sie – #2

frierend und mit noch immer verschränkten armen schlenderte sie zu ihrem tisch zurück. elegant warf sie sich die lederjacke über die schultern, legte adam einen zehner hin und eilte hinaus. es war inzwischen noch dunkler und kälter geworden und der weg zum bahnhof schien sich endlos in die länge zu ziehen. obwohl es erst kurz nach 21 uhr war, war weit und breit kein einziger mensch zu sehen. die strassen wirkten wie leergefegt. sie eilte alleine durch die finsteren, nur teilweise beleuchteten gassen und trotz ihren ausgezeichneten ortskenntnissen und der tatsache, dass sie wirklich jeden winkel der stadt auswendig kannte, fühlte sie sich etwas unwohl. nicht zuletzt deswegen, weil sie haargenau wusste, was sich in ihrer linken hosentasche befand.

der regen prasselte gnadenlos auf sie ein und die langen, nassen haare klebten in ihrem gesicht. ihre stoffschuhe waren klatschnass und sie verfluchte sich innerlich dafür, nicht auf ihre mitbewohnerin, die ihr vorher noch geraten hatte, etwas wetterfestere schuhe anzuziehen, gehört zu haben.
notgedrungen blieb sie vor dem schaufenster eines nagelstudios stehen und stellte sich unter das vordach. drinnen sassen schweigend zwei frauen im grellen, kalten neonlicht. die angestellte lackierte gelangweilt ihrer kundin die nägel, mit den füssen schob sie einen kinderwagen vorsichtig hin und her. die etwas ältere kundin hatte knallrote haare, war sehr stark geschminkt und trug einen langen, schwarzen mantel. sie rauchte genüsslich und dem vollen aschenbecher nach zu urteilen, war es weder ihre erste, noch ihre letzte zigarette an dem abend. sie wirkte etwas verrucht, aber nicht billig. sie passte in diese fragwürdige gegend.

sie seufzte tief, warf einen kritischen blick in den himmel und überlegte, ob sie sich nicht lieber ein taxi rufen sollte. weit wäre es ja eigentlich nicht gewesen und so hätte sie, durchnässt und durchgefroren wie sie war, nicht noch in den zug steigen und später dann nach hause laufen müssen, sondern bequem vor der haustür aussteigen können.

„hey!“, hörte sie jemanden aus der ferne rufen. verunsichert schaute sie sich um und entdeckte die umrisse einer eindeutig männlichen person auf der gegenüberliegenden strassenseite. er kam näher, blieb nur wenige zentimeter vor ihr stehen und streifte sich die kapuze vom kopf. noah.
„ich laufe dir seit zehn minuten hinterher!“, sagte er völlig ausser atem.
„wieso das denn?“
„du hast deinen schirm im la neige noire vergessen!“
„so ein mist!“, zischte sie.
„hast du meine rufe nicht gehört?“
„nein, sonst wäre ich ja wohl kaum ohne schirm durch die halbe stadt gelaufen.“

er warf einen kritischen blick ins schaufenster und bemerkte dann: „so ein studio rentiert doch bestimmt nicht nur dank nagelverlängerungen und verschiedenen strassteinchen. die drehen doch garantiert nebenbei noch irgendwelche krummen dinger.“
„nicht alle verticken drogen, noah.“, erwiderte sie zynisch.
„ich dachte eigentlich mehr so an prostitution und organhandel. in diesem stadtteil wundert mich gar nichts.“

sie lachte laut und nahm den schirm entgegen.
„vielen dank, echt nett von dir.“
„komm, ich fahre dich nach hause. wir sind ja quasi nachbarn.“
nach kurzem zögern willigte sie ein. obwohl noah nur ein sehr, sehr flüchtiger bekannter war und sie sich grundsätzlich nicht gerne in autos von leuten setze, deren fahrkünste sie nicht bereits kannte, lief sie mit ihm die paar meter bis zum auto. er hielt ihr die tür auf und sie setzte sich auf den schwarzen, vorgeheizten ledersitz. noah stieg ein und liess den motor aufheulen. er schaltete das radio an und beide lauschten schweigend der wettervorhersage für die kommenden tage. regen, regen, regen.

