Sprengel Museum Hannover: Lesung vor Bildern, Duelle III

Berührende Momente im Sprengel Museum. Eine gestaltete Lesung vor ausgewählten Bildern der klassischen Moderne. Das war wieder einmal ein kulturelles Glanzlicht, wie es sie in Hannover immer wieder gibt - unterschätzt selbst von den eigenen Bürgerinnen und Bürgern, wenig beworben, wenig besucht (absichtlich begrenzt wegen der möglichen Gefahren für die Kunstwerke?). Zugleich ein gutes Beispiel dafür, wie eine Sammlung für das allgemeine Publikum aufbereitet oder "genutzt" werden kann. Derartige Veranstaltungen können im Sprengel Museum auch noch einmal den Sinn des Erweiterungsbaus unterstreichen: In lichten Räumen teilweise mit Blick auf den Maschsee können viel mehr Bilder aus dem Bestand gezeigt werden als je zuvor (s. Ausstellung "130% Sprengel").
Die Veranstaltung, von der ich hier spreche, am Sonntagvormittag 12. März 2017, hatte die Überschrift "Duelle III", ist also Teil einer Serie, hier speziell zum Thema Migration. Warum eigentlich der kämpferische Ausdruck? Gemeint ist das Duell zwischen Bild und Wort, "Dialog" oder "Querschnitte" wäre angemessener.

Abb. 1

Die drei Bilder - von Paul Klee, Max Beckmann und Marlene Dumas - scheinen auf den ersten Blick wenig miteinander zu tun zu haben. Das eine ist ganz abstrakt - verrätselt, das andere auch ziemlich abstrakt, aber figürlich, das dritte mehr oder weniger realistisch. Paul Klee hat den Schlüssel, der vorher schon zerbrochen war, verloren - den Schlüssel, die veränderte Welt noch zu verstehen.

Sprengel Beckmann Abb. 2

Max Beckmanns Bild "Baden im August" ist kein bloßes Badebild, er zeigt Bootsflüchtlinge (das eigentliche Anliegen wird hinter dem Titel versteckt). Die Familienphotos der Marlene Dumas sind Familienphotos im Familienphoto unter der schützenden Hülle des weißen Kopftuchs der Mutter.

Abb. 3

Flucht, Exil und Weiterleben prägen diese Bilder, sowohl die Künstler*innen selbst, als auch ihre Werke. Max Beckmann geht in die Niederlande und später nach Amerika, Paul Klee übersiedelt nach Bern in die Schweiz, Marlene Dumas, die aus Kapstadt stammt, emigriert gleich nach ihrem Kunststudium in die Niederlande, lebt und arbeitet heute in Amsterdam.

Das Wort kommt hinzu, bringt die Bilder zusätzlich zum Sprechen. Stefan Wiefel, Professor im Fachbereich Schauspiel der HMTM Hannover, und die Schauspielerin Isabelle Barth lesen vor den Bildern; für das Skript ist Volker Bürger verantwortlich.

Das erste "Duell" gilt Paul Klee, nach einem Ortswechsel geht es um Max Beckmann, und zunehmend werden Beckmann-Texte mit Texten aus der Gegenwart ineinander verschränkt. So wird die Aktualität der älteren Texte offenbart. Ein Zitat  Alfred Polgars (von 1952) öffnet dazu die Tür. "Der Weg ins Exil war hart für die meisten von den vielen, die ihn gehen mussten. Nicht wenige blieben auf der Strecke ... Die das Glück hatten durchzukommen, verbrauchten ihre geistigen und leiblichen Kräfte in der Bewältigung der einen elementaren Aufgabe: zu überleben."

