Shi’itischer Islam – die Anfänge

Schiiten sind bei weitem nicht nur Iraner und Iraner sind nicht zwangsläufig Schiiten. Schiiten sind z.B. auch Araber, türkische Azeris, mongolische Hezara und Inder. Vorallem im Süden des Irak leben viele Schiiten (laut Heinz Halm 2005 stellen die Schiiten dort sogar mehr als die Hälfte der Bevölkerung, wohingegen Yann Richard 1983 noch sagt, dass sie nur im Iran eine Bevölkerungsmehrheit hätten), doch einzig im Iran ist der schiitische Islam Staatsreligion.

Die meisten Autoren sind sich einig, dass die Welt erst durch die sog. Islamische Revolution im Iran wirklich auf die Schiiten aufmerksam wurde und sie daher in erster Linie politisch (häufig als Bedrohung) wahrgenommen werden. Doch ebenso sind sich alle Texte, die dieser kleinen Einführung zugrunde liegen, darüber einig, dass die Unterschiede zwischen sunnitischem und schiitischem Islam mehr sind als nur eine Frage der Macht: Es geht vielmehr um Meinungsunterschiede über die Philosophie der Macht (Richard 1983), um die (I-)Legitimität politischer Herrschaft (Tibi 1991). Jafri argumentiert hier, dass jede Religion eine spirituelle und eine soziopolitische Seite hat, die nicht voneinander trennbar sind. Richard betont zudem, dass die Gemeinsamkeiten zwischen Sunniten und Schiiten (es gibt nur einen Gott und Muhammed ist sein Prophet) wichtiger sind als die Unterschiede.

Doch von Anfang an…

Der Prophet Mohammed starb im Jahr 632 n.Chr. und hatte den meisten Überlieferungen nach keine eindeutige Nachfolgeregelung getroffen (eine Ausnahme bildet z.B. die Überlieferung über Ghadir Chum). So kam es, dass – noch während Mohammeds Schwiegersohn und Cousin Ali die Waschungen des Leichnams vornahm – in Saqifa (Medina) ein Streit darüber entbrandte, wer nun die Gemeinde anführen solle. Abu Bakr, der Onkel des Propheten, wurde hier nach einigem Verhandeln zum Nachfolger gewählt. Ali unternahm nichts dagegen, sondern zog sich zurück – je nach Auslegung, weil er die Einheit der Gemeinde nicht zerstören wollte (Newid) oder weil er einfach enttäuscht war (Momen).

Abu Bakr war jedoch nur für 2 Jahre Kalif (chalifa = Nachfolger), vor seinem Tod bestimmte er Umar zum nächsten Kalifen, unter dem bereits zahlreiche Eroberungen stattfanden (u.a. Palästina, Persien, Ägypten). Dieser wiederum bestimmte ein Gremium von vier Gläubigen zur Wahl des wiederum nächsten Kalifen. Diesem gehörte Ali zwar an, aber es war von vornherein klar, dass keiner für ihn stimmen würde. So wurde Utman der 3. Kalif.

Utman war ein Vertreter der Banu Umaya, der Familie, die vor dem Auftreten des Islams das religiöse Monopol in Mekka innehatte. Neben weiteren Eroberungen setzte Utman auch einige unliebsame Statthalter in den eroberten Gebieten ein und gab eine geheime Anweisung, seine Feinde zu töten. Als dies ans Licht kam, war die Umma (Gemeinschaft der Gläubigen) wenig erfreut und trachtete wiederum ihm nach dem Leben. Bevor er 656 n. Chr. ermordet wurde wandte er sich noch an einen seiner Statthalter, Mu’awiya, um Hilfe.

Nun wurde endlich Ali offiziell Kalif (für die Shiiten ist er der erste Imam, seine Vorgänger erkennen sie nicht an), doch weil er u.a. von den Mördern Utmans unterstützt wurde, konnte er den Mord nicht aufklären. Das erzürnte v.a. Aisha, die Lieblingsfrau des Propheten, sowie die langjährigen Prophetengefährten Talha und Zubair, die noch im selben Jahr gegen Ali in die sog. Kamelschlacht (benannt nach Aischa, die sie von einem Kamel aus beobachtete) zogen und dort fielen.