„willst du nicht damit aufhören?“, fragte er und durchbrach die stille.
„womit?“
„du weißt schon!“
„das zeug ist nicht für mich.“
noah lächelte und seufzte.
„das sagen alle!“

sie starrte aus dem fenster und musterte die vielen bunten leuchtreklamen, die an ihr vorbeizogen. noah hielt an der roten ampel an und sie erkannte die gegend. von dort aus waren es noch zwei gehminuten bis zu ihrer wohnung.
„ich kann auch hier aussteigen, dann musst du nachher nicht umdrehen.“
gerade, als er etwas sagen wollte, hielt ein schwarzer wagen mit ohrenbetäubend quietschenden reifen neben ihnen an. die scheiben waren heruntergekurbelt und laute, basserfüllte musik dröhnte aus dem protzigen auto. sie beobachteten, wie ein typ ausstieg, etwas aus seiner hose zog und auf sie zueilte.
„verdammt!“, fluchte noah laut, trat auf das gaspedal und raste um die ecke. er schien wie in trance zu sein, beachtete weder strassenschilder, noch ampeln und fuhr um gefühlte tausend ecken, bis er dann in einer seitengasse stehen blieb.

„WAS zur hölle war das denn?!“, keuchte sie erschrocken. jegliche farbe war ihr aus dem gesicht gewichen.
noah rang nach luft und passenden worten.
„lange, lange geschichte. je weniger du weisst, desto besser.“

sie wühlte in ihrer handtasche, zog mit zittrigen händen zigaretten heraus und zündete sich eine an. sie zog den rauch tief in ihre lunge und blies ihn durch die nase wieder aus. noah schnappte sich ebenfalls eine und so sassen sie schweigend, rauchend nebeneinander. jeder war in seine eigene gedanken vertieft.

„was wollte der kerl?!“
„ich… ich will dich da nicht mit reinziehen. ich bringe dich jetzt am besten nach hause und dann vergessen wir das ganze. und vielleicht ist es besser, wenn du deinen scheiss in zukunft woanders holst.“
„das sehe ich genauso!“

noah fuhr konzentriert durch die strassen und den ganzen weg wieder zurück. er liess den rückspiegel nicht aus den augen. vor ihrem block blieb er stehen. wortlos stieg sie aus dem wagen, überlegte, ob sie sich noch einmal umdrehen und für die fahrt bedanken sollte, entschied sich aber dafür, es nicht zu tun, da sie vielleicht vor wenigen minuten um ein haar abgeknallt worden wäre. sie hörte deutlich, wie noah die scheibe runterliess, dann sagte er: „dein schirm!“
verdammt. es wurde also doch nichts aus dem kurzen und schmerzlosen abgang. peinlich berührt machte sie auf dem absatz kehrt, beugte sich etwas herunter und nahm zum zweiten mal an diesem abend ihren vergessenen schirm entgegen. „danke!“

noah liess ihn nicht los und machte stattdessen eine kopfbewegung, die darauf hindeutete, dass sie sich zurück in den wagen setzen sollte. sie runzelte die stirn und schüttelte heftig den kopf.
„ich steige da nicht nochmals ein! ich will heute abend wirklich nicht umgebracht werden!“
„es… es tut mir leid!“
„ist schon okay. das passiert halt, wenn man sich von drogendealern durch die gegend chauffieren lässt!“
sie stand im regen und warf die hände in die luft.
„psst!“, zischte er und stieg aus dem wagen. „brüll hier nicht so rum!“
„was ist denn? darf niemand wissen, dass du ein DROGENDEALER bist?“ sie betonte jedes einzelne wort.
noah trat näher an sie heran und packte sie am arm.

„hey, ich bin kein verdammter drogendealer, okay?! ich mache das nur, um mir etwas dazu zu verdienen. ich bin ein verfluchter student, genau wie du.“
„klar, und die karre hier hast du dir von deinem geld gekauft, das du dank deinen miesen ferienjobs verdient hast. du bist ein verdammte drogendealer, vielleicht sogar der boss eines verfluchten drogenrings. wir wären vorhin beinahe ums leben gekommen. und jetzt lass meinen arm los und leb’ wohl.“
sie trat mit dem fuss gegen das vorderrad und befreite sich aus seinem griff.

„also eigentlich war die karre ein geschenk von meinem vater.“
„ach, ist er etwa auch ein drogendealer?“
„nein. zahnarzt.“ der beruf seines vaters erklärte nun auch, weshalb er so ein perfektes lächeln hatte.
sie musste sich ein lautes lachen verkneifen.
„machs gut!“, zischte sie und wollte sich aus dem staub machen.
„wie heisst du eigentlich?“
„das geht dich nichts an!“
„okay, stella.“, sagte noah und grinste breit.
„woher weisst du, wie ich heisse?“
„drogendealer kennen die namen ihrer kunden!“
ha-ha“, machte sie, streckte ihm den mittelfinger entgegen und verschwand, ohne sich noch einmal umzudrehen.


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