{Rezension} Zweiundzwanzig

{Rezension} ZweiundzwanzigJean-Philippe Blondel | Zweiundzwanzig | Mare Verlag | 160 Seiten | 18,00€ (D) 18,50€ (A) | ISBN: 978-3-86648-184-8

Darum Geht's:


Der namenlose Erzähler hat viel miterlebt: Er verliert mit 22 Jahren seinen Vater durch einen Autounfall, genauso wie er seine Mutter und seinen Bruder schon vor vier Jahren verloren hat. Plötzlich hat er Geld, weil er geerbt hat und eine Freiheit, die er eigentlich gar nicht möchte. Zurück bleibt die Frage, wie er mit diesem Ereignis abschließen soll. Er beschließt, mit seiner Ex-Freundin Laure und seinem besten Freund Samuel durch Amerika zu fahren, mit der fixen Idee, den Ort Morro Bay zu bereisen. Der Ort, der in dem Song Rich von Lloyd Cole auftaucht.

Cover, Titel, Klappentext:


Bezüglich des Covers: Schön ist anders. Aber ich schätze, dass dieses Buch auch nicht schön sein muss, denn das Buch erzählt schließlich auch keine schöne Geschichte. Das rasende Auto am unteren Rand macht mich, wenn ich es jetzt anblicke, ganz schön betroffen. Zum Titel zweiundzwanzig: Im Original heißt das Buch Et rester vivant ("Und am Leben bleiben"), was nach Aussagen des Autors in den anderen Sprachen geändert wurde, weil Staying alive zu sehr an das Lied von den Bee Gees erinnern würde. Zweiundzwanzig ist das Alter des Protagonisten und es wird häufig darauf referiert - weshalb ich den Namen nicht weniger passend finde. 

Es gibt einfach Bücher...


... die einem ein Stück weit den Atem rauben. Ich durfte Jean-Philippe Blondel auf der BuchWien15 bei einer Lesung sehen und bin dementsprechend besonders emotional, was das Buch angeht. Es ist zwar ein Roman, aber ein autobiographischer - denn, wie der Klappentext sagt: "So etwas passiert einfach nicht. Nicht einmal in einem Roman." Dafür passiert es im echten Leben. Und Blondel über diese Ereignisse, über den Entstehungsprozess des Buchs reden zu hören, ihn einfach so fröhlich zu sehen, hat in mir eine tiefe Bewunderung zurückgelassen.Es ist daher sehr schwierig für mich, den Roman richtig zu beurteilen.

Erzählt wird aus der Ich-Perspektive des Erzählers. Das ohnehin schon sehr schlanke Buch, mit gerade mal 160 Seiten, hat 10 Kapitel und sehr, sehr viele Absätze, sodass die Seiten wirklich an einem vorbeifliegen. Unterstützt wird dieser Effekt auch durch die sehr knappen und teilweise sehr harten Sätze:

"So was passiert einfach nicht. Nicht mal im Roman. So schamlos ist das Schicksal dann doch nicht. Ein Schriftsteller stürzt seinen Helden ins Unglück, in Ordnung, aber er setzt nicht noch eins drauf." - Jean-Philippe Blondel; Zweiundzwanzig; S. 21Blondel beginnt bei dem Autounfall seines Vaters, wo einem erschreckender Weise eine kalte Emotionslosigkeit des jungen Erzählers entgegenkommt. Wieso, erfährt man im Laufe des Buchs. Mit dem Erbe und der Freiheit weiß er zunächst nichts anzufangen. Er beschließt kurzerhand mit seinen beiden Freunden Laure und Samuel nach Morro Bay zu fahren. Lloyd Cole hat in seinem Lied Rich diesen Ort besungen. Dieses Lied hört er tagein, tagaus, wie ein Mantra. Es war das Lied, das Blondel gehört hatte, als sein Vater starb.Der Stil des Buchs erinnert mich sehr an andere französische Bücher, mit einer melancholisch-humorvollen Art, bei der man nicht weiß, ob man lachen oder weinen soll. Das kommt wohl daher, dass die Beschreibungen verdammt reduziert sind, auf das allernötigste, sodass diese tragische Geschichte nicht vor schwülstiger Sentimentalität trieft. Genauso die Dreiecksbeziehung zwischen ihm, Samuel und Laure, die mir zwar bekannt vorkommt, aber in keiner Weise klischeebehaftet oder in irgendeiner Weise romantisch. Manchmal hat mich diese Wort-Knappheut etwas erschlagen, weil es streckenweise so unterkühlt wirkte, dass es genau das Gegenteil in mir bewirkte. Und das gilt nicht nur für die negativen Gefühle. Auf die gleiche dezente Art schafft Blondel, in mir das Gefühl von purer Lebensbejahung. Dass so viele Emotionen durch so nüchterne Beschreibungen entstehen können, hat mich wirklich verblüfft. Ich kann ja nur für mich sprechen, aber in mir hat sich durch die authentische Art viel im Kopf bewegt: Was würde ich tun? Versucht der Protagonist einfach zu verdrängen? Kann er sich an das traumatische überhaupt erinnern? Wie lebt er nun damit, in einem Alter, wo sonst das Leben erst richtig beginnt? Ich habe mich unweigerlich mit den Themen konfrontiert gefühlt und musste viel darüber nachdenken.Teilweise hat die Reise sogar humorvolle Elemente, bei denen man beinahe meinen könnte, dass die Reise eine ganz gewöhnliche Reise von Erlebnis-suchenden Jugendlichen sei. Das nimmt dem Buch die Schwere, obwohl der Umgang mit den Erlebnissen und Erfahrungen stets präsent ist. Es steht dem jungen Erzähler alles offen: reist er weiter, bleibt er, wo er ist? Bringt er sich um oder nicht? Aber irgendwie muss das Leben schließlich weitergehen, ungefragt und ungebremst. 

Leider, und das muss ich der Fairness halber sagen, hat das Buch seine Magie bei mir allerdings nur als Biographie entfalten können, als Roman war er streckenweise etwas schwierig zu lesen. Obwohl ich den Schreibstil sehr markant und ausdrucksstark empfand und es wirklich viel Spaß machte, das Buch zu lesen, war es doch recht trocken. Die treibende Kraft, das Buch zu lesen, war der Gedanke, dass dies wirklich alles passiert ist (sein könnte), das Buch selbst hingegen hat sehr wenig an Spannung beigetragen. Ich habe es allerdings auch nicht vermisst!


Fazit:


Blondel hat mit Zweiundzwanzig ein wirklich tiefgründiges, nachdenkliches Buch geschaffen, das neben den ganzen traumatischen Einflüssen und den unvorstellbaren Geschehnissen, der Frage nach dem Lebenssinn und vielem mehr eine gewisse Lebenslust aufzeigt. Ich empfehle euch, falls ihr das Buch lesen wollt, nehmt es an einem regnerischen Tag, setzt euch in ein Café oder in die Bahn und nehmt die Atmosphäre in euch auf. 
Zusammenfassung:
Genre: Roman (autobiographisch geprägt)Atmosphäre: melancholisch, sinnierend, lebensbejahendPlot: bewegend, schwer und trotzdem humorvollCharaktere: hauptsächlich nur Erzähler, sehr interessant und authentisch Sprachstil: knapp, hart, aufs nötigste reduziertSpannungsbogen: per se nicht da (und auch nicht nötig)


Genre-Wertung:{Rezension} ZweiundzwanzigGesamtwertung:{Rezension} Zweiundzwanzig  Weiterführende Links Lloyd Cole - RichLeseprobe: klick!

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