The Sandworm empfiehlt – James Joyce „Ulysses“

The Sandworm empfiehlt – James Joyce „Ulysses“

Vor nicht allzu langer Zeit wurde ich, ausgerechnet am Vortag des sog. Bloomsday, an meinen Vorsatz endlich Ulysses zu lesen erinnert. Bloomsday ist jener Tag, den Anhänger und Anhängerinnen von Joyce zu Ehren des Schriftstellers und dessen bekanntester Romanfigur Leopold Bloom, begehen. Er findet am 16. Juni statt und deckt sich mit dem Datum an dem Bloom im Roman durch Dublin streift. Auf Twitter wiederum wurde ich in einer von mehreren Konversationen, wenn man das so bezeichnen kann, an meinen Vorsatz erinnert, versprach das Buch endlich zu lesen und bestellte es auch postwendend. Es gab somit keine Ausreden mehr.

Was mich nun zum Buch selbst bringt. Ich hatte schon viel davon gehört, Gutes wie Schlechtes, hatte aber bereits nach der Lektüre von zwei anderen Büchern von Joyce (Dubliners sowie A Portrait of the Artist as a Young Man) das Gefühl, dass mir auch Ulysses gefallen müsste. Ich habe mir schließlich bewusst eine Ausgabe (im engl. Original) bestellt, die ohne jede Anmerkungen oder Zusatzerklärungen auskam. Der Plan war, das Buch so zu lesen, wie es vom Autor geschrieben worden war, vor allem, weil ich der Meinung bin, dass zumindest die erste Lektüre eines Werkes mehr oder weniger unbeeinflusst stattzufinden hat und ich in dieser Hinsicht einen gewissen Spleen entwickelt habe, es mich z.B. auch zunehmend stört, wenn man in Kunstgalerien ganze Interpretationsorgien zu diversen Bildern vorfinden, die wohl hauptsächlich den Blickwinkel des wahlweisen Kurators wiedergeben, den unvoreingenommenen auf das Bild jedoch eher verstellen, als ihn zu erweitern. So viel zu meiner etwas puristischen Auffassung von Kunst und Literatur.

The Sandworm empfiehlt – James Joyce „Ulysses“

Wohl aber habe ich mir, selbst wenn ich mittlerweile auch diesbezüglich vorsichtig bin, die Einleitung von einem gewissen Cedric Watts durchgelesen. Diese Einleitung war hervorragend geschrieben und machte mit folgendem Schlusssatz noch mehr Lust auf die Lektüre der insgesamt 682 Seiten: “We can call Ulysses „a novel“; but it is also an exuberant world, a cultural phenomenon, and a life-changing experience. Take courage: read, enter, admire, learn and enjoy. Rejoyce!“ (Wir können Ulysses als „Roman“ bezeichnen, aber es ist auch eine aufregende Welt, ein Kulturphänomen und ein lebensverändernde Erfahrung. Fasse Mut: lies, tritt ein, bewundere, lerne und genieße. Jubiliere (ein Wortspiel aus rejoice)).

Am Ende des Buches angelangt kann ich nunmehr feststellen, dass Mr. Watts voll und ganz Recht hat. Ulysses ist wie eine Abenteuerwelt in die die Sprachliebhaberin hineingesogen wird, die Bilder vor dem inneren Auge heraufbeschwört und die die Leserin mit ungläubiger Bewunderung zurücklässt. Wie hat dieser Joyce das bloß zustande gebracht?! Wie kann man bloß so schreiben?!

James Joyces Ulysses ist das Werk eines Sprachakrobaten, der sich keinerlei Grenzen setzt und der den Leser immer wieder aufs Neue überrascht. Zum Inhalt ist meinerseits nicht allzuviel zu sagen, Ulysses beschreibt den Tagesablauf des 16. Juni 1904 und folgt mehreren Protagonisten. Zum Einen, dem wohl zentralen Charakter Leopold Bloom, daneben noch Stephen Dedalus, den man bereits aus A Portrait of the Artist as a Young Man kennt und der nunmehr zum jungen Mann gereift ist, sowie, nicht zu vergessen, Marion „Molly“ Bloom, Leopolds Frau.

