„Schlaf gut, Baby“ – Interview mit Herbert Renz-Polster

Wir sprechen über sein Buch „Schlaf gut, Baby“.

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Lieber Herr Renz-Polster, gibt es Ihrermeinung nach, ein wirkliches „Schlaf-Problem“ und wenn ja, ist es ein Problem unser heutigen Zeit?

Nun, es fällt schon auf, dass wir heute gerade in so natürlichen Dingen wie dem Schlaf feststecken. Das hat bestimmt auch damit zu tun, dass wir den Schlaf eben nicht mit unserem Willen „machen“ können, sondern dass es dazu Entspannung braucht – und gerade die ist zu einem raren Gut geworden. Die jungen Familien stehen ja oft unter Funktionszwang, da sind viele Ziele, die es zu erreichen gilt, wie soll man da in Ruhe sein Baby kennen lernen.
Aber ich sehe noch einen Grund, warum es gerade mit dem Schlaf nicht so klappt. Denn wir hängen da, ob bewusst oder nicht, doch ziemlich viele Fremdgewichte dran, da geht es nicht nur darum, dass die Kleinen einfach schlafen. Es geht auch um die größeren Ziele, im Grunde um Erziehung. Dass die Kleinen selbstständig werden, dass sie lernen, sich selbst zu regulieren, dass sie nicht verwöhnt werden, eben diese ganze Schiene. Im Grunde sollen die Kleinen mit dem Schlaf also auch aufgebessert und in ihrer Entwicklung beschleunigt werden. Aber wie die Geschichte der „Sauberkeitserziehung“ zeigt, taugt das weder den Kindern noch den Eltern – und ihrer Beziehung zueinander schon gar nicht.

Also machen Eltern, wie wir, deren Kinder nachts aufwachen, nicht unbedingt etwas falsch?

Wie oft kleine Kinder nachts aufwachen, hat mit mehreren Dingen zu tun. Mit ihrem Naturell zum Beispiel, also wie stramm die Saiten ihrer Persönlichkeit aufgezogen sind. Es hat mit ihrem Geschlecht zu tun – Jungs melden sich nachts häufiger als Mädchen. Es hat etwas mit ihrem Nahrungsbedarf zu tun, da gibt es gute Futterverwerter, die auch nachts nur wenig nachtanken müssen, und es gibt eben schlechte Futterverwerter. Und es hat etwas mit dem Schlafort zu tun. Gestillte Kinder im Elternbett werden nachts etwas häufiger wach – schlafen dann aber wieder rascher ein. Dass alle Kinder ab einem bestimmten Alter durchschlafen, ist ein Mythos, der sich auch wissenschaftlich nicht belegen lässt. Leider hinterfragen Eltern solche Ansagen viel zu selten – sie fühlen sich stattdessen schuldig, wenn ihr Baby so schläft wie Babys eben schlafen. Frühere Eltern haben sich auch schuldig gefühlt, wenn ihre Kleinen nicht schon als Babys brav ins Töpfchen machten. Das Schuldspiel ist uralt.

Babys und Schlaf, das sind zwei große Themen. Müssen Babys das Schlafen denn erst erlernen und wenn ja, wie funktioniert das?

Schlafen ist für Babys genauso wichtig wie für uns Erwachsene. Der gute Schlaf ist ja die Eintrittskarte zum guten Wachsein! Und natürlich haben Babys so etwas Wichtiges voll und ganz drauf, wir bekommen von der Natur ja keine defekten Kinder geliefert. Nur, sie schlafen eben auf ihre Art – so wie sie ja auch auf ihre Art essen, auf ihre Art verdauen und ihre Ausscheidungen auf ihre Art los werden. Um ihren Schlaf grob zu skizzieren – kleine Kinder schlafen leichter als wir Großen, in kleineren Portionen, und sie wollen ungern alleine sein. Sie sehen den Schlaf zunächst einmal als Gemeinschaftsprojekt.

Wieso fällt vielen Babys das einschlafen so schwer und ist oft mit viel Geschrei verbunden?

