Untertan „Wir sind dein Volk“ nach einem Roman von Heinrich Mann: Es ist Ein-Mann-Stück

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In seinem Roman „Der Untertan“ erzählt Heinrich Mann die Lebensgeschichte des Diederich Heßling. Schauspieler Alexander Schröder erweckt diesen zum Leben und verkörpert einen unterwürfigen Knaben, der sich zum Tyrannen erhebt. Zwischen Mitleid und Ehrfurcht schwankt das zahlenmäßig leider kleine Publikum angesichts des Mannes, der die Bühne des Theaters unterm Dach neunzig Minuten lang beherrscht und die Inszenierung einer Anja Gronau alleine zur Aufführung bringt.

In Windeln gewickelt entsteigt Klein-Diederich einem Lumpenbündel unterm Tisch und nimmt die Umgebung mit begeistertem Kinderblick in Besitz. Der Sohn eines Papierfabrikanten im wilhelminischen Zeitalter präsentiert mit Stolz den Betrieb seines Vater, dessen Prügelstrafen er verzückt über sich ergehen lässt. Diederichs Unterwürfigkeit reift mit ihm heran und wird im Verlauf seines Lebens zur Machtbesessenheit. Er verlässt sein Heimatdorf Netzig und geht als Student nach Berlin, um hier in Liebe zum Kaiser zu entbrennen. Als gefestigter Nationalist und Monarchist kehrt Diederich Heßling zurück, um im familieneigenen Fabrikunternehmen die Nachfolge des Vaters anzutreten und fortan als Oberhaupt des Dorfes zu walten.

Dem Publikum zeigt sich die Karikatur einer Gesellschaft, die zur Jahrhundertwende auf hierarchischen Machtstrukturen basiert. Alexander Schröder bringt verschiedenste Figuren aus Manns Roman als Stereotype ihrer Zeit auf die Bühne. Treffsicher und vielgestaltig verkörpert er gleichzeitig den widersinnigen Protagonisten Diederich Heßling. Mitleiderregend wirkt der kindliche Ausdruck des geprügelten Jungen. Als Firmenchef hingegen wendet er sich mit bedrohlichen Worten an das Publikum: „Leute, da ihr meine Untergebenen seid…“.

Auf der Bühne des Theaters unterm Dach ist an diesem Abend die Macht eines Mannes absolut.

Diederichs Herrschaftsgebiet umfasst die karge Bühnenlandschaft, erstreckt sich jedoch zunehmend über den Zuschauerraum. Eine weiße Wand bildet den Hintergrund der Bühne, drei schwarze Tische stehen im symmetrischen Dreieck davor. Von einem sonst statischen Bühnenbild setzt sich Diederich durch ausschweifende Bewegungen ab, wobei diese entlang weißer Bodenlinien erfolgen. Es stellt sich ein Herrschender zur Schau, dessen Macht auf starren Gesellschaftsordnungen fußt. Ein jedes Requisit, das er zur Hand nimmt, erhebt Diederich zum Objekt der allgemeinen Aufmerksamkeit. So rückt er die schwarzen Tische je nach Belieben zurecht und lässt imaginäre Orte entstehen, Schauplätze seiner Biografie. Fehlende Requisiten werden pantomimische dargestellt und machen den Zuschauer vollends zum Untertanen seiner Imagination. Mit rhythmischen Gesten und Lauten veranschaulicht Klein-Diederich den Prozess der Papierherstellung in der Fabrik. Herumliegende Kleidung, welche das systematische Bühnenarrangement durchbricht, macht er sich ebenso zu eigen. Im Umgang mit dem Schuhwerk der militärischen Oberbefehlshaber findet die eigene leidenschaftliche Hingabe zur „Macht, die man spüren darf und liebt“ ihren Ausdruck: Beim „Stiefellecken“ kommt der junge Wehrdienstleistende zum sexuellen Höhepunkt – ein Augenblick der Fremdscham für den mitfühlenden Zuschauer, der jedoch vielmehr dem Schauspieler als der Figur gilt.

Auf der Bühne des Theaters unterm Dach ist an diesem Abend die Macht eines Mannes absolut.

Als Diederich verfügt Alexander Schröder nach Belieben über das Publikum: Er lässt seinen Blick über die Sitzreihen schweifen, erwählt sich seine Geliebte Agnes, sowie seine politischen Feinde.Mit den Worten „Umstürzgelüste scheitern an meinem Unwillen“ warnt er die Menge vor einer möglichen Erhebung, fesselt sie mit gewaltigem Worte und eindringlichem Schauspiel an die Stühle. Dass der alleinige Schauspieler sich stets in der überlegen Position befindet, wird dem Zuschauer in aller Deutlichkeit bewusst. In seiner Allmacht emanzipiert sich Schröder sogar von Manns Textoriginal und improvisiert zeitweilig, sodass keine Aufführung der vorigen gleicht.

Ein Alleinherrscher steht dem Zuschauer in der abschließenden Szene gegenüber: Über die „Säulen der Macht“ spricht Diederich in der Montur Kaiser Wilhelms, die ihm lediglich auf den Leib projiziert wird. Dem Ausspruch „Der Kaiser, das ist Theater!“ wird Folge geleistet, bietet sich dem Zuschauer doch ein verfremdetes Bild dar. Theater offenbart sich als solches.

„Der Untertan“ begeistert und erschüttert zugleich. Auf minimalistischer Bühne erbringt Alexander Schröder eine schauspielerische Höchstleistung. Er führt dem Publikum die psychischen Hintergründe eines machtbesessenen Individuums vor Augen und beleuchtet gleichermaßen die Herrschaftsmentalität einer vergangenen Epoche, und dies, wie die taz berechtigterweise schreibt, in „einem fulminanten Solo“.

Weitere Vorstellungen finden statt am 23. Februar und 21. März 2013, jeweils um 20 Uhr im Theater unterm Dach im Prenzlauer Berg, Berlin.


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