Schreiben gegen den Schmerz.

Schreiben gegen den Schmerz.Karfreitag. Ein Tag der Stille und des Nachdenkens. Meine Schwester schreibt mir eine lange Mail aus Indien. Dort nennt man den heutigen Tag Good Friday. Das gefällt mir sehr. Möge es ein guter, ein entspannter Tag werden. Die Zeiten sind unruhig und oft mag ich das Radio gar nicht mehr anschalten. Möchte gern weiter in meinem kleinen Glück aus Büchern, Musik, Freunden und Familie bleiben. Hier in Berlin.

In seinem schmalen Buch Der Spaziergänger von Aleppo erzählt Niroz Malek in einer Balance zwischen Traum und Realität vom Leben im heutigen Aleppo: Geschichten aus einer zerstörten und traumatisierten Stadt – Ruinenlandschaft aus verwinkelten Gassen, zerstörten Kirchen und Moscheen, über welcher düster die alte Zitadelle thront. Bei mir hinterlassen diese Geschichten das Gefühl, im Barcelona der Nachkriegszeit zu sein. Wer dieses Buch aufschlägt und „das Tor öffnet“ (auf dem Buchcover abgebildet: das Eingangstor der Zitadelle von Aleppo), der betritt eine düstere mystische Welt voll dunkler Gestalten – Menschen in ständiger Angst um ihr Leben, Untote, welche nie zur Ruhe kommen und natürlich unzählige Tote.

Dennoch will Niroz Malek diese Welt nicht verlassen. Grund dafür sind nicht nur seine Freunde oder die Cafébesuche. Es geht Malek auch nicht wie dem alten Mann aus der Geschichte Tod (S. 57), welcher zurückkehrt nach 6 Monaten in der angenehm ruhigen Fremde, weil ihm das Backgammon-Spiel und das Plaudern mit Freunden gefehlt hätten. Und der, wenn er denn sterben müsste, neben seiner Frau Fatima in Aleppo beerdigt werden möchte. Der Hauptgrund seines Bleibens sind all die Freunde und Helden der gelesenen Bücher. Könnte er König Lear seinem Schicksal überlassen? Was ist mit Raskolnikoff, mit Hamlet? Was würde aus den kleinen Statuen von Puschkin und Gogol, den Schallplatten von Beethoven und Rachmaninow werden …

Auch ich könnte einen solchen Rundgang durch mein Bücherzimmer machen und unzählige Gegenstände aufzählen, die in keinen Koffer passen. So viele Dinge von mehr emotionalem denn materiellen Wert. Und all dies verlassen? Wie?

Glaubst du wirklich, dass ich meine Wohnung verlasse? Daß ich meinen Tisch zurücklasse, an dem ich gearbeitet und meine Geschichten und Romane geschrieben habe? An dem ich die Cover für meine Werke entwarf und Hunderte und Aberhunderte Bücher las? … Was immer auch geschieht, ich werde nicht fortgehen (S. 5).

Auch wenn der größte Teil seiner Familie in Europa, Kanada, den USA und die Tochter mit Mann und Kindern in Deutschland lebt … Malek bleibt in Aleppo. Und er schreibt. Er schreibt gegen den Schmerz, gegen das Vergessen. Denn wenn er schreibt, wenn er sich erinnert, dann lebt er! In Der Spaziergänger von Aleppo versammeln sich 57 Miniaturen aus seinem Alltag zwischen Büchern, Stift und Papier. Zwischen Granaten und Bomben. Zwischen Cafébesuch und Checkpoints. Malek erzählt von flackerndem Kerzenlicht in der Dunkelheit, wenn der Strom ausfällt. Von tiefrotem Blut, das sich einem Mohnfeld gleich auf weißem Marmorboden ausbreitet. Von einem toten Jungen, der durch Aleppo läuft, schließlich im Stamm einer Zypresse verschwindet, aus deren Rinde daraufhin Blut tritt.

Manchmal schleicht sich ein Hauch von Glück in die Geschichten, doch ist der Grundton voll Trauer, Schmerz und Melancholie. Gern schließt Malek einfach seine Augen und träumt sich in das geliebte alte Aleppo ohne Checkpoints und vermummte Männer. Besonders oft träumt er sich zu seinen Enkelkindern nach Köln. Sie nicht aufwachsen zu sehen, ist sein ganz besonderer Schmerz.

