Seyran Ates – "Der Islam braucht eine sexuelle Revolution"

Seyran Ates – Der Islam braucht eine sexuelle Revolution 

Seyran Ates legt hier ein sehr wichtiges und notwendiges Buch vor. Wie wichtig es ist, zeigt sich schon allein daran, dass sie nach der Veröffentlichung offenbar so bedroht wurde, dass sie untertauchen musste. Und am gleichen Tag, da ich diesen Text schreibe, verkündet das oberste Berufungsgericht in der Türkei die Rechtmäßigkeit einer Scheidung aufgrund der Tatsache, dass die Braut keine Jungfrau mehr war.
Ates ruft auf zu einer Revolution des Denkens.

Aber weshalb fordert Seyran Ates eine sexuelle Revolution für den Islam? Gibt es nicht andere, wichtigere Punkte um zu beweisen, dass diese Religion auf dem besten Wege zu sein scheint, einen rückwärtigen Sprung in der Geschichte zu machen. Einen Sprung zurück ins Mittelalter. Die Autorin sagt jedoch, dass die sexuelle Revolution, die sich in Folge der 68-iger Bewegung im Westen durchgesetzt hat, als Vorbild für eine Änderung der muslimischen Sichtweise sowie der rigiden und verlogenen Sexualmoral dienen kann. Zumal auch die westliche Gesellschaft erst durch die sexuelle Revolution – die letztlich vor allem bedeutet: Wahrnehmung und Anerkennung des weiblichen Geschlechtes als gleichberechtigten Teil der Gesellschaft – dazu kam, diese Gleichberechtigung in der Gesellschaft umzusetzen. Es geht um mehr als um den Akt der geschlechtlichen Liebe. Es geht um eine grundlegende Veränderung der Gesellschaft!

Ates schreibt darüber, wie verlogen und ungleich die Gesellschaft bis in die 50-iger Jahre in Deutschland war. Die Unterdrückung der Frau fand erst durch die sexuelle Revolution der 68-iger ein Ende. Die Idee einer Gleichberechtigung, die Idee des Feminismus wurde erst dadurch ermöglicht.
Natürlich ist sich Seyran Ates bewusst, dass die Gleichberechtigung der Geschlechter auch in Mitteleuropa und den USA nicht perfekt und komplett ist; im Vergleich zu vorrangig muslimischen Ländern jedoch um 50 Jahre voraus.

Vielleicht könnte Seyran Ates das für die muslimische Welt werden, was eine Simone de Beauvoir für Europa und Alice Schwarzer für Deutschland wurde.

Sie fragt sich, ob denn die Zwangsverschleierung der Frauen im Islam nicht eher ein Armutszeugnis für die Männer sei, weil jene „ihre Triebe nicht unter Kontrolle halten können“. Das wird man in einer patriarchalischen Gesellschaft wie der islamischen ganz sicher nicht gern lesen und für eine unerhörte Provokation halten. Und genau das ist es auch; das soll es auch sein. Das ist bereits die Sprache der Revolution; die sich über alle bisherigen Konventionen hinwegsetzt.

Seyran Ates berichtet davon, dass gerade durch die Sexualfeindlichkeit der islamischen Gemeinschaft die gesamte Gesellschaft hochgradig sexualisiert ist. Wo es keine natürliche Sexualität geben darf resp. wo diese permanent unterdrückt werden muss, wird aus jedem Augen-Blick, aus jedem Wort eine sexuell aufgeladene Handlung. Aus den von ihr geführten Interviews lässt sich erkennen, wie sehr sowohl Frauen als auch Männer unter dieser unnatürlichen Situation leiden.
Auch wenn einige in Deutschland lebende Türken zum Beispiel von der so wahrgenommenen „lockeren Lebensweise“ insbesondere der deutschen Frauen wie angeekelt sind, so gibt es immer mehr, die zu der Erkenntnis kommen, dass ein normales Zusammenleben (und Zusammenarbeiten) der Geschlechter das gesamte Leben und Miteinander entspannter machen. Nur ist das noch eine Minderheit, die so denkt. Zu eng sind die Grenzen, die sich die Gemeinschaft der Muslime (auch) selbst setzt.