Nur ein Jahr später trat Mu’awiya in der Rolle des Rächers von Utman auf und kämpfte gegen Ali in der Schlacht von Siffin, die jedoch keinen Sieger hatte. Mu’awiya schlug ein Schiedsgericht vor, zu dem Ali durch einen Teil seiner Anhänger, den Charidschiten, gezwungen wurde. Dieses Schiedsgericht soll aus einem Vertreter Alis und einem Mu’awiyas bestanden haben, doch die Überlieferungen sind sich uneinig darüber zu welchem Schluss die beiden kamen. Newid zitiert hier die Überlieferung nach Tabari, der angibt, dass die zwei Vertreter sich darauf geeinigt hätten, dass keiner der beiden rechtmäßiger Kalif sein, sondern ein dritter neu gewählt werden solle, doch bei der Bekanntgabe, verrat Mu’awiyas Vertreter den von Ali indem er behauptete, sie hätten sich auf Mu’awiya geeinigt. In jedem Fall legte Mu’awiya den Schiedsspruch wohl in seinem Sinne aus.

Die Charidschiten, die sich wohl Ali angeschlossen hatten, weil sie sonst wohl (weil sie nicht zu den Muslimen der ersten Stunde gehörten) einen geringeren Anteil an der Beute aus den Eroberungszügen erhalten würden, wandten sich daraufhin von diesem ab mit der Begründung, dass er sich nicht hätte darauf einlassen dürfen, schließlich sei Gott der einzige Richter. Auch fiel Ali ihnen bevor er nochmals gegen Mu’awiya ausziehen konnte im Jahr 661 zum Opfer.

Sein Sohn Hasan, für die Shiiten der 2. Imām, verzichtete auf seinen Anspruch als Nachfolger Alis, wahlweise aus großherzigem Friedenswunsch (Newid) oder weil er von Mu’awiya dazu gezwungen wurde (Halm). Über ihn ist sonst auch wenig bekannt, nicht einmal über seine Todesart (nach shiitischer Überlieferung wurde er von seiner eigenen Ehefrau im Auftrag Mu’awiyas vergiftet) und sein Todesjahr (vermutlich 669) ist man sich sicher.

Alis jüngerer Sohn Husayn folgte einer Bitte einer größeren Gruppe von Shiiten in Kufa, sie zu unterstützen und machte sich auf den Weg dorthin. Unterwegs jedoch wurde er von den Leuten des kürzlich verstorbenen Mu’awiya aufgehalten und nach Kerbala gebracht, wo er auf dessen Sohn Yazid den Treueid schwören sollte. Husayn weigerte sich jedoch, was eine weitere Schlacht oder viel mehr ein Niedermetzeln Husayns und seines Gefolges (abgesehen von einigen Frauen und Kindern) im Jahr 680 zur Folge hatte.

Diese Schlacht von Kerbala markiert laut Jafri den Beginn einer eigens shiitischen Theologie, denn die Anhänger Alis in Kufa machten sich große Vorwürfe, ihm nicht zu Hilfe gekommen zu sein. Einige von ihnen, die Tawwabun (alle über 60 Jahre alt, was laut Jafri zeigt, dass sie keine voreiligen, unüberlegten Schlüsse fassen), zogen gegen Mu’awiya in den Kampf und starben großteilig. Hier spricht Halm vom Todesmarsch der kufischen Büßer im Jahr 684. Die wenigen Überlebenden flehten Ali um Vergebung für ihr Überleben an, ein Motiv, dass sich laut Halm auch in der späteren shiitischen Geschichte wiederfindet, etwa als nach Jahren der Kriegsgefangenschaft zurückkehrende Soldaten des Iran-Irak-Kriegs am Grab Khomeinis um Vergebung für ihr Überleben bitten. Außerdem wird auch heute noch, etwa zu Ashura (dem Gedenken an die Schlacht von Kerbala) oder zu den Todestagen der Imame, u.a. Selbstgeißelung praktiziert um zum Einen Reue für das im Stich lassen Husayns und zum Anderen die daraus folgende Bereitschaft, sich zu opfern in ritualisierter Form, zu zeigen.

Der vierte und fünfte Imam waren recht bedeutungslos, doch nach dem sechsten, Imam Ja’far as-Sadiq, ist die ja’faritische Rechtsschule benannt. Er führte einerseits die nass-Lehre ein, derzufolge jeder Imam seinen Nachfolger (aus seiner Familie) benennt und andererseits erklärte er, dass jeder Imam ein ihm innewohnendes Wissen (‘ilm) habe. Ja’fars Sohn Isma’il starb bereits vor seinem Vater, sodass er laut den 12er Shi’iten kein Imam sein konnte, doch eine andere Gruppe, die 7er Shi’iten oder Isma’iliten erklärten, Isma’il sei nicht tot, sondern entrückt und haben heute bereits ihren 49. Imam, Agha Khan.