Babys können in der lautesten Diskothek einschlafen, solange sie nur bei ihrer vertrauten Bezugsperson in den Seilen hängen. Bei uns Erwachsenen ist das aber auch nicht anders – das Einschlafen klappt auch nur unter ganz bestimmten Bedingungen. Auch wir können erst einschlafen, wenn wir uns sicher und geborgen fühlen. Wer kann schlafen, wenn die Diehlen knarren? Oder wenn er sich Sorgen um seine Zukunft macht? Das scheint ein Erbe aus der Menschheitsgeschichte zu sein. Denn alle Lebewesen, ob klein oder groß, stehen beim Thema Schlaf ja zunächst einmal vor einem Sicherheitsproblem. Wer in eine Art Koma fällt, ist ja eine ganze Weile schutz- und wehrlos. Gut also wenn man dem Sandmännchen Bedingungen stellt! Wir Großen sorgen zum Beispiel dafür, dass die Haustür verschlossen ist. Und dass es nicht allzu kalt durchs Fenster windet. Unsere Kinder sorgen auf ihre Art für Sicherheit – sie können dann entspannen, wenn sie ihre vertrauten, schützenden Bezugspersonen bei sich wissen. Auch das bringen sie aus unserer evolutionären Vergangenheit mit: wie könnte so ein leckeres Menschenkind allein einen Wolf verjagen? Wie könnte es allein dafür sorgen, dass es zugedeckt wird, wenn das Feuer ausgegangen ist? Wie könnte es allein eine Stechmücke verjagen, die ihm auf der Nase sitzt? Und wie könnte es allein seinen Hunger stillen? Kein Wunder kommen kleine Kinder in Stress, wenn sie sich auf dem Weg in den Schlaf allein gelassen fühlen.

Wie sind dazu gekommen, zu diesem Thema ein Buch zu schreiben?

Mich interessiert das Thema Schlaf schon lange, weil ich mich ja schon lange mit der Kindheit aus Sicht der evolutionären Verhaltensforschung beschäftige – also: warum entwickeln sich Kinder so, wie sie sich entwickeln – und eben nicht anders? Da sind ja viele Dinge, die den Eltern zunächst einmal den Schweiss auf die Stirn treiben: diese hartnäckige Suche nach Nähe, dann das Fremdeln, die Zornanfälle, dieser seltsame Respekt vor dem gesunden Gemüse… Und natürlich der Schlaf, der auch irgendwie anders ist als wir uns das wünschen. Und doch müssen all diese Verhaltensweisen irgendwie einen Sinn haben, es handelt sich ja um universelle Muster, die rund um die Erde zu beobachten sind. Aus evolutionärer Sicht können solche Muster keine Defekte sein – es hätte die Menschheit ja sonst längst aus der Kurve getragen. Ja, und aus diesem Blickwinkel sehe ich eben auch den Kinderschlaf: warum ist er so wie er ist, und warum waren Kinder mit dieser Art des Schlafens so erfolgreich?“

Stillen, Tragen und Familienbett werden gerade wieder normal. Ist dieser natürliche Umgang mit Babys heute in der Gesellschaft angekommen?

Was heisst schon Mitte der Gesellschaft? Ich sehe heute sehr unterschiedliche Arten, wie Eltern mit ihren Kindern leben. Was für die einen normal ist, ist für die anderen undenkbar. Wir leben als Eltern sozusagen auf sehr unterschiedlichen Sternen, und auf denen werden sehr unterschiedliche Sprachen gesprochen, unterschiedliche Beziehungssprachen. Nach meiner Beobachtung herrschen unter Eltern noch immer sehr viele Bedenken und Ängste rund um Stillen, Tragen, Co-sleeping und so weiter, da steht dann oft die Sorge vor Verwöhnung im Raum oder auch Themen wie frühe Selbstständigkeit: wie soll mein Kind unabhängig werden, wenn ich seiner Abhängigkeit nachgebe? Und was lernt es denn, wenn es immer seinen Willen bekommt, solche Sachen eben… Im Grunde sind wir heute noch immer mitten drin in diesem Film, den sich schon unsere Großeltern reingetan haben.