Mehr gibt es meines Erachtens nach nicht zu wissen, und allen Anmerkungen zum Trotz, gebe ich ganz offen zu, dass ich sicherlich einen Haufen literarischer Anspielungen nicht vollständig verstanden habe, dass mir das eine oder andere Detail entgangen sein mag, dass ich die von Homer übernommene Kapiteldarstellung mehr oder weniger hintangestellt habe, umso mehr als ich Homers Odyssee ja nicht mal gelesen habe, aber ich bin und bleibe der Meinung, dass diese Feinheiten für eine Erstlektüre gar nicht nötig sind, vielleicht sogar den Blick auf die wahre Schönheit des Werkes verstellen. Diese Schönheit liegt nämlich in der Sprache selbst.

Joyce hat mich damit schlicht und einfach umgehauen. Von Kapitel zu Kapitel beweist der Autor sein unglaubliches Talent, verschiedenste Rollen einzunehmen, so spricht er wahlweise als Bloom, Dedalus, oder andere zufällig auftretende Personen, zu allerletzt als Molly Bloom. Er durchwandert auch stilistisch sämtliche möglichen und unmöglichen Dialekte und Jargons, vom Shakespeare’schen Englisch, über eine wissenschaftlich-medizinische Fachsprache bis zum sokratisch-technischen Fragestil, stellt eine betrunken-psychedelische Raserei Blooms so überzeugend dar, dass man sich selbst fast als halluzinierend glaubt und zieht die Leserin, die sich darauf einlässt in einen Strudel aus Silben und Wörtern, aus Halbsätzen und endlosen Satzkaskaden. Letztere finden in Molly Blooms Monolog, der über 42 Seiten so gut wie ohne Satzzeichen auskommt, ihren Höhepunkt und lassen einen schließlich wie berauscht zurück in einer Art Sprachtrance, die bis dato alles übertroffen hat, was ich an ähnlichen literarischen Werken je gelesen habe.

Wenn ich dem Leser, der Leserin abschließend einen Rat oder eine Vorbedingung (außer sich das Werk in Originalsprache nur dann anzutun, wenn man wirklich absolut sattelfest im Englischen ist) für eine geplante Lektüre von Joyces Ulysses mitgeben darf, dann wäre das wohl folgende selbst gebastelte Weisheit: als Leserin gilt es eine gewisse Abstraktion von Wörtern, eine in Prosa verpackt Lyrik zu schätzen. Das ist die Grundvoraussetzung dafür, dass man an Schriftstellern wie zum Beispiel Kerouac, Kennedy, Woolf und letztlich Joyce Gefallen findet. Bei einer derartigen Lektüre ist es meines Erachtens nach auch nicht notwendig alles was geschrieben wurde, tatsächlich auch verstehen zu müssen, wobei ich „verstehen“ als „Sinn ergebend“ interpretiert wissen möchte.

Wenn man es genau nimmt, hat es Joyce meiner Meinung nach als einziger Schriftsteller, den ich bis dato gelesen habe, zustande gebracht, genau das darzustellen, was einem beim Wandeln durch z.B. eine Stadt durch den Kopf geht. Eine derartige Lektüre kann nicht linear sein, kann nicht immer einsichtig oder selbsterklärend sein. Vereinfacht ausgedrückt? Mir war schon von Anfang an klar, dass sich Joyce vermutlich auch am besten jenen Leuten erschließt, die so wie ich Anhänger von Bob Dylan sind. Dylan schreibt Songs die mal verständlich und logisch sind, ein anderes mal wieder durchsetzt von persönlichen Referenzen, von Metaphern oder Symbolen, die man, anders als es manche wohl sehen, NICHT immer erkennen muss, ja bei denen es manchmal bloß auf die Klangfarbe des Wortes oder der Phrase ankommt und die aus Dylans Songs letztlich Kunstwerke machen.

Genau so sollte man, meiner Meinung nach, auch Ulysses lesen. Man sollte ihn besser gesagt nicht lesen, sondern singen. Oder um noch einmal auf die treffenden Worte des Herrn Watts in der Einleitung zurück zukommen – Ulysses sollte man jubilieren. Rejoyce!

Susanne, 1. August 2010



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