Thomas Mann: Mario und der Zauberer. Illustriert von Kat Menschik

Illustration von Kat Menschik, © Officina Ludi 2014

Illustration von Kat Menschik, © Officina Ludi 2014

Durch den Blog „Besondersbuch“ (https://besondersbuch.wordpress.com/2015/01/30/25-jahre-officina-ludi/) wurde ich auf eine großartig illustrierte und gediegen gemachte Ausgabe der Erzählung „Mario und der Zauberer“ von Thomas Mann aufmerksam. Es ist eine von Kat Menschik mit mehrfarbigen, plakativen Illustrationen versehene Jubiläumsausgabe der Officina Ludi, Großhansdorf bei Hamburg, 2014. Von Hand im Hamburger Museum der Arbeit in 1500 Exemplaren im Buchdruckverfahren gedruckt und dennoch zu einem sehr günstigen Preis von rund 30 Euro zu erwerben. Da konnte ich nicht anders als kaufen.

Obwohl ich „Mario und der Zauberer“ schon mehrmals gelesen und im Unterricht behandelt habe, las ich die Erzählung jetzt wieder, um sie in dieser edlen Form genießen zu können.

Unangenehme Erlebnisse in Italien

Ein Erzähler, unverkennbar Thomas Mann selbst, erzählt von einem seltsam missglückten und dennoch faszinierenden Sommerurlaub am Strand des Tyrrhenischen Meeres im Italien der 20er-Jahre. Dort hat sich ein unangenehmer Nationalismus und „Moralismus“ breit gemacht, der der deutschen Urlauberfamilie lästige Ärgernisse bereitet.

Am Strand herrscht ein selbstbewusster Pöbel, der zum Beispiel einen kurzen, unbedachten Moment der Nacktheit der Tochter des Erzählers zum Verstoß gegen die öffentliche Moral aufbauscht. Die Polizei wird eingeschaltet, die Deutschen müssen 50 Lire Strafe zahlen.

Im Hotel werden sie Opfer einer Überängstlichkeit einer italienischen Fürstin, die die letzten Reste eines Keuchhustens der deutschen Kinder für hoch ansteckend hält. Statt sich in ein Nebengebäude umquartieren zu lassen, ziehen die Deutschen es vor, sich in der Pension Angioleri einzuquartieren, wo die Atmosphäre erfreulicher ist.

Mehrmals denkt man an Abreise, setzt sie aber nicht in die Tat um.

Ein Zauberer mit unglaublichen Fähigkeiten

Schließlich besuchen sie den Kindern zuliebe die abendliche Vorstellung eines Zauberkünstlers, eines gewissen Cipolla (zu Deutsch: Zwiebel). Die Schilderung dieser Vorstellung umfasst zwei Drittel der Erzählung.

Cipollas Veranstaltung ist denn auch wahrlich schildernswert: Der Mann ist nämlich kein normaler Zauberer, sondern ein Hypnotiseur mit unglaublichen Fähigkeiten.

Dabei stellt er eine wenig einnehmende Erscheinung dar, bucklig, mit „splitterigen“ Zähnen, ständig billige Zigaretten rauchend und einen Cognac nach dem anderen hinunterkippend. Diese Stimulantien braucht er, um die „Leiden“ durchzustehen, die ihm der Auftritt bereitet. Cipolla sieht die Sache nämlich aus seinem persönlichen Blickwinkel: Nicht die von ihm zu grotesken Taten gezwungenen Hypnose-Opfer sind die Leidenden, sondern nur er, der Zauberkünstler selbst.

Er lässt gleich zu Beginn einen vorlauten jungen Mann dem Publikum die Zunge herausstrecken. Später rekrutiert er eine ganze Truppe von „Freiwilligen“ aus dem Publikum und lässt sie unablässig auf der Bühne „tanzen“. Cipolla erweist sich als telepatisch begabter Errater von gezogenen Spielkarten oder Errechner der Summe willkürlich vom Publikum genannter Zahlen. Das errechnen wäre noch nicht erstaunlich, sehr wohl ist es aber die Tatsache, dass Cipolla das Endergebnis schon vorher verdeckt auf einer Tafel auf der Bühne notiert hat und sie am Ende aufdeckt: Er hat schon vorausgewusst, was ihm das Publikum für Zahlen nennen wird… Dergleichen Erstaunlichkeiten hat Cipolla noch eine ganze Reihe auf Lager.

Ist der Zauberer Mussolini?

