Ring frei für contact Gonzo

Das Foyer des Weltmuseums diente abermals dem ImpulsTanz Festival für eine Aufführung. An einem Abend mit zwei Produktionen, die sich aufeinander bezogen, wurde dort vorgeführt, was man unter „Contact Gonzo“ versteht.

Zumindest der Titel des ersten Stückes „Softmachine: Yuya Tsukahara by Choy Ka Fai“ verriet nur, dass hier zwei Männer aufeinandertreffen werden. Was sie genau machen, war weitaus weniger klar. Choy Ka Fai ist jener junge Kurator, der 18 Monate lang durch Asien reiste, um sich dort in verschiedenen Ländern die aktuelle Tanzszene anzusehen. Das Ergebnis ist in einer Ausstellung im 1. Stock des Museums unter dem Titel „Softmachine“ zu sehen. Filme und Fotos von beinahe 100 Menschen, die derzeit in ihren jeweiligen Ländern eine bestimmte Richtung oder Position des Tanzes vertreten.

Einer davon ist der Japaner Yuya Tsukahara, Mitbegründer einer neuen Bewegungsform, die sich Contact Gonzo nennt. Contact, da es dabei darum geht, mit einem oder mehreren Partnern ständig körperlichen Kontakt zu halten. Gonzo bezieht sich auf den amerikanischen Journalisten Hunter S. Thompson, der durch seine extrem persönliche Berichterstattung bekannt wurde. Gonzo wird von den Mitgliedern der Gruppe als amerikanisches Underground-Phänomen beschrieben.

SoftMachine: Yuya Tsukahara by Choy Ka Fai

Den ersten Teil des Abends bestritt Choy Ka Fai mit Yuya Tsukahara selbst. Der eine in der Rolle des für das Publikum stellvertretend Fragenden, der andere als Lehrmeister. Wobei dieser vehement dementierte, dass man contact Gonzo lernen könne. Man müsse es tun, ausprobieren, so wie sie es zu Beginn auch getan hätten. Gewisse Bewegungen so lange, bis sie langweilig würden, denn dann entstünde automatisch etwas Neues. Und so treffen die beiden aufeinander, schieben sich mit ihren Köpfen gegenseitig weiter, mit ihren Armen, üben Druck und Gegendruck aus, fallen dabei auf den Boden und dienen sogleich dem anderen als mobile Standunterlage.

Weil alles so simpel aussieht, haben sich die Mitglieder der Gruppe eine linguistische Verteidigungsstrategie zusammengebastelt, nämlich eine „philosophy of pain“. Näher geht Tsukahara darauf nicht ein, aber Schmerz ist tatsächlich eines der Hauptelemente, treffen die Schläge die Männer doch gänzlich ungeschützt, fallen sie doch nicht auf weiche Bodenmatten, sondern lediglich auf eine nichtrutschende Plastikunterlage, die auf dem steinernen Museumsboden liegt. Entwickelt hat sich die Bewegung bei Zusammentreffen im Park. Sie kann von allen ausgeübt werden, Regeln gibt es keine, bis auf die Ausnahme, dass nicht mit den Füssen getreten werden darf.

Am Ende dieser Einstimmung in die Thematik, die durch Vorführungen anschaulich gemacht wird in der Choy Ka Fai deutlich der Unterlegene ist, kommen noch zwei weitere Vertreter aus Tsukaharas Gruppe hinzu. Der beherzte Kurator, bereits mit seinen Kräften sichtlich am Ende, ist nun einer in einer Dreierkette, die sich im Abstand von einigen Metern von einem zuvor selbst gezimmerten Holzgestell aufstellt. Dieses wird schließlich zu einer überdimensional großen Schleuder umgebaut, von der aus die drei nun mit der vollen Zugkraft eines Mannes mit Mandarinen beschossen werden. Ein hinter der Schleuder aufgestellter Fotoapparat hält jene Sekundenbruchteile fest, bevor die Geschosse auf die Männer treffen. Schmerzverzerrte Gesichter, kuriose Haltungen, Abwehrgesten, aber keine Flucht vor dem Unvermeidlichen sind darauf zu sehen und amüsieren sowohl die Protagonisten als auch das Publikum. Mit „we would like to finish“ endet schließlich diese erste, von Choy Ka Fai so amüsant conferierte Vorstellung.

