Stadtwanderer: Im Kreuzgang beim Münster

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Wenn ich den Kreuzgang betrete, so fallen ohne mein Zutun oft Teile meines Alltags-Ichs ab wie die äusserste, brüchig gewordene Schale einer Zwiebel. Und eine Stimmung irgendwo zwischen Ehrfurcht und Staunen, zwischen Scheu und Seligkeit überkommt mich. Grad so als käme ich nach langer Zeit des Umherwanderns und Herumirrens endlich wieder nach Hause. Zugleich bin ich, das sei betont, ein durch und durch säkularer Mensch und nicht gerade fromm. Ein moderner Zeitgenosse halt. Doch woher kommt diese bewegte Stimmung?

Liegt es an den Bodenplatten im Kreuzgang, die über Jahrhunderte vom steten Fluss der vielen Füsse, die sich hier ergingen, ausgewaschen sind? Von den Füssen der Frommen zunächst, später von den Füssen touristischer Gäste. Sie haben an manchen Orten eine deutliche Rinne in den Stein getreten, so als wäre dort über Jahrhunderte Wasser geflossen.

Oder liegt es an der sakralen Architektur? Die spätgotische Netzbogenkonstruktion zieht den Blick unwillkürlich in die Höhe, himmelwärts. Was für eine Kunstfertigkeit bis ins feinste Detail! Was für eine Verspieltheit, gehauen in Stein! Die Reste meines Alltags-Ichs verwehen in diesem Formenrausch.

Ganz bestimmt aber verflüchtigt sich der Alltagsmensch angesichts der vielen Gräber und Grabplatten im Boden und an den Wänden. Mensch, du bist ein hinfälliges Wesen, rufen mir die Wände zu. Bald wirst du dein Gastrecht hier auf Erden verwirkt haben, so wie all die Notablen, die hier bestattet sind. Die einen Tafeln sind üppig in ihrer Bildsprache, die anderen schlicht, nur mit einer Inschrift versehen. Doch jede einzelne steht für ein Leben, das die Geschichte unserer Stadt geprägt hat.

Im kleineren Kreuzgang ganz hinten gibt es Fenster mit Blick auf den Rhein. Mein Lieblingsplatz. Dort bin ich aufgehoben in der Innigkeit des Kreuzgangs und habe zugleich einen fürstlichen Blick auf den Rhein, die Mittlere Rheinbrücke und das profane Kleinbasel.

Und wenn ich schliesslich wieder auf die Strasse hinaustrete, so dauert es manchmal nur Sekunden, manchmal aber auch Stunden, bis das Alltags-Ich wieder Oberhand gewinnt.


Der «Stadtwanderer» erscheint monatlich als Kolumne in der «ProgrammZeitung».

Bild: Kreuzgang Basler Münster von Lautergold, CC-Lizenz via flickr


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