Im Gegensatz zu Shirin Ebadi, Katajun Amirpur und anderen ReformerInnen ist Ates der Überzeugung, dass der Islam nicht so weit reformierbar ist, als das er die Geschlechterapartheid aufheben kann und wird. „Um dieses Ziel zu erreichen, bedarf es einer Reform, die die bestehenden Strukturen verändert. […] Denn welche Interpretation des Koran man auch immer zugrunde legt: die Frau hat das Nachsehen…“ (Seite 66) Und so schlussfolgert sie – ebenfalls im Gegensatz zu den oben genannten Autorinnen: „Eine Religionsgemeinschaft, die die Gleichberechtigung der Geschlechter ablehnt und das durch ein Symbol wie das Kopftuch … demonstriert, ist demokratiefeindlich.“ (Seite 123)

Doch nicht nur die Männer, die den Islam bestimmen, greift Seyran Ates an. Auch den Frauen, die sich „freiwillig“ das Kopftuch umbinden, diese „Nationalflagge der Islamisten“, wirft sie vor, sich freiwillig in das Joch zu begeben. Wie Entführungsopfer, die sich nach einer gewissen Zeit mit ihren Entführern identifizieren und deren Gedanken für die eigenen halten. Ohne zu merken, in welchem Gefängnis sie sich befinden. Sie macht sich die muslimische Frau selbst zum Objekt des Mannes, zum Ding, das dieser benutzt wann und wie dieser will. „Wir hätten es schon viel weiter gebracht, wenn wir es ausschließlich mit Männern als Gegnern zu tun hätten. Stattdessen müssen Frauen auch immer gegen das Frauenbild mancher ihrer Geschlechtsgenossinen kämpfen, wenn es um die Gleichberechtigung der Geschlechter geht.“ (Seite 197)

Mit genau so deutlichen Worten tritt sie aber auch denen gegenüber, die im Westen das Kopftuch und die Ungerechtigkeit akzeptieren. Eine Gesellschaft, in der ein Gericht Gewalt in der muslimische Ehe für gerechtfertigt hält, weil „die der Kultur entspricht“, muss sich fragen lassen, ist verlogen. „Da ist Selbstbestimmung nicht mehr oberste Maxime, da wird die Universalität der Menschenrechte in Frage gestellt.“ (Seite 123)

Seyran Ates tritt aber dafür ein, dass die muslimische Gesellschaft einen eigenen Weg der sexuellen Revolution finden muss. Ein blindes Kopieren des westlichen Vorbildes lehnt sie strikt ab. Ihrer Meinung nach vertreten westliche FrauenrechtlerInnen oft eine Auffassung, die von einer unpassenden Toleranz geprägt ist. „Denn von einem freien Willen im Hinblick auf die Befolgung religiöser Regeln kann in den meisten Fällen gar nicht die Rede sein. Dafür müsste der Islam den freien Willen als Erziehungsziel überhaupt erst anerkennen.“ (Seite 126)
Doch auch muslimischen Frauenrechtlerinnen, die die Meinung vertreten, eine „richtige“ Auslegung des Koran würde genügen eine bessere Welt für beide Geschlechter zu schaffen, tritt sie entgegen und meint, dass diese nicht die dazu dringend notwendige Trennung von Staat und Religion fordern.

