten Charles Irving Posser. Wenn man die Nachrichten verfolgt, bekommt man durchaus den Eindruck, dass die derzeitige Finanzkrise eins der ganz großen Probleme der Menschheit ist – obwohl der größte Teil der Menschheit überhaupt kein Geld hat, das nun krisenbedingt in immer größerem Ausmaß in den Taschen irgendwelcher Leute verschwinden könnte, die diese Krise erst kreiert haben.

Man sollte annehmen, dass die Versorgung der Menschheit mit gesunden Lebensmitteln, Bildung, Medizin, umweltverträglicher Energie und so weiter, die eigentliche Herausforderung wäre. Aber nein, es geht immer nur ums Geld. Und zwar nicht um die Versorgung aller Menschen mit diesem angeblich lebensnotwendigem Stoff, was ja noch halbwegs nachvollziehbar wäre, sondern um die Versorgung der Märkte mit dem Zeug. Verrückt.

Jedenfalls fand ich dieses Interview ziemlich interessant und aufschlussreich: Die Finanzpolitik ist am Ende ihrer Weisheit angelangt. Und Posser gibt das freimütig zu: „Möglicherweise besitzen wir nicht die richtigen geldpolitischen Instrumente, um die Erkrankungen zu heilen, an denen das System leidet.“ Er sagt auch, dass er den Frust der Leute auf der Straße verstehe und auch die US-Notenbanker frustriert seien, weil die Konjunktur leider nicht das täte, was sie tun solle. Sie hätten alles mögliche gemacht, was sie zuvor noch nie getan hätten, aber geholfen habe das nicht.

Das erinnerte mich wiederum an eine Märchenstunde aus Enzensbergers Panoptikum, denn manchmal steht auch im Spiegel etwas Interessantes. Hans Magnus Enzensberger sinnierte über die rätselhaften Wirtschaftswissenschaften, deren Modellen und Prognosen nie funktionieren, ohne dass man sie infrage stellen würde und darüber, warum die Menschen nicht so funktionieren, wie die Ökonomen glauben.

Natürlich muss der Spiegel als ausgewogenes Medium (ja, das ist ein Witz!) auch die Gegendarstellung bringen, die fast noch unterhaltsamer ist. Dort erklärt der Volksökonom Hanno Beck, dass es manchen Menschen halt am Verständnis für ökonomische Argumente mangelt, weshalb sie ökonomische Theorie nicht kapieren können. Die meisten Menschen und Märkte würden nämlich ganz wunderbar funktionieren, nur diese blöden Finanzmärkte halt nicht, aber das läge nicht an den falschen Prognosen der Experten, sondern daran, dass es in der Wirtschaftswissenschaft wie in jeder Wissenschaft auch Irrtümer und ungelöste Probleme gäbe. Aber die Menschen, insbesondere diejenigen, die schon eine Meinung hätten, ließen sich nicht gern durch Fakten verwirren.

Ich liebe ja die Volkswirtschafter! Bei denen ist immer alles so ganzheitlich und so insgesamt! Die ganze Welt ist ein großer, leckerer Wirtschafts-Kuchen, zu dem alle was beitragen und dann wird der halt (leider nicht ganz gerecht) verteilt. Eine Vorstellung wie aus dem Kindergarten. Nur diese Spielverderberschnösel von der BWL mit ihren egoistischen Privatinteressen sorgen dafür, dass die Verteilung immer auf Kosten anderer statt findet, da gibt es dann viele Verlierer und wenige Gewinner, was aber im volkswirtschaftlichen Maßstab zu vernachlässigen ist, weil ja nichts verloren geht. Da ist die VWL genau so exakt wie die klassische Physik, etwa die Thermodynamik: „Die Energie in einem geschlossenem System ist immer konstant“. Toll.

Aber erklären, warum die Welt am Abgrund steht, nur weil die Finanzexperten nicht mehr weiter wissen, kann die VWL auch nicht. Wo bei sie das auch nicht muss, sagt Beck, denn eine Glaskugel wie bei der Wahrsagerin hätten die wackeren Wissenschaftler nun einmal nicht. Das wäre auch nicht wissenschaftlich. Den Leuten die Finanzkrise zu erklären, und warum ihre Zukunft vermutlich ziemlich düster wird, ist aber lästiger Alltagskram und damit zu unwissenschaftlich für eine seriöse Betrachtung. Der hässliche Alltag wird sich mit großzügigen Gaben von Methylphenidat (Ritalin) weiterhin schon bewältigen lassen. Ersatzweise tut es auch Alkohol.



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