Türchen 24 – Perspektivenwechsel

Türchen 24 – Perspektivenwechsel

Kurz vor Weihnachten 2016. Ein geklauter LKW rast in den Weihnachtsmarkt in Berlin. Tagelang wird der Täter gesucht. In der Zwischenzeit gibt es Gerüchte. Viele Gerüchte. Und der Rassenhass flammt auf. Natürlich war es ein Ausländer, kein Deutscher. Natürlich war es ein Flüchtling. Warum zum Teufel haben wir die ins Land gelassen? Die Merkel ist schuld. Die Merkel muss weg. Hetzparolen in der Vorweihnachtszeit, die eigentlich die friedvollste Zeit des Jahres sein sollte. Vielleicht wird es mal Zeit für einen Perspektivenwechsel ?! Wir haben nicht wegen der Flüchtlinge so viel Terror. Wir haben so viele Flüchtlinge wegen des Terror.

Perspektivenwechsel kann so einfach sein. Hier meine Geschichte für euch, für den Weihnachtsabend.

Perspektivenwechsel

Mitten in einer ganz gewöhnlichen Fußgängerzone sitzt an einem Samstagvormittag ein junger Mann vor einem geschlossenen Geschäft und bittet die Passanten um Geld. Er ist vielleicht Anfang 20, mit schmalen Schultern und breitgetretenen Schuhen. Seine Kleidung hat schon bessere Zeiten gesehen, und er sitzt mit nach vorne gebeugten Schultern auf dem Boden.

Vor ihm auf dem Boden liegt eine kleine Schale, in der Hand hält er ein Schild mit der Aufschrift: „Ich bin blind, bitte helfen Sie." In der Schale selbst liegen bisher nur ein paar wenige Münzen. Da nähert sich ein Mann. Er trägt eine gut sitzende Anzugjacke aus elegantem, schwarzem Stoff. Zu seiner schwarzen Hose trägt er ein weißes Hemd mit offenem Kragen und Schuhe aus Leder. Auf Höhe des Bettlers angekommen, bleibt er kurz stehen, greift in seine Hosentasche und wirft ein paar Münzen in die Schale.

Er will schon weitergehen, da hält er plötzlich inne. Wie einer Eingebung folgend, wendet er sich dem jungen Bettler zu und nimmt das Schild in die Hand. Nachdem er es kurz betrachtet hat, dreht er es kurzentschlossen um und schreibt einen Satz auf die freie Seite. Dann stellt er das Schild mit dem neuen Satz vor dem Jungen auf, wünscht ihm einen schönen Tag und geht seiner Wege. Nachdenklich lauscht der junge Bettler dem langsam verstummenden Geräusch der Schritte des Mannes.

Kurz danach ändert sich etwas: Die Schale füllt sich schneller als sonst. Der blinde Mann kann es kaum glauben, denn so großzügig waren die Vorbeigehenden noch nie. Der Blinde fragt sich, was der Mann wohl geschrieben haben könnte. Er erfährt es, als der Mann auf dem Rückweg wieder an ihm vorbeikommt. Als der Unbekannte den bettelnden Mann grüßt, erkennt dieser seine Stimme und spricht ihn an. Er fragt den Mann, was er auf sein Schild geschrieben hat. Seine Antwort verblüfft ihn: „Einfach nur die Wahrheit. Ich habe genau das Gleiche gesagt wie du, nur mit anderen Worten. Auf dem Schild steht jetzt: ‚Heute ist ein wunderbarer Tag und ich kann ihn nicht sehen.'"

Der hinter den verschiedenen Aufschriften stehende Wunsch mag gleich sein, doch die Botschaft ist eine andere. Der ursprüngliche Satz sagte, dass der junge Mann blind ist und Hilfe braucht. Die veränderte Nachricht sagt, dass die Menschen froh sein können, diesen schönen Tag mit allen Sinnen zu genießen. Ein blauer Himmel, blühende Blumen oder auch nur eine schöne Weihnachtsdeko, all dies sind Dinge und Eindrücke, die den Alltag verschönern können. Viel zu oft sehen wir die schönen Dinge nicht und konzentrieren uns vielmehr darauf, was uns stört oder was uns fehlt. Dabei gibt es täglich tausend Gründe, dankbar zu sein. Man kann sich auf das Elend konzentrieren oder man kann mit einem Lächeln durch die Welt gehen.

In diesem Sinne: Frohe Weihnachten!


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