The Guns of Brixton

Krawalle in London sind ja nichts Neues: 1979 erschien der dokumentarische Song „The Guns of Brixton“ von der Punkband The Clash – inspiriert von den sozialen Unruhen, die in London immer wieder ausbrechen. Auch 1985 gab es Tottenham Aufstände und Gewalt, nachdem eine Frau während einer polizeilichen Hausdurchsuchung umkam und eine weitere Frau von der Polizei schwer verletzt wurde, die auf der Suche nach ihrem Sohn war. Gar nicht zufällig betrafen solche Polizeiaktionen häufig Einwanderer, also Menschen mit Migrationshintergrund, wie man heute korrekt sagt. Aber auch die Niederschlagung von Bergarbeiterstreiks führte zu gewalttätigen Eskalationen – damals zerschlug die konservative Regierung unter Magret Thatcher die verstaatlichte Kohleindustrie und Zehntausende von (anständigen britischen) Bergleuten verloren ihren Job.

The Guns of Brixton

Auch heute gibt es einen Zusammenhang zwischen staatlich verordneter Massenverarmung, sprich den Sparmaßnahmen der britischen Regierung, und der aufflammenden Gewalt. Nachdem in den vergangenen drei Jahrzehnten die Lebensbedingungen der arbeitenden Klasse systematisch verschlechtert wurden, ist nun ein neuer Tiefpunkt erreicht: Das gigantische Sparprogramm, das die Regierung ihren Bürgern verordnet hat, trifft wieder immer diejenigen, die ohnehin schon wenig haben, besonders hart. Bei sozialen Einrichtungen, Schulen und Kindergärten wird massiv gestrichen, während sich die Besserverdiener an ihrem in den vergangenen Jahren erworben Reichtum erfreuen können. Der Frust der Jungen, die keine Perspektive haben, bricht sich Bahn – ähnlich wie es auch Ende 2005 in Frankreich der Fall war, als dort die Banlieus der Großstädte brannten.

Gerade in den Stadtteilen, die nun wieder Schauplatz der Gewaltausbrüche werden, ist die Situation der meisten Bewohner – und hier wieder besonders der jungen Generation – besonders übel. Schlechte Schulen, kaum Freizeitangebote, kaum eine Chance, einen Job zu finden, von dem man leben kann: Da verwundert es wenig, dass die Jugendlichen sich einfach mal nehmen, was sie schon immer haben wollten. Warum sonst sollten sie Supermärkte, Elektronikläden oder Kleidungsgeschäfte plündern, wie es in London geschehen ist. Natürlich ist das für den einzelnen Ladenbesitzer blöd, der vermutlich auch eine arme Sau ist. Wobei das für den Teppichgroßhändler Lord Harris of Peckham nicht zutreffen dürfte, dessen Laden am Samstag abgefackelt wurde. Der sitzt für die Konservativen im britischen Oberhaus. Für die Leute, die über dem Laden gewohnt haben, ist es allerdings auch schlecht ausgegangen, die sind jetzt obdachlos. Lord Harris dagegen bestimmt nicht.

Damit will ich nur ausdrücken, dass ich zwar verstehe, dass man, wenn man ohnehin keine Chance auf irgendwas hat, irgendwann auch mal zu rabiaten Mitteln greift, um Dampf abzulassen und halt mal einen iPod oder eine Markenjeans mitgehen lässt, weil man sich das sonst nicht leiden kann. Andererseits ändert sich mit dem Anstecken von Läden (oder in Berlin von mehr oder weniger teuren Autos) nichts an den herrschenden Verhältnissen. Man schädigt einzelne, verärgert die Bürger und gibt gerade konservativen Politikern wieder neue Argumente, hart gegen den Pöbel vorzugehen, der die öffentliche Ordnung gefährdet und sonst nichts auf die Reihe kriegt.

Natürlich fordern die britischen Konservativen jetzt eine Null-Toleranz-Politik, wie sie der New Yorker Bürgermeister Rudolph Giuliani in den Neunzigern durch William Bratton hat durchsetzen lassen. Natürlich bleibt auch der Ruf nach einer stärkeren Kontrolle der neuen sozialen Medien nicht aus – gerade konservative Politiker geben dem Kurznachrichtendienst Twitter und vor allem dem Nachrichtensystem für den Blackberry eine Mitschuld am Ausmaß der Plünderungen. Dank Twitter und Blackberry hätten sich die Randalierer absprechen und koordinieren können.

Der Dienst Blackberry Messenger Service erlaubt es im Rahmen einer günstigen Pauschale, Kurznachrichten an viele Empfänger zu schicken. Im Vereinigten Königreich sind Blackberry-Geräte gerade unter Jugendlichen beliebter als das iPhone. Aber natürlich hat Blackberry-Hersteller RIM inzwischen erklärt, mit der Polizei zusammen arbeiten zu wollen. Wie auch immer so eine Zusammenarbeit konkret aussieht – RIM wird wohl kaum dem kompletten Datenverkehr, der über seine Server läuft, permanent mitlesen oder gar mitlesen lassen wollen. Denn gerade die Geschäftskunden von Blackberry schätzen die als abhörsicher geltenden E-Mail-Dienste, die zum Geschäftsmodell des Anbieters gehören.

Natürlich ist es albern, diesen Diensten überhaupt eine Schuld an den Ausschreitungen zu geben. Mag sein, dass sie interessierten Randalieren ermöglicht haben, sich besser zu organisieren. Aber dass es überhaupt Randale gegeben hat, lag ja wohl nicht daran, dass es moderne Handys, Kommunikationsdienste und soziale Netzwerke gibt. Diese werden jetzt übrigens auch genutzt, um das Aufräumen zu koordinieren, außerdem organisieren betroffene Bürger sich nun, um sich vor weiteren Attacken zu schützen. Zahlreiche populäre Künstler unterstützen beispielsweise das Twitter-Konto „Riotcleanup“, von dem aus Orte und Uhrzeit für Aufräumaktionen bekannt gegeben wurden. Wobei ich mich schon frage, wo denn diese populären Künstler waren, als die Unterstützung für Jugendzentren in den Problembezirken zusammengestrichen wurde. Oder was auch immer sonst gestrichen wurde.

Gut möglich, dass dieses Konto weiterhin gebraucht wird. Zwar hat der britische Premierminister David Cameron ein Großaufgebot von 16.000 Polizisten in Stellung gebracht, um London zu sichern. Cameron erklärte: „Alle werden für ihre Taten zur Verantwortung gezogen“ und appelliert an die Randalierer: „Ihr zerstört nicht nur das Leben anderer und ihr zerstört nicht nur Eure Stadtteile, ihr zerstört auch Euer Leben.“ Die Frage ist nur, was er damit bei Leuten ausrichten will, denen seine Regierung ohnehin keine Chance auf ein lebenswertes Leben einräumt.


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