Steuerflucht und Ethik? Steuer-Typen und Moral

Mehr Fragen als Antworten

Die aktuelle Diskussion zum Thema Steuerflucht einserseits und “ethische Grundsätze” andererseits, werfen im gemeinsamen Durcheinander, in einem Wühltisch von Aspekten mehr Fragen als Antworten auf.
Der Eindruck, dass es klarere Spielregeln oder stärkere Lenkung und größeres Verantwortungsbewusstsein in diesem Bereich geben muss, ist in unserer Gesellschaft wenig bestritten.

Steuerflucht und Ethik? Steuer-Typen und Moral

Grundsätzliches über Steuern und Ethik

Gerade im Bereich der Steuerehrlichkeit sowie der Steuergerechtigkeit in Verbindung mit “betriebsethischen Grundsätzen” weichen die vorgegebenen Idealzustände erheblich von der Realität ab.

Viele Bürger haben mittlerweile das Gefühl, von den politischen Gremien nicht mehr wahrgenommen werden und begegnen deshalb dieser gesamten Situation mit Misstrauen und Politikverdrossenheit. In einem Seminar der der Phillipps-Universität Marburg im Fachbereich  Wirtschaftswissenschaften / Volkswirtschaftslehre unter Leitung von Prof. Dr. Jochen Röpke hat man sich in einem Seminar mit dieser Problematik eingehend beschäftigt, was mich bewegte einige der Gedankengänge aus aktuellem Anlass darzulegen.

Individualismus contra allgemeinverbindliche Verpflichtungen

In einer Gesellschaft, in der sich der Individualismus immer weiter durchsetzt und infolgedessen die gesellschaftliche Akzeptanz von allgemein bindenden Vorschriften abnimmt, ist es sinnvoll, sich auf eine implizite Ethik zu berufen.

Doch wer ist der typische Steuerzahler in unserer Gesellschaft und nach welchen ehtischen Grundsätzen handelt er? Auf diese Frage gibt es keine pauschale Antwort. Dazu gibt es vielfältige Ansichten und je nach Motivation des Betrachters, erhält man unterschiedliche Ergebnisse:

Verschiedene Typen von Steuerzahlern

In der Praxis bedeutet dies, dass ethische Entscheidungen subjektiven Kriterien unterliegen. Klaus Tipke teilt in seiner “Steuermoral” (1) den Steuerzahler beispielsweise in diese fünf verschiedene Typen ein:

- der homo oeconomicus,
– der Aufrechner
– der Steuerverdrossene
– der Steuerliberale  – und der
– legalistische Steuervermeider.

Kurze Erläuterung:
Der homo oeconomicus denkt nur an seinen wirtschaftlichen Vorteil und
akzeptiert keinen Moralkodex. Für ihn ist Recht, was ihm nutzt, dabei
kalkuliert er das Entdeckungsrisiko ein. Er erkennt die Notwendigkeit von
Steuern an, betätigt sich aber, wenn möglich, als Trittbrettfahrer. Seine
ethisches Kompetenz ist kaum ausgeprägt.

Der Aufrechner ist der Meinung, dass der Staat große Mengen der
Steuergelder verschwendet, wobei er jedoch anerkennt, dass der die
öffentliche Hand auf Steuern angewiesen ist. Also sei es rechtens, einen Teil
seiner Steuer einzubehalten.

Der Steuerverdrossene ist meistens gleichzeitig politikverdrossen. Entweder er ist mit der gesamten Staatsform nicht einverstanden, oder Teile der Politik sind
ihm zuwider (z.B. exzessive Sozialpolitik) und zahlt, wo dies möglich ist,
keine Steuern. Der Steuerverdrossene neigt auch dazu, aus Mangel an
Alternativen nicht wählen zu gehen.

Der Steuerliberale wertet die Steuer als Freiheitseingriff und betrachtet sie
als Opfer ohne Gegenleistung. Er besitzt kaum Gemeinschaftsbewusstsein.

Der legalistische Steuervermeider nutzt die Lücken in der
verkomplizierten Steuergesetzgebung aus und optimiert sein Einkommen
mit Hilfe eines Steuerberaters. Steuerhinterziehung riskiert er aber nicht.
Vielmehr versucht er durch Steuervermeidung den Gesetzgeber zu “erziehen”.

.