Was dann sehr überrascht, ist, dass Seyran Ates ein Kapitel auch der Bürde widmet, dass die Sexualmoral, die die Frauen unterdrückt und den Männern (scheinbar) jede Freiheit lässt, den Männern auferlegt. Sie ist der Meinung, dass das Sexualleben der Männer genauso fremdbestimmt ist wie das der Frauen. „Die ständige Berieselung mit dem Thema Sex, die ständige Betonung, wie potent er sein, wie wenig er seine Triebe kontrollieren könne, setzen den Mann unter Druck.“ (Seite 135)

Im Weiteren spricht sie dann etwas aus, das auch für den Westen zu einem Tabu geworden ist, wenn er über islamische Gesellschaften nachdenkt: dass dort der Missbrauch von Kindern legal sein kann. „Im Iran zum Beispiel beträgt das Mindestalter für die Eheschließung bei Mädchen dreizehn Jahre…“ (Seite 149) Man muss sich vorstellen, dass dieses Heraufsetzen auf 13 Jahre bereits als Erfolg gefeiert wurde; gab es doch bereits Hochzeiten 9-jähriger Kinder. Diese werden oft mit viel älteren Männern verheiratet. Und da diese das „Recht“ auf ehelichen Geschlechtsverkehr haben. Ich muss das nicht ausweiten: wir nennen das
Pädophile; im Islam wird das von Mullahs abgesegnet.

Seyran Ates berichtet auch über gleichgeschlechtliche Liebesbeziehungen; die im Islam verboten (und teilweise mit dem Tode bestraft werden), jedoch natürlich – wie überall auf der Welt – gelebt werden. Homosexualität wird als Krankheit betrachtet, als heilbare Krankheit (und nicht als sexuelle Identität) – hier allerdings muss man leider sagen, beginnt auch im Westen neuerdings wieder die eine oder andere fundamentalistische Gruppierung, diese unwissenschaftliche, aber moralische Irrlehre zu verbreiten. Im Iran wird zum Beispiel die Existenz homosexueller Menschen geleugnet (und mit staatlich legitimierten Geschlechtumwandlungen alles in seine vermeintliche Ordnung gebracht). Dennoch wurden und werden Homosexuelle dort allein aufgrund ihrer Homosexualität zum Tode verurteilt.

Ates verweist bereits in dem Spiegel-Interview darauf, dass sie sich an den Schriften von Wilhelm Reich orientiert. Und so wie jener bereits 1945 darüber schrieb, dass es eine Perversion der körperlichen Liebe bedeutet, dass Menschen heiraten müssen, nur um Sexualität zu leben, so sieht Seyrat Ates die jungen Muslime heute vor dem gleichen Problem. Sie ist der Auffassung, dass die sexuelle Revolution im Westen ans Tageslicht brachte, wie sehr „die gelebte und nicht zuletzt die ungelebte Sexualität eine Gesellschaft prägen.“ (Seite 180) Diese Gesellschaften sind im Innersten krank, weil verlogen. Diese Gesellschaften halten weder mit dem wissenschaftlichen noch mit dem industriellen Fortschritt mit. Das können sie unter anderen – nach Seyran Ates – nicht, weil sie viel zu viel ihrer Energie darin stecken, gegen die menschliche Natur angehen zu wollen und die Sexualität der Menschen beobachten, werten und unterdrücken. Andererseits nutzen die (reichen) Muslime sehr gern die Technik des Westens (vgl. dazu auch den Anfang des „Manifest des evolutionären Humanismus“ von Michael Schmidt-Salomon).

Auf der wirklich letzten Seite des Buches versichert sie, eine gläubige Muslima zu sein. Doch sag sie auch: „Ich bin der Ansicht, wenn Allah gewollt hätte, dass Frauen ihre Haare verhüllen, dann hätte er uns keine Haare gegeben … wenn er gewollt hätte, dass Frauen schweigen, dann hätten wir keine Zunge.“ (Seite 197)
Ich wünsche ihr, dass sie ihre Zunge weiterhin benutzt und nicht schweigt. Dass das Buch viel und oft gelesen und begriffen wird: als Plädoyer der Aufklärung und der Menschlichkeit.

Nic


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