Im Nachwort sagt der 1946 geborene Autor, dass er immer fest überzeugt davon war, ein “Sohn des Friedens” zu sein, dass es nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges einfach keine großen internationalen Kriege mehr geben könne. Wie sehr er sich geirrt hat –

Weil ich noch mehr erfahren möchte über Niroz Malek und sein Buch, habe ich Verleger Stefan Weidle per Mail ein paar Fragen gestellt, die er mir umgehend beantwortet hat, sodass sie hier in meinen Text einfließen können:

1. Habt Ihr den Autor entdeckt oder ist das Buch zu Euch „gekommen“? Gibt es dazu eine kleine Geschichte?

Die Initiative http://wirmachendas.jetzt/ hat mich vor gut einem Jahr gefragt, ob ich Veranstaltungen in Buchhandlungen mit Flüchtlingen im Köln-Bonner Raum organisieren könnte; es ging darum, ins Gespräch zu kommen über die Kultur, welche die Flüchtlinge mitbringen. Und überhaupt miteinander zu reden statt übereinander. Über Facebook habe ich eine Zusage vom Buchladen Neusser Straße in Köln bekommen. Dort gab es dann eine Veranstaltung mit dem Alawi-Verlag, Larissa Bender und einem syrischen Filmemacher, Nyazi Bakki. Der brachte seine Frau mit, Dinan Hesso. Dinan Hesso wiederum hatte das Buch ihres Vaters Niroz Malek dabei – in der französischen Ausgabe. Ich habe einigermaßen heimlich das Cover fotografiert, das Buch in Frankreich bestellt, gelesen und mich sofort um die Rechte gekümmert. Schon bei der nächsten Veranstaltung in Bonn, im Mai 2016, habe ich den Vertrag mit der Übersetzerin, Larissa Bender, unterschrieben.

2. Wie stelle ich mir die Kommunikation vor – mit Euch, mit seiner Familie? Malek beschreibt, dass oft für Stunden oder auch Tage der Strom weg ist.

Ich kann nicht direkt mit Niroz Malek kommunizieren, da er keine Fremdsprache spricht. Auf Facebook aber bin ich mit ihm in Kontakt und kann seine Fotos ansehen und seine Postings von Google übersetzen lassen. Wenn man die Texte kopiert, in den Translator einsetzt und sich auf englisch oder französisch anzeigen läßt, bekommt man ganz gut mit, was er schreibt. Aber ich habe viel Kontakt zu seiner Tochter, die bei allen Veranstaltungen dabei ist und Texte ihres Vaters auf arabisch vorliest, zu der Buchpremiere in Köln hat er uns sogar einen Brief geschrieben.

3. Vor einiger Zeit hast du mir erzählt, dass auch Maleks Enkeltochter in dem Buch vorkommt. Wie war das genau?

Ja, sie kommt im Buch sogar zweimal vor. Beispielsweise ist es das Mädchen aus dem Text “Barbie”. Ich kenne sie und ihren Bruder. Beide sind sehr niedlich, aber man merkt ihnen die schlimmen Erfahrungen an. Sie leben mit ihren Eltern in Köln. Zum Glück mußten sie nicht übers Meer fliehen, sondern kamen mit ihrer Mutter per Flugzeug, nachdem der Vater es hierher geschafft hatte.

Vielen Dank an den Weidle Verlag für das mutige Projekt, dieses Buch zu verlegen, welches es bisher nur in Französisch und Schwedisch gab. Laut Klappentext war und ist an eine Publikation in Syrien nicht zu denken. Ganz besonders danke ich Stefan Weidle für diesen kurzfristigen Talk.

Noch mehr Lese-Eindrücke findet ihr auf den Blogs Wissenstagebuch und Klappentexterin. Dieser Beitrag wurde bereits veröffentlicht bei We read Indie.

Niroz Malek. Der Spaziergänger von Aleppo. Aus dem Arabischen von Larissa Bender. Weidle Verlag. Bonn 2017. 17,- €

Schreiben gegen den Schmerz.



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