Was genau versteht man unter Attachment Parenting?

Ich selbst mag den Begriff „attachment parenting“ nicht wirklich, denn wer kann sich darunter schon etwas vorstellen? Auch wird da oft so getan, als müsse man als Eltern bestimmte Sachen „bringen“, wie eben gerade das Tragen, das gemeinsame Elternbett, langes Stillen und so weiter. Und jeder legt dann noch was dazu. Aber darum geht es ja nicht, es geht nicht um die Zutaten, sondern darum, wie wir tagtäglich miteinander umgehen, wie wir uns aufeinander einlassen, uns kennen lernen und eben den Alltag gestalten. Je weniger Ängste, Programme und Ziele wir da mit uns rumschleppen, desto eher können wir uns aufeinander einstellen. Deshalb gehe ich beim Thema Schlaf auch ganz stark auf die vielen Behauptungen ein, die sich darum ranken: was Eltern angeblich machen müssen, damit ihre Kinder eben „richtig“ schlafen. Da herrscht ja eine regelrechte Diktatur der Angst. Wie sollen Eltern da ihren eigenen Weg finden, der zu ihnen und ihren Kindern passt?

Herr Renz-Polster, Sie sind ja selbst Vater von vier Kindern – also, Hand aufs Herz, wie hat das denn mit dem Schlafen bei Ihren eigenen Kindern am besten funktioniert?

Ja Hand aufs Herz, bei unserem ersten Kind war ich die Schlafbremse. Ich wollte nicht, dass unser Simon bei uns im Elternbett schlief, er sollte sein eigenes Nestchen haben. Und das war dann bald ein Problem – meine Frau abends lange bei ihm, stillen, „einschläfern“ eben. Unruhiger Schlaf und all das. Das ruhige Miteinander hat sich jedenfalls so nicht eingestellt, auch nicht für uns als Paar. Ab dem zweiten Kind hat sich dann meine Frau durchgesetzt, ja und ich ja auch meine Lektion gelernt, jedenfalls – die schliefen dann immer bei uns, bis sie eben dann selbst ein eigenes „Nestchen“ haben wollten. Das passiert übrigens nach unserer Erfahrung lange bevor sie dann mit einem eigenen Freund oder Freundin ankommen.

In Ihrem Buch schreiben Sie, dass jedes Kind anders ist und es also das EINE Rezept nicht gibt, wie man einem Kind das Einschlafen erleichtern kann. Haben Sie trotzdem ein paar Tipps, die oft oder meistens gut funktionieren?

Ich denke es hilft, wenn wir unseren eigenen Schlaf betrachten – es gibt nicht den EINEN Trick, aber immer geht es um das Thema Entspannung. Um das Gefühl einer „Schlafheimat“ – wenn wir da ankommen, dann kommen wir runter. Bei Kinder kann das manchmal bedeuten, dass wir eben genau dieses Konzept des „Zu-Bett-Bringens“ – also: ich muss mein Kind jetzt irgendwie in den Schlaf bugsieren! – aufgeben. Gerade wenn der Karren verfahren ist und alles nicht klappt. Dann sollten wir uns vielleicht an das Feuer erinnern, an dem wir einmal gesessen haben und Geschichten erzählt oder von mir aus auch gestritten haben. Wären wir da aufgestanden und hätten unser Kind hinter den Büschen „ins Bett gebracht“? Und uns dabei geärgert, welche Geschichten wir jetzt gerade verpassen? Nein, das Kind wäre irgendwann eingeschlafen, mitten drin dabei. Da fand es irgendwo seine „Schlafheimat“. Mit dieser Denke lässt sich auch heute noch manches entspannter angehen, auch für uns selbst.

Vielen Dank an Herrn Renz-Polster, für dieses schöne Interview! 

Ich kann seinen Blog nur wärmstens empfehlen. Ebenso wie seine zahlreichen Bücher. Ich habe sie ALLE… 🙂


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