Natürlich ist man versucht, die Erzählung zu deuten, z. B. als versteckte Darstellung des faschistischen Italien mit Cipolla als Mussolini, der alle hypnotisiert. Wie ich meinen Büchern über Thomas Mann entnehme, sind sich die Interpreten allerdings nicht ganz einig, inwieweit so eine Interpretation schon von Thomas Mann intendiert sein konnte. Er selbst hat jedenfalls mehrmals gesagt, die Erzählung sei nicht primär als politische Satire gedacht gewesen.

Trotzdem hat man sie natürlich als Allegorie auf den Faschismus in Italien verstanden, mit dem Zauberer als Verführer, aber auch vor allem mit einem nur allzu willigen Publikum, das sich aus allen Schichten zusammensetzt und auch Ausländer umfasst – wie die Familie des Erzählers, der aber offenbar der einzige ist, der Cipolla kritisch sieht. Andere, zum Beispiel eine Engländerin, reißen sich geradezu darum, bei Cipollas Kunststücken mitmachen zu dürfen.

Die Macht des Künstlers

Neben der politischen Interpretation gibt es auch noch jene, die Cipolla als Künstlerfigur auffasst. Der verwachsene, von der Natur benachteilgte Künstler Cipolla erlangt durch seine „Kunst“ ungeahnte Macht über sein Publikum. Diese Interpretation hat allerdings den Nachteil, auf den ersten Teil der Erzählung kaum anwendbar zu sein, wo Cipolla noch überhaupt keine Rolle spielt, sondern nur das faschistisch aufgeheizte Klima in Italien dargestellt wird.

Den Zauberer hat Mann selbst in Italien erlebt, nicht aber den Paukenschlag am Schluss der Vorstellung – der zugleich das Ende der Erzählung ist. Cipolla holt sich den Kellner Mario auf die Bühne, suggeriert ihm, er sei dessen Geliebte, und bringt ihn dazu, ihn auf die Wange zu küssen. Als Mario, aus der Trance entlassen und völlig lächerlich gemacht, wieder ins Publikum zurückgeht, dreht er sich plötzlich um und schießt Cipolla nieder. (Man darf sich nicht fragen, wieso ein schlichter italienischer Kellner offenbar immer eine Pistole bei sich trägt und auch noch zielsicher zu schießen versteht.)

Dieser Schluss ist Manns Erfindung. Auch er schreit nach Interpretation: Ist er ein Aufruf, sich mit Gewalt gegen einen Diktator zur Wehr zu setzen? Wie soll man das Ende aber mit der Künstler-Interpretation in Einklang bringen? Da sehe ich keine Möglichkeit, wenn man nicht sagen will, der Künstler werde sozusagen das Opfer unverständigen Ignorantentums. Also dominiert doch eindeutig die politisch-ethische Aussage.

Patriotische Überschätzung seiner Nation

Thomas Mann sagte einmal, er habe damals nicht ahnen können, dass ausgerechnet das kultivierte deutsche Volk sich zu Unglaublichem verführen lassen würde: „Als ich [die Erzählung] schrieb, glaubte ich nicht, dass Cipolla in Deutschland möglich sei. Es war eine patriotische Überschätzung meiner Nation. Schon die gereizte Art, in der die Kritik die Erzählung aufnahm, hätte mir zeigen sollen, wohin die Reise ging, und was alles auch in dem ‚gebildetsten‘ Volk – gerade ihm – möglich sein werde.“ (zit. nach: Wilhelm Große: Textanalyse und Interpretation zu Thomas Mann Tonio Kröger / Mario und der Zauberer, Königs Erläuterungen 288, Bange-Verlag, Hollfeld 2010, S. 114)

Großartige Illustrationen

Die Illustrationen von Kat Menschik fangen die Atmosphäre der Erzählung treffend ein. Man ist an Jugendstil-Farbholzschnitte erinnert, wie sie zur Entstehungszeit der Erzählung und kurz davor in Mode waren. Den kräftigen Farbauftrag des Drucks kann man mit den Fingern ertasten – das nur zum derzeit viel gepriesen Aspekt des Haptischen von „pBooks“ im Gegensatz zu eBooks.

Insgesamt: zauberhaft!

Thomas Mann: Mario und der Zauberer. Ein tragisches Reiseerlebnis. Illustriert von Kat Menschik. Officina Ludi, Großhansdorf bei Hamburg, 2014. 47 Seiten.

Bild: Kat Menschik: Illustration zu „Mario und der Zauberer“, Seite 7. Copyright: Officina Ludi, 2014, wiedergegeben mit freundlicher Genehmigung des Verlags.


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