Sobald die Nazis an die Macht kommen, wird Paul Klee als Professor der Düsseldorfer Kunstakademie fristlos entlassen. Seine Werke gelten als "Seelenvergiftung" und "Geschmacksverbildung" (und das sind noch die harmlosesten Kommentare). Die Zeitungen stufen ihn als "galizischen Juden und Kulturbolschewisten" ein. Klee: "Wenn es auch wahr wäre ..., so würde dadurch an dem Wert meiner Person und meiner Leistung kein Jota geändert. Diesen meinen persönlichen Standpunkt, der meint, dass ein Jude und ein Ausländer an sich nicht minderwertiger ist als ein Deutscher und Inländer, darf ich von mir aus nicht verlassen, weil ich mir sonst ein komisches Denkmal für immer setzte ... die tragikomische Figur eines sich um die Gunst der Machthaber Bemühten ..."

In der Sonderausstellung "Entartete Kunst", die am 19. Juli 1937 eröffnet wurde - eine der erfolgreichsten Ausstellungen aller Zeiten mit 20.000 Besuchern täglich -, ist Klee mit 16 Werken insgesamt vertreten. Seinem Bild "Die Heilige vom inneren Licht" wird ein von einem Schizophrenen gemaltes Bild der "Heiligen Magdalena" gegenübergestellt - wegen der Ähnlichkeiten soll es beweisen, dass Klee ebenfalls geisteskrank ist. Am selben Eröffnungstag verließ Max Beckmann Deutschland in Richtung Amsterdam - er sollte Deutschland nie wiedersehen. Er hatte am 18. Juli Hitlers Rede zur "Großen Deutschen Kunstausstellung" im Radio gehört, in der er seine entschiedene Ablehnung der modernen Kunst wiederholte: "Missgestaltete Krüppel und Kretins, Frauen, die nur abscheuerregend wirken können, Männer, die Tieren näher sind als Menschen, Kinder, die wenn sie so leben würden, geradezu als Fluch Gottes empfunden werden müssten ..."

Die Exilzeit in Bern war für Paul Klee teils eine sehr produktive Zeit, obwohl er nach zwei Jahren (1935) an Sklerodermie erkrankt, einer Verhärtung der Bindegewebe, erst der Haut, später der inneren Organe. Klee: "Man muss in Entwicklung bleiben." Wenn das bekannte Zitat Beckmanns dazugehalten wird, lässt sich vielleicht andeutungsweise ermessen, was eine solche Krankheit für eine Künstlerin, einen Künstler bedeutet: "... was ich geschaffen habe, sind nur die abgeworfenen Häute meines Selbst".

"Das Erste, was mir an eurem Land aufgefallen ist", schreibt ein Flüchtling aus Syrien, "waren die vielen schönen Häuser mit den kleinen Vorgärten und den geraden Dächern. Gerade, akkurate Dächer. Sowas hatte ich noch nie gesehen ..."

Max Beckmann rund 80 Jahre früher: "Ich sorge wie eine liebende Mutter für mich, spucke, würge, stoße, drängle, ich muss leben, und ich will leben. Ich habe niemals bei Gott oder so etwas mich gebückt, um Erfolg zu haben, aber ich würde mich durch sämtliche Kloaken der Welt, durch sämtliche Erniedrigungen und Schändungen hindurchwinden, um zu malen. Ich muss das. Bis auf den letzten Tropfen muss alles, was an Formvorstellung in mir lebt, raus aus mir, dann wird es mir ein Genuss sein, diese verfluchte Quälerei loszuwerden."

Yahya Alaous1, unbotmäßiger syrischer Journalist, hatte bereits zwei Jahre im Gefängnis gesessen, der Pass war ihm entzogen worden, zuletzt schrieb er unter Pseudonym für ein oppositionelles Magazin. Aus seinem Tagebuch, das in der Online-Version des "Handelsblatt" veröffentlicht wird: "Irgendwann ging es nicht mehr. Die Lage wurde für uns zu unsicher. Überall im Land ist Chaos, es wird geschossen ... Dazu kommen die Leute der Stasi: Nachbarn, die Oppositionelle an das Regime verraten."
"Vor vier Monaten, nach zwölf Jahren ohne Dokumente, bekam ich plötzlich meinen Pass zurück. Ich ging mit meiner Frau und meinen beiden Töchtern, so schnell es ging, in den Libanon. Von dort aus kamen wir mit der Hilfe von 'Reporter ohne Grenzen' nach Berlin.
Hier fühle ich mich endlich sicher.
Wir sind privilegiert ... (gegenüber anderen Fluchtschicksalen)."