Der achte Imam war Ali Reza und wurde vom Kalifen al-Ma‘mun seinerzeit mit dessen Tochter verheiratet und zu dessen Nachfolger erklärt. Doch das kam bei den Anhängern des Kalifen und insbesondere bei seinen eigenen Nachkommen nicht sonderlich gut an. Praktischerweise starb Imam Ali Reza aber vor seinem Schwiegervater, sodass sich das Problem erübrigte. Er ist der einzige Imam, der auf heutigem iranischen Boden begraben liegt, in der Stadt Maschhad. Seine Schwester al-Masumah wollte ihn wohl besuchen, doch erkrankte unterwegs und liegt ebenfalls im heutigen Iran, in Qom begraben. Dies sind die beiden wichtigsten shiitischen Heiligtümer des Irans (daneben existieren eine ganze Reihe Grabmähler von anderen Nachkommen der Imame, sogenannte Imamzadehs – ein Begriff der sowohl den Nachkommen als auch sein Grabmahl bezeichnet).

Die Imame nach Ali Reza waren wiederum nicht sehr bedeutsam und befanden sich meist unter Hausarrest in der Nähe der Kalifen, was vorallem zeigt, dass diese sie und ihre Anhänger spätestens ab jetzt als Bedrohung ansahen.

Ob der 11. Imam, Hasan al-Askari, einen Sohn hatte oder nicht wird laut Halm angezweifelt, wobei andere Überlieferungen besagen, dass dieser erst nach dem Tod seines Vaters verschwand. Fakt ist, dass man ihn, den 12. Imam mit dem Namen Muhammad, ab 874 n. Chr. nicht mehr sah. Damals war er gerade erst 5 Jahre alt. Doch er blieb mit der shiitischen Umma über Vermittler (wakil) schriftlich in Kontakt. Um 940 aber kam der letzte Brief, der besagte, dass jeder der ab jetzt behaupten würde, mit ihm in Kontakt zu stehen, ein Lügner sei. Die „große Verborgenheit“ des 12. Imams begann. Das Konzept vom Mahdi, der bei seinem Kommen die Muslime ins „Goldene Zeitalter“ führen würde, ist allen muslimischen Gruppierungen bekannt, doch die Shiiten übertrugen es auf den verborgenen 12. Imam.

Den Imamen wird ein besonderer Status in der shi’itischen Theologie zugeschrieben: Es sind Lichtgestalten, die schon seit Ewigkeit existieren, nicht göttlich und doch würde ohne sie der Kosmos zusammenfallen (Halm). Zusammen mit Muhammed und Fatimah, sind sie die 14 Unfehlbaren (ma’sum), allesamt Märtyrer, die unschuldig litten, und Beweis dafür, dass Gott die Menschen niemals allein lässt.

 

Quellen:

  • Halm, Heinz: Die Schiiten. 2005
  • Momen, Moojan: An Introduction to Shi’i Islam. The history and doctrines of Twelver Shi’ism. 1985
  • Newid, Mehr: Der shiitische Islam in Bildern. 2006
  • Richard, Jann: Der verborgene Imam. Die Geschichte des Schiismus im Iran. 1983
  • Jafri, S.H.M.: The origins and early developments of Shi’a Islam. 2000
  • In: Amanat, Abbas: Resurrection and renewal. The Making of the Babi Movement. 1989: Orthodoxy and Heterodoxy: The evolution of learned Shi’ism (33-69)
  • In: Tibi, Bassam: Der Islam und das Problem der kulturellen Bewältigung sozialen Wandels. 1985: Die persisch-schi’itische Variante des religio-politischen Revivalismus: Die Mullah-Revolution in Iran (187-203)
  • In: Wunn, Ina: Muslimische Gruppierungen in Deutschland. Ein Handbuch. 2007: Mohagheghi, Hamideh: Die Schiiten (114-128)
  • In: Endreß, Gerhard: Der Islam. Eine Einführung in seine Geschichte. 1997: Die Entwicklung der Glaubenslehre (44-71)
  • In: Deutsche Islam Konferenz/Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Hrsg.): Muslimisches Leben in Deutschland. Forschungsbericht 6. 2009: 4. Religiosität und religiöse Praxis (134 – 206)


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