Saft-Fasten: Eine Tragödie in fünf Akten – 4. Akt: „Multivitamin-Saft“

Gehe morgens in die Küche um das Frühstück und die Pausenbrote der Kinder vorzubereiten. Da fällt mein Blick auf die Anrichte und ich traue meinen Augen nicht.

[Dramtische Pause]

Dort liegt ein Apfelkrotzen!

[Noch eine dramtische Pause]

Ein Apfelkrotzen!!

[Und noch eine dramatische Pause]

Ein Apfelkrotzen!!!

Apfelkrotzen. Ein Stilleben.

Apfelkrotzen. Ein Stilleben.

Gestern Abend, als wir zu Bett gingen, lag er noch nicht dort. Da bin ich mir ganz sicher. Somit muss jemand in der Nacht den Apfel gegessen haben. Dass es die Kinder waren, ist ausgeschlossen. Die würden nie freiwillig Obst essen. Vielleicht war ich es selbst? Möglicherweise bin ich schlafgewandelt und habe den Apfel selbst gegessen.

Da erscheint die Freundin in der Küche. Sie erklärt, sie habe heute Nacht unter Herzrasen und Schweißausbrüchen gelitten und brauchte einfach etwas zu essen. Dafür habe ich selbstverständlich größtes Verständnis. Die Gesundheit geht vor. Kein Verständnis habe ich aber dafür, dass sie mich nicht geweckt und mir ebenfalls einen Apfel angeboten hat. Oder noch besser Apfelpfannkuchen. Aber beim Fasten ist sich anscheinend jeder der Nächste.

Schmiere missmutig die Pausenbrote, als es an der Wohnungstür klopft. Wundere mich, wer das zu solch früher Stunde sein könnte. Vor der Tür steht eine mir mittlerweile bekannte hagere Gestalt in Kutte. Es ist mal wieder der Tod, der mich gelegentlich besucht. Bin dennoch etwas beunruhigt.

„Guten Morgen“, begrüße ich den Tod. „Ich muss doch nicht etwa wegen des Fastens sterben?“

„Nein, keine Sorge“, beruhigt er mich. „Ich wollte nur auf ein Schwätzchen vorbeikommen. Komme ich ungelegen?“

„Um ehrlich zu sein, ist es gerade etwas ungünstig“, erkläre ich. „Wir Saft-Fasten gerade. Das einzige, was ich Ihnen anbieten kann, ist ein Glas Sauerkrautsaft.“

„Ach du meine Güte! Wollen Sie mich etwa umbringen?“, fragt der Tod entsetzt. Dann verabschiedet er sich schnell und macht sich aus dem Staub.

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Kurze Zeit später sitze ich auf dem Rad und fahre ins Büro. Mein Hungergefühl ist fast verschwunden und stattdessen einem geradezu rauschhaften Zustand gewichen. Vielleicht eine Art Fasten-High. Singe fröhlich „High flying adored“ aus Evita.

Das ist sehr erstaunlich, da ich a) den Text gar nicht kenne und b) auch noch nie besagtes Musical gesehen habe. Eventuell treibt die Nahrungsdeprivation mein Gehirn zu ungeahnten neurologischen Höchstleistungen. Noch schöner wäre es, wenn mir das Fasten Fähigkeiten verliehe, die ich monetarisieren könnte. Zum Beispiel Lottozahlen korrekt vorhersagen. Dann wäre ich reich und könnte eine andere Person dafür bezahlen, an meiner statt zu fasten. Das wäre schön.

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Bevor ich mit dem Arbeiten beginne, kaufe ich in dem Bio-Supermarkt um die Ecke noch eine Flasche Multi-Vitaminsaft. Behutsam wie einen Säugling trage ich die Flasche auf meinem Arm ins Büro.

Dort genehmige ich mir erstmal ein Glas des köstlichen Saftes. Der Geschmack ist phantastisch. Von einer angenehmen Süße und leicht herb im Abgang. Ich sollte Obstsaft-Sommelier werden.