Beckmann 1946 in seinem Tagebuch: "14 Jahre exilé / et condamné / nun wieder frei - sehen wir, was weiter kommt ... Ich nehme Englischunterricht."

In der Veranstaltung des Sprengel-Museums werden zwei weitere Schicksale vorgestellt. Musik kommt hinzu. Bild, Wort, Musik wirken von jetzt an zusammen. Die Sängerin Miriban Bahar singt - zunächst leise - ein Roma-Lied während des weiteren Textvortrags, später wird sie ein afrikanisches Lied singen.

Eine namentlich nicht genannte Frau (ebenfalls aus Syrien?) berichtet von ihrer Zwangsheirat."Nachdem ich meine Ausbildung fast beendet hatte, verlobte ich mich heimlich mit einem Jungen. Aber mein späterer Ehemann hatte mich gesehen und war der Meinung, dass ich die richtige Frau für ihn sein könnte." "Als ich von der Nachtschicht ganz guter Dinge nach Hause kam, saß meine Mutter da und war ganz traurig. Sie sagte mir, dass ich jetzt versprochen sei. Ich war entsetzt, denn ich hatte mein Versprechen ja einem anderen Jungen gegeben. Ich konnte den Jungen nicht einmal verständigen." "Innerhalb einer Woche war ich verheiratet und wurde zu der neuen Familie gebracht. ... ich war immer ein fröhliches Mädchen gewesen, aber in dieser Familie verlernte ich das Lachen. Ich war immer offen gewesen und hatte alles ausgesprochen; in dieser Familie lernte ich das Schweigen. Mein Ehemann verbot mir auch, meinen Beruf auszuüben."

Noch einmal wird zwischendurch Beckmann zitiert: "Sie können nicht ermessen, was das für ein innerer Umschwung war für mich, in dies friedliche Land zu kommen, nach den furchtbaren Zerstörungen, die ich ... miterleben durfte". (Ich habe hier die Worte "in Europa" fortgelassen, es könnte ein anderes Land, eine andere Gegend in der Gegenwart sein.)

Die namenlose Frau berichtet weiter, ich kann es hier nur sehr verkürzt wiedergeben. Die Familie - inzwischen vier Kinder - flieht aus ihrer Heimat nach Deutschland; die Frau kann dort schließlich in ein Frauenhaus kommen und die Scheidung durchsetzen. Eine Binnenflucht nach der Flucht aus der Heimat. "Es gelang mir, mein Elend einer Frau aus meiner Heimat zu erzählen, die schon lange in Deutschland lebte, die Sprache kannte und etwas über die Gesetze wusste. Sie hat mir geholfen. Als ich an einem Nachmittag mit meinen Kindern alleine war, holte sie mich ab und brachte mich in ein Frauenhaus." "Meine Kinder haben Kontakt zu ihrem Vater und zu ihren Verwandten und das ist gut so. So gesehen ist für mich das Schlimme zum Guten geworden. Dadurch dass ich eingesperrt und unterdrückt wurde, musste ich ausbrechen und bin jetzt in Freiheit. Ich kann selbst entscheiden. Ich lebe besser. Meinen Kindern geht es gut. Sie sollen hier eine Chance haben." "Wir waren und sind glücklich".

Die Teilnehmer*innen der Veranstaltung im Sprengel Museum werden zu dem dritten Bild von Marlene Dumas geführt. Miriban Bahar singt vor dem Bild.

