Tikvah/Hoffnung

von Mario J. Schwaiger

„Welcher Zukunft wären wir mit einem siegreichen Proletariat entgegengegangen, und wo hätte die fortschreitende Revolution ihren Ruhepunkt gefunden mit all dem Zündstoff, der uns umgab, mit all dem Hass, den man heraufbeschwören, mit den verderblichen Lehren, die man in die beschränkten Köpfe der Massen geschleudert hat? Heute galt der Hass noch der Regierungskaste, dem Präsidenten; morgen wäre jeder Bürger, der einen guten Rock trägt und behaglich wohnt und lebt in den Augen des darbenden Proletariats ein Regimetreuer, ein Feind gewesen. Nichts ist täuschender, als der Glaube, dem Glanz einer Revolution da Halt gebieten zu können, wo man es eben wünscht.

In einem Lande, in welchem die Idee der Stetigkeit, der Unbeweglichkeit lange auf den Geistern gelastet hat, wird das Werk der Revolution ein leichtes. Die Disziplin war alles; man verwirft sie, man überlässt sich ganz dem Wellenschlage des Zufalls, er soll zu neuen Ufern führen. Das war der Fall in unserem Staate, man bewegte sich, lief zerstörte, der Zweck war unbewusst, die Geister unbedeutend, und so war das Treiben der Massen allein von gewaltigem Interesse.“

Jetzt ohne Kontext ist dieser Ausschnitt aus einem Artikel vielleicht etwas mühselig zuzuordnen. Er ist recht „eigenwillig“ verfasst und könnte möglicherweise die Zukunft der syrischen Revolution thematisieren. Oder womöglich ein verworfenes Fragment eines Artikels zum Arabischen Frühling in Ägypten sein?

Bei weitem nicht. Dieser Artikel stammt aus dem Jahre 1848 und wurde von Leopold Landsteiner zur Österreichischen Revolution für die „Neue Freie Presse“ verfasst.

Ich musste jedoch zwei Bezeichnungen der Zeit anpassen:

der Regierungskaste, dem Präsidenten = dem Hofe, der Kamarilla

Regimetreuer = Aristrokrat

Die Fähigkeit zur Analyse des Geschehens des Herrn Landsteiner ist atemberaubend und genau diese vermisse ich heute schmerzlich in vielen Artikeln der heutigen Zeit. Eben jenes Element, das einen generischen Artikel von einem Zeitlosen unterscheidet.

In meinem letzten Beitrag habe ich die Einleitung dazu verfasst, wie Israel den Nahen Osten beeinflusst hat, ohne auf Probleme eingegangen zu sein, die ohnehin von allem möglichen und unmöglichen Journalisten generiert werden.

Schimon Perez meinte in „Arbeit für den Frieden“ (S177) auf die Frage von Robert Littell, wie er Yitzhak Rabins Zitat „Für Israel gibt es keinen schmerzlosen Weg nach vorne“ – das er kurz vor seiner Ermordung getätigt hatte – sehe: „Eine Mutter gebiert ihr Kind nach neuen Monaten. Die Geburt einer Nation dagegen dauert Jahre und Jahre. Die Geburt ist ein schmerzhafter Prozeß. […] Israel ist noch kein fertiges Land. Kein vollendetes Land.“

Perez’ Zitat hat mit Landsteiners Artikel gemeinsam, dass es ein zeitloser Aphorismus ist, den er auf Israel bezogen hat, der sich aber speziell jetzt in der Zeit des immer noch andauernden arabischen Frühlings auch auf alle „neu gegründeten“ arabischen Staaten beziehen kann.

Doch was war jetzt das Neue, das Israel gebracht hatte, was es von den bereits bestehenden Staaten unterscheiden hat? Was unterscheidet Israel 1948 von Österreich 1848 und den Arabischen Staaten im Jetzt?

Hoffnung statt Hass.

Oscar Wilde meinte einst in seiner pointierten Art, dass Die Revolution ist die erfolgreiche Anstrengung sei, eine schlechte Regierung loszuwerden und eine schlechtere zu errichten.

Galt 1948 die Hoffnung, dass aus den Erinnerungen von 2000 Jahren wieder ein Land werde, so galt 1848 und gilt heute viel mehr der Hass auf das Bestehende. Wo wird die fortschreitende Revolution ihren Ruhepunkt finden, mit all dem Zündstoff, der sie umgibt, mit all dem Hass, den man heraufbeschwören, mit den verderblichen Lehren, die man in die beschränkten Köpfe der Massen geschleudert hat?


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