Diese Differenzierung gilt es im Folgenden bei der Analyse im Auge zu behalten. Es ist zu beachten, dass der Grad der ethischen Kompetenz ( Tipke nennt es “ethisches Können” ) bei den einzelnen Typen sehr unterschiedlich ausgeprägt ist. Also ist nicht immer das, was der jeweilige Typus für richtig hält, gleichzeitig ethisch.

Steuerhinterziehung bei Lobbyismus / ungerechter Last-Leistungs-Korrelation

Unsere demokratischen Staaten werden zu einem erheblichen Maße von
Interessenverbänden regiert. Der einzelne Steuerzahler hat demnach alleine keinen Einfluss auf die Politik, wenn man von dem verschwindend geringen Gewicht seiner Stimme in den Wahlurnen absieht. Er hat nur eine Chance, seine Interessen durchzusetzen: wenn er sich mit Gleichgesinnten organisiert und so für die Politiker ein erhebliches Stimmenpotential darstellt.

Wenn die Interessen des Steuerzahlers sich jedoch nicht in dieser Weise organisieren lassen und die Steuergelder, die er bezahlt, ausschließlich dazu verwendet werden, den Interessen anderer Gruppen nachzukommen, kann er zu dem Schluss gelangen, im Recht zu sein, wenn er seine Steuer um einen Teil reduziert.

Ist es nun ethisch, wenn z.B. ein Vegetarier seine Steuer kürzt, wenn damit Viehbauern unterstützt werden? Die Frage, die er sich dann stellen muss, lautet: Kann ich es wollen, dass ein Landwirt seine Steuer kürzt, wenn damit Öko-Höfe gefördert werden, die ihm dadurch zur starken Konkurrenz werden? Oder dass ein Systemgegner gar keine Steuer zahlt, weil ihm das System zuwider ist? Man kann sich leicht vorstellen, dass die Konsequenz einer steuermoralischen Beliebigkeit das Ende jeglicher finanziellen Planungsmöglichkeiten des Staates bedeuten würde und das gesamte Einnahmen- und Ausgabensystem zu erliegen brächte.
In einer Demokratie müssen die Politiker auf ihre potentiellen Wähler Rücksicht
nehmen. Sie haben ein Eigeninteresse, welches sich darin äußert, gewählt zu werden, mit dem Ziel, den eigenen Handlungsspielraum zu erhalten oder zu erweitern und Macht zu gewinnen.

Ausführliche Gedanken dazu macht sich Tipke:

„Der Erfolg der Wirtschaft wird am Gewinn gemessen, der Erfolg der
Politik an Wahlergebnissen. Daraus erklärt sich ihre Wähler- und
Interessenverbandsabhängigkeit, erklärt es sich auch, dass sie nicht bloß
auf Argumente reagieren, sondern auf den Druck von organisierten
Interessen. (…)
Nicht die Politik der vernünftigsten Sachprogramme setzt sich regelmäßig
durch, eher die Politik, die rhetorisch gut ankommt und auf die Wünsche
und Ängste, die Vorlieben und Stimmungen breiter Kreise flexibel
eingeht“

Wenn nun besagter Steuerzahler durch vernünftiges Überlegen und Abwägen feststellen muss, dass er der existierenden gesellschaftlichen Organisation nicht ganz abschwören kann, muss er seine Steuern bezahlen und wäre jegliche Steuerhinterziehung unethisch. Die Ethik der Steuerhinterziehung wird somit zur Systemfrage.

Steuerhinterziehung bei insgesamt zu hoher Steuerlast

Nach der Auffassung des Steuerliberalen ist eine Steuer ein Freiheitseingriff: derStaat nimmt sich, was ihm nicht gehört. Diese Behauptung kann man sicherlich nicht so stehen lassen, werden doch im allgemeinen wichtige Gemeinschaftsgüter von derSteuer bezahlt. Wie verhält es sich aber, wenn mit der Steuer Straßen gefertigt werden, der Zahler dieser Steuer aber sich noch nicht einmal Schuhe leisten kann, um darauf zu laufen? Oder er die notwendigen Lebensmittel nicht mehr kaufen kann, weil sie durch eine zu hohe Mehrwertsteuer belastet sind? Ein Prägnantes Beispiel dafür sind die
hohen (Natural-)Steuern vieler Fürsten auf die Erträge ihrer Bauern im Mittelalter sowie die Kopfsteuer, die auch Mittellose zu entrichten hatten.