Den glücklichen Ausgang, den die Frau schildert, gab es bei Apedo Lousso-Gavo2 nicht. Sein Schicksal kann und will ich hier nur in wenigen Worten andeuten, obwohl gerade dieses an den Schluss gesetzte mich am meisten berührt hat."Warum glaubt ihr mir nicht?, sagte er immer wieder. Warum glaubt ihr mir nicht? - Dieser Satz war der Kernpunkt der Verzweiflung des Flüchtlings Apedo Lousso-Gavo. Er hatte panische Angst davor, nach Togo zurück zu müssen. Er konnte eine Rückkehr nur unter dem Gedanken der Angst sehen ... du kommst nach deiner Rückkehr nach Togo sofort ins Gefängnis. Wenn du Glück hast, sonst können dich deine Eltern am nächsten Tag vielleicht im Gebüsch finden ..." Warum glaubt ihr mir nicht? "Apedo Lousso-Gavo erhängte sich am 25. April 2006 in Landshut. Es war der Vortag seines 28. Geburtstages. Im April 2004 war er aus Togo nach Deutschland geflohen und hatte Asyl beantragt. Seine Freunde, mit denen er in der Asylunterkunft zusammenlebte, schilderten seine beiden Seiten ..." (Zitate aus den Zwischentexten.) Warum glaubt ihr mir nicht? Die Behörden hatten seinen Asylantrag immer wieder vor sich hergeschoben, weil sie seiner Darstellung mit Gefängnis und Folter nicht glaubten. Das Verwaltungsgericht Regensburg gibt als Grund an:  "... für eine zukünftige Verfolgung Apedo Lousso-Gavos in Togo gäbe es keine hinreichende Wahrscheinlichkeit, da er höchstens einfaches Mitglied der UFC (der Oppositionspartei, in der er Mitglied war) gewesen sei". Warum glaubt ihr mir nicht?

Mein Dank gilt dem Sprengel Museum und den Akteuren. Insbesondere danke ich Stefan Wiefel und Volker Bürger, die mir ihr Material zur Verfügung gestellt und weitere Quellen genannt haben. 1Yahya Alaous schreibt regelmäßig in der Süddeutschen Zeitung über "Mein Leben in Deutschland"; ich empfehle besonders, dieses Beispiel nachzulesen: http://www.sueddeutsche.de/politik/syrischer-fluechtling-in-deutschland-warum-gibt-es-kein-geraet-das-mein-integrationslevel-misst-1.3078020   2Die Geschichte von Adepo Lousso-Gavo ist abgedruckt in: "Sie suchten das Leben, Suizide als Folge deutscher Abschiebepolitik" von Heike Herzog und Eva Wälde, Unrast: Hamburg, Münster, 2004.
Zu den Bildern (von oben nach unten): Paul Klee, Zerbrochener Schlüssel, 1938, 50 x 66 cm, Öl- und Kleisterfarbe auf Zeitungspapier auf Jute auf Keilrahmen, Sprengel Museum Hannover, Foto: Herling/Gwose, Sprengel Museum Hannover Gemeinfrei; Max Beckmann, Bad im August, 1937, 152, x 132,5 cm, Öl auf Leinwand, Sprengel Museum Han-nover, Leihgabe Niedersächsisches Landesmuseum Hannover, Hannover, Foto: Herling/Gwose, Sprengel Museum Hannover, © VG Bild-Kunst, Bonn 2017;  Marlene Dumas, Familie Photos, 2010, 200 x 100 cm, Öl auf Leinwand, Sprengel Museum Hannover, Leihgabe The Tia Collection, Foto: Herling/Herling/Werner, Sprengel Museum Hannover.
Verantwortlich für diesen Text: Dr. Helge Mücke, Hannover; Zitate und Quellen wie angegeben.

Sprengel Museum Hannover: Lesung Bildern, Duelle

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