Das Fress-Teufelchen Fred erscheint auf meiner linken Schulter und ist begeistert. Er findet, es fehlt jetzt nur noch ein leckeres Nutella-Brot dazu. Einzig das Engelchen Körner-Klaus, der alte Fasten-Nazi, vermiest ein wenig die Stimmung. Er lamentiert pausenlos, Obstsäfte gingen eigentlich gar nicht. Gebe ihm zu verstehen, dass, wenn er nicht mit der Nörgelei aufhört, ich heute Mittag Schnitzel mit Pommes essen werde. Diese Drohung bringt ihn zum Schweigen.

Danach mache ich mich an die Verrichtung meines Tagwerks.

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Nach einem halbwegs produktiven Bürotag radele ich abends gut gelaunt nach Hause. Singe dabei „Puff, the Magic Dragon“ von Peter, Paul und Mary.

Und nein, auch dieses Lied und sein Text sind mir in meinem normalen körperlichen und geistigen Zustand nicht bekannt.

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Zuhause angekommen erwartet mich eine unerfreuliche Überraschung. Am nächsten Tag ist ein Musik-Vorspiel an der Schule der Kinder und wir hatten uns bereits vor Wochen bereiterklärt, dafür einen Kuchen zu backen.

Die Freundin erklärt, sie habe die Zutaten organisiert, daher müsste ich backen. Meinen Einwand, sie habe lediglich die Zutaten, die ich letztes Wochenende gekauft habe, auf der Anrichte zusammengestellt, lässt sie nicht gelten. Vielmehr entgegnet sie, dass sie schon immer für das Kochen zuständig war und ich für das Backen. Eine durchaus richtige Feststellung, die gleichzeitig aber eine durch und durch konservative sich jeglicher Veränderung verweigernde Grundhaltung ausdrückt.

Da mir das Fasten die Energie und den Antrieb geraubt hat, dies auszudiskutieren, füge ich mich meinem Schicksal und verrühre Eier, Zucker, Butter und Mehl. Fress-Fred tanzt ekstatisch auf meiner linken Schulter und fordert, wir müssten unbedingt von dem Teig naschen, sonst wäre es kein Kuchenbacken. Dabei löffelt er Schoko-Pudding. Körner-Klaus gerät auf der rechten Schulter dagegen in Schnappatmung und ruft, die Sache mit dem Fruchtsaft sei schon schlimm genug, da solle ich mich unterstehen, auch noch Kuchenteig zu essen.

Während sich die beiden streiten, weine ich still in den Kuchenteig. Das erspart die Zugabe der obligatorischen Prise Salz. Schaffe es tatsächlich wie durch ein Wunder, dass nichts von dem Teig in meinem Mund landet. Erwarte dafür einen Nobelpreis oder wenigstens das Bundesverdienstkreuz am Bande.

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Als die Kinder im Bett sind schauen die Freundin und ich ‚Criminal Minds‘. Eine Fernsehserie, bei der wir uns immer ein wenig wegen der brutalen Serien-Mörder gruseln, die von den FBI-Profilern gejagt werden. Heute gruselt es mich eher, weil in der Sendung so viel gegessen wird. Hier ein Donut für die Ermittler, dort ein Kaffee und da ein schnelles Sandwich. Wie kommen die eigentlich dazu, überhaupt einen Fall zu lösen, wenn sie pausenlos Essen in sich reinstopfen?

Wenn das mit diesen Fressorgien auf der Mattscheibe so weiter geht, kann ich für nichts garantieren. Dann muss ich alle Nachbarn überfallen und werde zum Mundraub-Serien-Täter. Wie wohl mein kriminelles Profil aussieht?

„Es handelt sich um einen 35- bis 45-jährigen Weißen mit akademischem Hintergrund. Vordergründig lebt er als unbescholtener, zurückhaltender Familienvater und geht tagsüber einer geregelten Arbeit nach. Aber nachts dringt er in ungesicherte Kühlschränke ein und isst diese komplett leer. Ausgelöst wurde sein pathologisches Fress-Verhalten wahrscheinlich durch eine missglückte Saft-Fasten-Kur. Seien Sie unbedingt auf der Hut vor ihm. Er ist mit einem Reisebesteck bewaffnet. Und wenn er hungrig ist, isst er unberechenbar.“

Bevor es tatsächlich zum Fress-Amok kommt, machen wir den Fernseher aus und gehen ins Bett. Gute Nacht!

Fortsetzung folgt.


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