In unserem Grundgesetz  ist die Würde des Menschen nicht umsonst in Artikel 1 festgeschrieben. Sie gehört zu den ethischen Standards, die weltweit eingehalten werden sollten. Wenn nun die Steuer ein Leben in Würde nicht mehr zulässt, ist sie folgerichtig unethisch und im Gegenzug die Hinterziehung dieser Steuer ethisch.

Steuerhinterziehung bei Verteilungsungerechtigkeit

Klaus Vogel beschreibt den Zustand deutscher Steuergesetzgebung bei Tipke sehr
treffend

Eine kurz gefasste Beschreibung der Public Choice Theorie findet sich im Arbeitsbericht Nr.7 der Marburger Gesellschaft für Ordnungsfragen der Wirtschaft e.V.

„Schon seit den siebziger und achtziger Jahren mehren sich (…) die
Äußerungen von hohen Richtern, Anwälten und Wissenschaftlern, die das
geltende Steuerrecht als ‚Chaos’, ‚Dschungel’ oder gar ‚Perversion’
bezeichnen. In diesem Chaos gelingt es den Hochverdienenden, die sich
eine teure Steuerberatung leisten können, ihre Steuerpflichten legal zu
vermindern. Die Geringverdienenden haben diese Möglichkeit nicht, sie
zahlen, wie dies ein namhafter Betriebswirt ausgedrückt hat, eine
‚Dummensteuer’. (…) Gelegentliche freimütige Äußerungen von
Abgeordneten, (…) belegen, dass bei uns die Praxis der Steuergesetzgebung
fast nur noch vom politischen Kalkül bestimmt ist. Das Steuerrecht Recht
sein, d.h. nach Gerechtigkeit geordnet sein sollte, ist zwar ein beliebter
Topos für Wahlreden, wird aber vom Gesetzgeber kaum noch beachtet.“

Aufgrund der Praxis einiger Länder, in Fällen „einfacher Steuerhinterziehung“ ausländischen Steuerbehörden keine Rechtshilfe zu leisten, wird es Großverdienern ermöglicht, ihr Vermögen am deutschen Fiskus vorbei ins Ausland zu transferieren und ohne ihren Wohnsitz in Deutschland aufgeben zu müssen und dennoch von den Leistungen des deutschen Staates im vollen Umfang zu profitieren, während die Finanzierung dieser Leistungen vorwiegend von den vielen Klein- und Mittelverdienern getragen wird. Hier ist die Kooperation der „Steuerparadiese“ gefragt, sich zu fairem Steuerwettbewerb zu bekennen und für eine gerechtere Lastenverteilung zu sorgen.

In der gegenwärtigen Situation aber müssen wir uns erst einmal mit der daraus
resultierenden ungerechten Lastenverteilung abfinden. An dieser Stelle greifen
außerdem die mannigfaltigen Theorien zur Steuergerechtigkeit: Ob Leistungs- und Äquivalenzprinzip, ob Steuerprogression ja oder nein. Damit wollen wir uns hier jedoch nicht beschäftigen.

Was passiert aber, wenn der brave Steuerzahler plötzlich seine Steuer verweigert, weil er es satt hat, alleine für Leistungen des Staates, von denen so viele Trittbrettfahrer profitieren, aufzukommen? Handelt er dann ethisch? Nun, zumindest handelt er menschlich. Die ethische Diskussion aber muss analog zu den Punkten 1 und 2 verlaufen, denn einen Zusammenbruch des Staates kann auch er nicht verantworten, denn auch er nimmt ja Staatsleistungen in Anspruch.

Zehn Thesen zur Ethik der Wirtschaft

1. Ethik ist kein lästiges Hindernis, sondern elementare Voraussetzung für nachhaltigen wirtschaftlichen Erfolg Das Maß der Wirtschaft ist der Mensch. Auch der Wettbewerb ist eine soziale Veranstaltung zum Nutzen der Konsumenten. Erfolg erleichtert ethisches Handeln. Je größer der Erfolg, umso stärker auch die ethische Verpflichtung. Je anonymer eine Struktur ist, desto schwieriger ist es, Ethik durchzusetzen. Denn die Menschen müssen dann weniger mit Sanktionen ihrer Handlungen rechnen.