contact Gonzo – untitled movements with a drummer coming a little later

Der zweite Teil des Abends mit dem Titel „contact Gonzo – untitled movements with a drummer coming a little later“ bezeichnet sehr treffend das Geschehen. Inmitten der imperialen Architektur des Weltmuseums, dessen Erscheinungsbild Würde aber auch Stillstand ausstrahlt, zeigen insgesamt vier Männer, wie contact Gonzo von Profis ausgeübt wird. Die Abläufe dabei sind sich immer sehr ähnlich. Sie beginnen ruhig zu zweit, zu dritt oder auch zu viert mit gegenseitigen Berührungen, leichten Stößen und sachtem Gerempel und steigern ihre Auftritte zu veritablen Kämpfen. Kopfstöße, die das Publikum ängstigen, harte, gegenseitige Schläge auf die Brust, knallende Ohrfeigen, die ein Raunen auf dem Zuschauerrang hervorrufen, machen klar, dass es sich hier nicht um eine Abart von Wrestling handelt. Fliegende Wasserflaschen, eine kleine Instantkamera, die nach dem Auslösen durch die Luft gewirbelt wird, Zusammenballungen aller vier Körper, ein gegenseitiges Ziehen und gezogen Werden – contact Gonzo wird hier in einer rasanten Form gezeigt, die schonungslos von jedem gegen jeden ausgeübt wird.

Inmitten der Aktion wird ein Percussion-Set aufgebaut und nach wenigen Augenblicken nimmt Balázs Pándi mit dem Rücken zum Publikum Platz. Der stämmige Drummer beginnt unverzüglich mit einer wilden, furiosen, wütenden und atemlosen Sounduntermalung, die durch die hohe Halle einen voluminösen, fast monströsen Charakter annimmt. Das Geschehen, ohnehin schon mit high speed aufgeführt, legt noch einmal an Rasanz zu. Eine wilde, gewalttätige Aktion jagt die nächste. Pándi wird davon nicht immer verschont, dient zuweilen als Stütze, wird übersprungen, oder die Männer versuchen, sich an ihm festzuhalten. Die potenzierte Dynamik verändert auch die Sehgewohnheit, die sich nun nicht mehr in eine Empathie bei schmerzhaften Bewegungs-Begegnungen verwandelt. Vielmehr wird das Geschehen nun als etwas Künstlicheres wahrgenommen, etwas, das einer Dynamik folgen muss, die durch den Drummer auf eine andere Ebene gehoben wurde. Die vier Männer folgen jetzt nicht mehr nur ihrer eigenen Dynamik, sondern vielmehr jener der rasenden Rhythmik, die keine Sekunde Pause zulässt.

So, als ob sie nur dann wieder zur Ruhe kommen könnten, wenn Pándi von seinen Instrumenten ablässt, beginnen die Männer schließlich, diese dem Percussionisten wegzunehmen und nach und nach im Raum zu verteilen, bis ihm nur mehr jene Trommel übrig bleibt, die er normalerweise mit dem Fuß bedient. Unbeirrt von dieser Einschränkung, malträtiert er das letzte ihm verbliebene Instrument rasend weiter, während er stehend auf dem kleinen Teppich, auf dem sein Instrumentalsetting aufgebaut worden war, aus dem Raum gezogen wird. Einige Sekunden hört man ihn noch ihm Nebenraum auf die Trommel einschlagen, dann beendet der Klang vom Aufschlagen seiner beiden weggeworfenen Sticks auf dem harten Boden den Abend.

„Contact Gonzo ist kein emotionales Geschehen“ erläuterte zu Beginn der Vorführungen Yuya Tsukahara. Eine Aussage, der man nach den Vorstellungen tatsächlich nicht wirklich glaubt. Auch wenn die Mienen der Beteiligten während der heftigsten gegenseitigen schmerzlichen Kontakte unbeweglich blieben: Von anderen ausgelöste, schmerzhafte Aktionen lösen im Körper eines Menschen zwangsläufig Gefühle aus. Vielleicht spielt in diesem Fall auch die Mentalität der Japaner eine Rolle, die mit der westeuropäischen, was das Zeigen von Emotionen betrifft, nicht vergleichbar ist. Die Frage, ob Gewalt Gewalt erzeugt, oder ob sportlich bewusst eingesetzte und ausgeübte eher der Gewaltvermeidung im Alltag dient, ist eine brisante, wenngleich nur individuell beantwortbare. Die extreme körperliche Präsenz, der teilweise anarchistisch anmutende Ablauf des Geschehens, das auf in der Sekunde ausgelebten Reaktionen und Aktionen basiert, steht dem immer stärker reglementierten Leben der Menschen mit ihren durch elektronische Gadgets eingeschränkten Bewegungsmuster diametral gegenüber. Vielleicht ein Umstand, der contact Gonzo für das Publikum so aufregend macht. Interessant ist, dass die Teilnehmenden allesamt aus dem künstlerischen Bereich stammen und als Graffiti-Künstler, Designer, Fotografen oder im Bereich der Visual Arts arbeiten. „Ist das Tanz?“, diese Frage von Choy Ka Fai beantwortete Tsukahara mit einer knappen Feststellung: „Das musst du selbst entscheiden.“

Beteiligte: Masakazu Kobbayashi aka NAZE, Takuya Matsumi, Keigo Mikajiri, Yuya Tsukahara und Balázs Pándi.


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