2. Jeder ist mit seinem Handeln Vorbild für andere
In ethischen Fragen kann niemandem die Verantwortung für seine Entscheidungen abgenommen werden. Jeder muss ethisches Vorbild für andere sein. Vorbilder, die versagen, beschädigen die Moral.
Im ökonomischen Zusammenhang steigen damit auch die Kosten. Denn mangelndes Vertrauen führt zu höherer Unsicherheit und damit zu höheren Transaktionskosten. Vorhandenes Vertrauen senkt Unsicherheit und Absicherungskosen und beschleunigt Entscheidungen.

3. Gewinnstreben und ethisches Handeln können und müssen miteinander in Einklang gebracht werden. Das Streben nach Gewinn an sich ist wertfrei. Gewinnmaximierung um jeden Preis aber nicht. Auch die Gewinnverwendung ist eine ethische Entscheidung, die die Interessen aller am Unternehmen Beteiligten und das Unternehmen selbst im Blick behalten muss.

4. Nachhaltigkeit ist ethisch
Nachhaltigkeit stärkt die Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens.
Ressourcenschonendes Verhalten und “Fair-Trade” sind wichtige Elemente nachhaltigen Handelns.

5. Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser
Vertrauen ist eine ethische und ökonomische Vorleistung. Vertrauen senkt das Maß an Kontrolle. Ohne hinreichende innere und äußere Kontrolle entgleitet die Moral. Eine innere Kontrolle entsteht durch das Gewissen, eine äußere Kontrolle durch die am Unternehmen und Markt Beteiligten.

6. Haftung stärkt Verantwortung
Mangelnde persönliche Haftung fördert zu große Risikobereitschaft. Haftung hilft bei der Selbstkontrolle und sichert auch äußere Kontrolle. Eine Haftung reduziert die Möglichkeit eines ethischen Fehlverhaltens.

7. Persönliche Integrität ist das Rückgrat für einen verlässlichen Wertekompass
Es gibt kein geschlossenes Bild ethischer Maßstäbe für jede Handlung und jede Situation. Die persönliche Integrität bildet deshalb das Rückgrat für das Handeln des Menschen. Wer integer ist, dem wird vertraut.

8. Jeder ist ein Beteiligter
Das Handeln eines Unternehmens speist sich aus den Entscheidungen der Mitarbeiter, der Kunden, aber auch des Staates. Jede Person ist ein Teil dieses Ganzen und mit diesem Ganzen verbunden.

9. Mut zur Fairness!
Ethisch Handeln im Wettbewerb heißt, nach ausgewogenen und fairen Lösungen zu suchen. Fairness heißt, nicht nur sich als Handelnden zu sehen, sondern immer sein Gegenüber mit in seine Handlungen einzubeziehen. Fairness zahlt sich aus.

10. Wirtschafts- und Unternehmensethik muss verpflichtender Teil der Ausbildung werden.
Aufgabe von Bildung und Ausbildung ist die Vermittlung von ethischem Wissen und die konkrete Verknüpfung dieses Wissens mit der konkreten Verantwortung in einem Unternehmen.

“Jeder Einzelne von uns trägt Verantwortung für mehr Ethik im Wirtschaftsleben.”

Ethik als Handlungsanleitung

Ethik hat zum einen den Zweck, menschliches Handeln in Unsicherheit zu leiten und somit Recht und Moral zu ersetzen:
Wenn alle Angelegenheiten durch geltende Gesetze bis ins kleinste Detail geregelt werden, braucht der einzelne nicht mehr über recht und unrecht zu reflektieren, ihm wird die Arbeit sozusagen abgenommen: Es besteht ja keine Unsicherheit.
Ethik hat aber auch den Zweck, oberhalb von geltendem Recht Handlungen zu qualifizieren und zu leiten: Darum geht es in der Ethik der Steuerhinterziehung, sie ist ein Unterfall der Rechtsethik. Dort, wo Gesetze Unrecht erzeugen und wo veraltete Gesetze in einer modernen Welt Widersprüche aufwerfen, ist die Ethik gefragt. Aber auch bei den “Gesetz-Gebenden”, den Politikern. Von ihnen muss ein gehobener Grad ethischer Kompetenz und Reflexion verlangt werden dürfen, die sie bei Gesetzen und Sanktionen in ihren Handlungen leiten.

von Hans-Jürgen Philipps

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